In vierter Generation führt Friedrich Lürßen heute - zusammen mit seinem Vetter Peter Lürßen - die Fr. Lürssen Werft, die Weltmarktführer im Superyachtbau ist. Im Interview blickt Friedrich Lürßen auch auf die Vergangenheit des Schiffbaus im Norden zurück.
Sie saßen hier in der Lürssen-Zentrale nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt von Dr. Friedrich Hennemann in seiner riesigen Vulkan-Zentrale. Sie sind sich häufiger begegnet, als er Vorstand dort wurde. Wie war Ihr Eindruck von ihm?
Friedrich Lürßen: Wir hatten ein gutes Verhältnis – auch während seiner Zeit als Senatsdirektor in der Politik. Als solcher ist er ja auch in den Schiffbau eingestiegen.
Hennemann hatte im Wirtschaftsressort vorher aber auch alle Senatsvorlagen zum Thema Werften geschrieben. Er kannte sich schon aus.
Er kannte sich aus. Alles musste bei ihm durch. Die Vorlagen, wenn es um Zuschüsse und Erweiterungen ging, die kannte er. Aber er kannte eben nur diesen Bereich des Schiffbaus.
Als Hennemann dann den Verbund baute und kaufte. Wie war da Ihr Bauchgefühl?
Er war für uns immer ein fairer Partner, der vor allem im Großschiffbau unterwegs war. Aber das war letztlich auch das Problem: Der Bremer Vulkan war zu sehr auf den Handelsschiffbau und hier speziell auf den Containerschiffbau ausgerichtet, und dieser Markt war bereits zu dieser Zeit angeschlagen und wurde immer schlechter.
Und es kam der Ruf nach Diversifikation, also der Suche nach neuen Geschäftsfeldern.
Das hat er ja versucht. Er hat viel zugekauft – vielleicht zu viel zu schnell. Ich glaube, dass man die Zukäufe gar nicht so schnell hätte konsolidieren können.
Sie wissen, wie Kaufen geht, weil Sie heute selbst an vielen Standorten arbeiten: Man muss also eine Zeit abwarten, wenn man etwas Neues dazu geholt hat - um die eigene Unternehmenskultur durchzusetzen?
Ich würde das so sehen. Wenn Sie Ihre Gruppe vergrößern wollen, muss das zueinander passen, und man muss in der Tat seine Unternehmenskultur erhalten und darf diese nicht durch Neukäufe verändern. Hennemann hat ja auch in fremde Industrien investiert. Und wenn man in fremde Märkte wie den Maschinenbau einsteigt, geht das nicht immer gut.
Und dann kommt es Anfang 1996 zum Kollaps des Vulkan. Wie sahen Sie die Situation? Es hätte ja sein können, dass Sie gar nicht gefragt worden wären, ob Sie Leute, Anlagen und Grundstücke übernehmen wollen. Wenn sich, sagen wir mal, ein italienischer Yachtbauer für den Standort mit seinen guten Zulieferern interessiert hätte – ein Konkurrent.
Wir waren ja unmittelbare Nachbarn und haben das alles direkt miterlebt. Da denkt man dann über einiges nach: Wir hatten damals schon einige Anfragen für größere Yachten, konnten diese bei uns aber nicht bauen. Eine Yacht hatten wir in Zusammenarbeit mit HDW in Kiel gebaut – mit uns als Generalunternehmer. Das war nicht so ideal. Uns fehlten größere Anlagen, und der Vulkan bot diese Möglichkeiten. Besonders interessant war für uns das überdachte Baudock, das die Werft damals für die Fregatten vom Typ F 122 gebaut hatte. Immerhin sprechen wir von einem Dock mit 175 mal 25 Metern, zudem überdacht. Das war damals etwas ganz Besonders und für uns sehr interessant. Also haben wir Kontakt zum Konkursverwalter Jobst Wellensiek aufgenommen.
Sie sind an ihn herangetreten oder umgekehrt?
Das weiß ich gar nicht mehr so genau. Das ergab sich so. In Wellensieks Interesse war natürlich, möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten. Damals ging es dem Schiffbau insgesamt schlecht, und es gab praktisch gar keine Interessenten. Und was will man mit solch einem Dock anderes machen als Schiffe darin zu bauen?
Sie wissen als Mann vom Fach, dass der Schiffbau Wellenbewegungen unterliegt und solche Anlagen vielleicht wieder gebraucht werden. Selbst Großschiffe sind ja nach 1996 auch wieder in Deutschland gebaut worden.
Der Handelsschiffbau ist durch einen Nachfrageboom und aufgrund zu langer Lieferzeiten asiatischer Werften noch einmal zurückgekommen, richtig. Aber mit der Weltwirtschaftskrise 2008 ist der Handelsschiffbau in Deutschland wahrscheinlich endgültig zu Ende gegangen.
Damals im Jahr 1996 ist das Großdock aus der Supertankerzeit noch nicht zugeschüttet gewesen. Wie sähe es heute aus, wenn jemand bei Ihnen eine Yacht von 300 Metern bestellen würde? Würden Sie das Großdock ausbuddeln lassen und Egerland sagen, dass es woanders auch noch schöne Parkplätze für Autos gibt?
Darüber, es wieder zu aktivieren, ist schon öfter nachgedacht worden. Aber ich nehme an, dass das Unternehmen Egerland längerfristige Verträge für das Autoterminal abgeschlossen hat.
Damals war in den Pressemitteilungen des Häfensenators Uwe Beckmeyer die Rede von 20 Jahren Pacht.
Zudem sehe ich - Stand jetzt - auch keine Bestellungen für derartig lange Yachten. Andererseits muss ich da vorsichtig sein: Ich hätte vor 15 Jahren auch nicht gedacht, dass bei uns Yachten von 150 und 180 Metern Länge bestellt werden. Man weiß nie, wie die Zukunft wird.
Rückblickend war die Entscheidung richtig, in Aumund zu produzieren und auf das Vulkan-Gelände zu gehen?
Das war goldrichtig. Wir dachten: Das hilft uns. Und ich meine nicht nur das Dock. Wir haben auch die Hälfte der ZAW, der Zentralen Ausrüstungswerkstatt, übernommen und einen Teil der Pier. Wir haben dann allerdings festgestellt, dass die Wartung vernachlässigt worden war – was bei einem Unternehmen, dem es schlecht geht, normal ist. Das mussten wir nachholen und einiges investieren. Zudem haben wir damals nach meiner Erinnerung über 140 Mitarbeiter vom Vulkan übernommen, plus 60 Beschäftigte aus der Marinetechnik. Die Marinetechnik war nicht im Konkurs – das hat Wellensiek noch verhindern können.
Der letzte Vulkan-Betriebsratsvorsitzende Hasso Kulla sagt, sie hätten 400 übernehmen sollen und noch mehr gekonnt.
Das ist immer einfach gesagt: Wenn man nicht mit am Tisch sitzt, dann ist das immer zu wenig, was die anderen verhandeln. Es war letztlich das von Wellensiek erzielte Verhandlungsergebnis. Und ich kann nur sagen: Er hat das gut gemacht. Und wenn man heute guckt, wie viele Arbeitsplätze wieder entstanden sind auf dem Gelände, dann hat er es auch richtig gemacht. Wir hätten damals gar keine 400 Leute übernehmen können. Daran wäre das Ganze gescheitert. So waren es mehr als 200.
Gibt es irgendetwas vom alten Vulkan-Ethos, von Firmenkultur, das heute aus Ihrer Sicht noch da ist?
Wir hatten überhaupt keine Probleme, die Mitarbeiter vom Vulkan in unsere Belegschaft einzugliedern. Wir haben uns die Mitarbeiter natürlich auch aussuchen können. Die mussten sich hier bewerben, weil sie aus dem Konkurs kamen. Dass es klappte, liegt auch ein bisschen an Bremen-Nord: Jeder kennt hier jeden, und unsere Leute hatten auch Vulkanesen als Nachbarn, oder man traf sich im Ruder-, Tennis- oder Segelverein. Da gab es natürlich Empfehlungen. Wir haben die Eingliederung letztlich gar nicht gemerkt. Das hat alles wunderbar geklappt. Auch das Dock war für uns ein Glücksfall und hat uns den Weg in den Großyachtbau geöffnet.
Hätten Sie vom Vulkan-Gelände für sich nicht mehr sichern müssen aus heutiger Sicht?
Ja klar - rückblickend. Aber wer konnte damals ahnen, dass es derart aufwärts gehen würde im Yachtgeschäft. Auch hier haben wir enorme Wellenbewegungen im Markt, der sich jetzt wieder abkühlt. Außerdem haben wir auf dem ehemaligen Vulkan-Gelände mittlerweile zahlreiche andere Arbeitgeber: Ambau zum Beispiel, auch wenn die uns jetzt verlassen werden. Zudem viele kleine Firmen. Dank uns hat sich hier auch Kuka angesiedelt. Wir haben irgendwann doch das gesamte Gelände übernommen – am Ende der schwarzroten Koalition. Wenn Ambau jetzt weggeht, wird es wieder schwierig, deren großen Bereich anderweitig zu nutzen.
Sie haben für die Hallen keine eigenen Pläne? Das ist ja die ursprüngliche Keimzelle des Vulkans am Standort – darunter liegen die alten Helgen von Ulrichs Werft.
Und danach war dort der Maschinenbau. Das sind Hallen, in denen man große und schwere Maschinen, große Teile oder Fundamente bauen kann.
Sie haben den alten Hammerkran davor entfernen lassen und ersetzt gegen einen neuen.
Der doppelt so viel trägt und schneller ist.
Es gab einen Aufschrei in Bremen-Nord. Man spürte die Symbolkraft des Vulkan. Die Menschen haben den Hammerkran beleuchtet und waren beim Abschied sehr emotionsgeladen. Sind Sie als Bremen-Norder auch manchmal sentimental?
Natürlich waren auch für mich die Emotionen der Menschen nachvollziehbar. Als Unternehmer kann ich aber nur begrenzt sentimental sein, sonst wird man nicht mehr lange als Unternehmer tätig sein. Den Kran als Industriedenkmal zu erhalten, hätte enorme Wartungskosten verursacht. Wir müssen in Bremen auch sehen, dass wir unser Geld für vernünftige Dinge ausgeben.
Gucken wir noch einmal auf die ehemalige Konkursmasse des Vulkan. Da kommt jetzt eine Genting Group aus Hongkong und kauft die Lloyd Werft in Bremerhaven und gleich noch drei Werften in Wismar, Warnemünde und Stralsund. Hätten Sie so eine Chance für die Werften dort für möglich gehalten?
Es ist überraschend. Damit hätte keiner gerechnet. Aber es liegt wahrscheinlich daran, dass die Passagierschifffahrt derzeit einen unglaublichen Boom erfährt. Auch die Chinesen – ein Markt mit enormem Potenzial – entdecken den Urlaub auf dem Wasser. Die Genting Group hatte wohl Sorge, diese Entwicklung zu verpassen. Es gibt nur wenige große Hersteller von Passagierschiffen: Die Meyer Gruppe in Papenburg und Fincantieri in Italien und eine Werft in Frankreich. Bei diesem Nachfrageboom liegen die Lieferzeiten bis nach 2020. Da könnte sich Genting gesagt haben: So lange wollen wir nicht warten und hat mit dem Kauf eigene Fertigungsstandorte erworben. Es wird nun eine große Herausforderung sein, den Bau zu wettbewerbsfähigen Preisen hinzukriegen.
Sie schauen ein wenig skeptisch.
Eine Werft im Westen als Zentrale, drei im Osten – das wird nicht so einfach werden. Meyer ist weit voraus, was die Produktivität angeht. Genting muss die Jahre des Booms jetzt nutzen, um die Produktivität zu entwickeln. Denn eins ist sicher: Das nächste Tal kommt bestimmt, und dann ist der vorne, der am kostengünstigsten zurechtkommt. Die Werften haben einen guten Auftragsbestand, und ich wünsche ihnen, dass es klappt. Das kann ein Segen werden für die Werften und deren Mitarbeiter in Bremerhaven und an der Ostseeküste.
Die Überlebenden in den Tälern sind häufig Familienunternehmen. Die Werften, die wir noch haben und die prosperieren, tragen Familiennamen: Lürssen, Meyer, Fassmer. Was ist das Geheimnis: Keine Politiker in den Aufsichtsräten? Schnelle unbürokratische Entscheidungen? Was ist es?
Wir sind mit der Muttermilch damit aufgewachsen. Da kriegen Sie bestimmte Dinge mit, die sie sonst nie lernen können. Zweitens glaube ich schon, dass die Fähigkeit, schnell zu entscheiden, ein ganz großer Vorteil ist: Mein Vetter und ich leiten das Familienunternehmen nun schon seit über dreißig Jahren – unterstützt durch hervorragende Kollegen. Wo arbeiten Vorstände sonst so lange zusammen?
Und wenn Sie sich beschimpfen, bleibt das auch noch in der Familie.
Das ist so, aber wir beschimpfen uns nicht. Der WESER-KURIER hat das schon einmal wunderbar beschrieben: Der eine der silbergraue Typ mit weltmännischem Charme, der andere etwas bärbeißig und Zahlenmensch. (Zeigt auf sich und lacht.) Das stimmt so ungefähr. Und deshalb kommen wir so gut miteinander aus. Es gibt ja Gesellschafterverträge für Fälle, in denen man abstimmen müsste. Sie werden es nicht glauben: Das haben wir noch nicht einmal gemacht in all den Jahren. Wenn wir nicht einer Meinung waren, sind wir über die Diskussion immer zu einer Entscheidung gekommen.
Der alte Betriebsratsvorsitzende Hasso Kulla erinnert sich, wie er mit Vulkanesen auf der Pier stand, zu Lürssen auf das andere Ufer runterguckte und sagte: Guckt mal die kleinen Schiffchen da. Jetzt ist es irgendwie umgekehrte Welt: Jetzt bauen Sie 180-Meter-Megayachten und auf allen Hallen steht Lürssen drauf. Wie geht es Ihnen mit diesem Bild?
Ich hoffe, mein Vater und mein Onkel sitzen oben in einer Wolke, gucken runter und sagen, dass wir zwei das hier ganz ordentlich machen.
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