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Made in Bremen Dem Schaden auf der Spur

Die Spezialisten von Battermann und Tillery untersuchen Havarien aller Art. Dahinter steckt oft Detektivarbeit.
06.04.2019, 19:07 Uhr
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Von York Schaefer

Etwa 450 Container waren es, die in den Tagen nach der Havarie des Megafrachters MSC Zoe Anfang des Jahres vor Borkum nach Bremerhaven verschifft wurden. Aktuell wird die Ware in den Metallboxen – von Turnschuhen bis hin zu teuren technischen Anlagen – umgeladen und von Sachverständigen aus aller Welt begutachtet. „Wegen der komplizierten, weltweit verzweigten Besitzverhältnisse können schon mal 30 Leute um so einen Container herumstehen“, sagt Jan Fortmann, Niederlassungsleiter für Bremerhaven bei Deutschlands größtem Havariekommissariat, dem Bremer Sachverständigen-Unternehmen Battermann und Tillery.

Presse ist bei solchen Schadensbegutachtungen weniger erwünscht. Es geht um hohe Millionenbeträge, die Schuldfrage im Fall der MSC Zoe ist immer noch ungeklärt. Niemand will sich in die Karten schauen lassen.

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Also trifft man Jan Fortmann, 36 Jahre alt, Ingenieur und gelernter Kapitän, bei einem weniger spektakulären Ortstermin, der aber das alltägliche Geschäft einer Sachverständigenfirma wie Battermann und Tillery genauso gut, wenn nicht sogar besser widerspiegelt.

Auf dem Parkplatz der Verleihfirma Gerken Arbeitsbühnen im Süden Bremerhavens ziehen sich die Teleskopkräne des Fuhrparks wie Giraffenhälse in den Himmel. Jan Fortmann und ein Techniker von Gerken stehen an einem Mercedes Sprinter mit knallrotem Kranaufbau und Arbeitskorb. Eine der seitlich ausfahrbaren Stützen ist verbogen, das Fahrgestell schwer verbeult, ein Seitenspiegel zerfleddert.

Ein Neuwert von 180.000 Euro

„Das Fahrzeug stand am Straßenrand und ein Pkw ist aus dem Gegenverkehr reingerauscht“, erklärt Fortmann, der von allen Seiten Fotos des Unfallwagens macht. Der Neuwert des Transporters liegt bei immerhin 180.000 Euro.

Den Schaden schätzt der Sachverständige, der seit 2012 bei Battermann und Tillery arbeitet, auf 70.000 bis 80.000 Euro. „Das Fahrgestell ist wohl hinüber, der Aufbau vielleicht noch zu retten“, lautet seine vorläufige Bilanz. Die Firma Gerken wird nun den Hersteller des Kranaufbaus kontaktieren, Jan Fortmann sein Gutachten schreiben. Man wird Fotos hin- und herschicken, den Rest regeln die Versicherungen. Die Schuldfrage ist in diesem Fall relativ eindeutig.

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Das ist längst nicht immer so. Etwa 10 800 Gutachten hat das 1913 gegründete Familienunternehmen Battermann und Tillery allein im vergangenen Jahr im Auftrag von Transportversicherern, großen Logistikfirmen, Reedereien und Gerichten geschrieben. Hinter vielen dieser Expertisen steckt oft akribische Detektivarbeit.

Unsachgemäße Verpackung in vielen Fällen die Ursache für einen Schadensfall

Denn die Ursachen für Schadensfälle, die etwa bei Maschinen und Anlagen im hohen zweistelligen Millionenbereich liegen können, können äußerst vielfältig sein. Bei etwa einem Drittel aller Schäden gebe es ein Problem mit unsachgemäßer Verpackung der Ware, schätzt Nico Nöldner, der neben Seniorchef Percy Tillery und dessen Sohn Patrick einer der drei Geschäftsführer des Unternehmens ist. „Zum Beispiel ungesicherte Freiräume im Karton, fehlende Fixierung der Kartons auf der Palette, keine Stoßhemmung oder zu dünne Kartonage“, zählt Patrick Tillery beim Treffen in der Firmenzentrale in der Bremer Überseestadt auf.

Ansonsten hat man es bei Battermann und Tillery mit Nässe- und Temperaturschäden, mit schlechter Stauung der Paletten im Container oder mit umgekippten Lkw und Bränden in Lagerhallen zu tun. „Die Schadenssummen im alltäglichen Geschäft liegen zwischen 5000 und 100 000 Euro“, sagt Nico Nöldner – wie zum Beispiel beim Fall der mobilen Arbeitsbühne in Bremerhaven.

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Die Firma begann als Baumwollbesichtiger in den bremischen Häfen und beschäftigt heute 138 Mitarbeiter an insgesamt 24 Standorten. Teils spektakuläre Fälle säumen die Historie des Unternehmens, das seit der Container-Revolution in den 1970er-Jahren und der zunehmenden Globalisierung von Warenströmen mit über 1200 Partner-Sachverständigen weltweit operiert. 2011 etwa wurde das Seeschiff „Beluga Nomination“ im Indischen Ozean von somalischen Piraten gekapert.

Viele Mails für die Abwicklung eines Falles

Der Frachter hatte neun luxuriöse Motor- und Segelyachten geladen. „Da mussten auch Schäden einer Schießerei beseitigt werden“, berichtet der 68-jährige Seniorchef Percy Tillery, dessen Urgroßvater vor etwa 150 Jahren aus England nach Bremen kam. Um den Schaden an dem Schiff zu bearbeiten, reiste der zuständige Sachverständige mehrfach unter anderem nach Südafrika und auf die Seychellen. 1700 Emails wurden für die Abwicklung des Falles empfangen.

Percy Tillerys letzter großer Auftrag war die Besichtigung von fast 850 Containern in Wilhelmshaven, die dort 2012 nach einem Brand an Bord der MSC Flamina entladen wurden. Vier Wochen hat er damals quasi auf dem Terminal gelebt.

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„Wir müssen differenzieren zwischen einem Schaden beim Hersteller und einem Transportschaden. Dafür braucht man Spezialisten, die nah an der Ware sind“, sagt der Geschäftsführer und Verkehrsexperte Nico Nöldner. Als Grund für die zahlreichen Schäden sieht er auch den Kostendruck durch Outsourcing-Prozesse und die vielen Schnittstellen zwischen Hersteller und Endkunde.

„Die erzählen dir alles über den Reifegrad von Kiwis“

Dementsprechend sind bei Battermann und Tillery Experten beschäftigt, die sich bei Schäden an Gefahrgütern, Autos, Maschinen, Pharmaprodukten oder auch Obst und Gemüse bis ins letzte Detail auskennen. „Die erzählen dir alles über den Reifegrad von Kiwis“, weiß Nico Nöldner.

Da man aus einem Schaden bekanntlich lernen soll, arbeitet das Bremer Havariekommissariat auch präventiv und versucht die Ursache von Schäden aufzuspüren. Wie etwa bei den Solarmodulen, die bei einem Unternehmen in Südspanien immer wieder defekt angeliefert wurden. „Irgendwann haben wir herausgefunden, dass auf einer Straße dorthin Bremsschwellen eingelassen wurden. Beim Drüberfahren ist die Ware dann kaputt gegangen“, sagt Percy Tillery. Detektivarbeit á la Battermann und Tillery.

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