Ein Donnerstag im Juli, kurz vor neun Uhr morgens. Hans-Alfred Buck, 57, Anzughose zu rotem Windbreaker, lenkt einen ebenfalls roten Transporter in den Ortsteil Buschhausen. Er nimmt einen großen Schluck aus seiner Kaffeetasse – auch sie ist rot – und stellt den Becher zurück aufs Armaturenbrett, während Azubi Jonas Eylers auf dem Beifahrersitz eine SD-Karte ins Radio schiebt und „Play“ drückt. „Wenn‘s um Geld geht – Sparkasse“, schallt aus den Lautsprechern in die Straßen Buschhausens. „Wir wollen zeigen, dass wir da sind“, sagt Buck, während er den 8,50 Meter langen Transporter durch die fast menschenleeren Straßen eines Wohngebiets steuert. „Aber hier schlafen wohl noch alle.“ Deswegen dreht er den sich ständig wiederholenden Jingle etwas leiser und steuert den Parkplatz der örtlichen Sparkassen-Filiale an, die er, bis zu ihrer Schließung Ende 2014, 24 Jahre lang geleitet hat.
Weil nicht nur seine Filiale in Buschhausen, sondern auch viele andere im Kreis dicht gemacht haben, ist Buck viel unterwegs. 25 000 Kilometer im Jahr, immer im Landkreis Osterholz. Immer in seinem roten Sparkassen-Mobil. „Immer nah am Kunden.“ Da, wo die Kreissparkasse Osterholz in den vergangenen Jahren ihre Filialen geschlossen hat und wo die nächste Geschäftsstelle weit weg ist, nimmt Buck ein bis drei Mal die Woche Überweisungen entgegen, vermittelt auch mal einen Kredit oder hilft Rentnern am Geldautomaten.
Wenn es regnet, kommt keiner
Buck und Azubi Eylers steigen aus. Das rote Mobil öffnet per Knopfdruck die Tür. Wer die vier Stufen nach oben steigt, sieht das, was er auch in einer normalen Bankfiliale finden würde: rechts ein Geldautomat, daneben ein Kontoauszugsdrucker. Links ein kleiner Tresen. Hier steht der Computer und hier beraten Buck und Eylers Kunden hinter einer Glastür, etwa zu Krediten, zum Online-Banking oder wenn sie ihr Haus verkaufen wollen. „Wir können hier alles machen, was wir auch in einer richtigen Filiale machen können“, sagt Buck.
Das einzige, woran es an diesem Donnerstag mangelt, sind Kunden. Buschhausen: Ein paar Überweisungen und ein paar Einzahlungen, das ist noch ganz okay. Von Hüttenbusch und Axstedt aber ist Buck enttäuscht. „Das lag bestimmt am Regen“, beendet Buck sein Zwischenfazit und wendet sich dem Mittagessen zu, Bratkartoffeln und Matjes. Nach der Pause, das verspricht er, ist aber mehr los. Dann geht’s nach Heilshorn und Neuenkirchen.

Manche Kunden nutzen das Mobil, um Geld abzuheben.
Buck ist mit seinem Mobil der Gegenentwurf zum Banker, der in großen Glastürmen in Frankfurt, London oder New York sitzt, Hunderte Millionen hin und her schiebt und mit einer falschen Handlung die halbe Welt in den Abgrund stürzen kann. Er ist der Sparkassen-Fachwirt im roten Windbreaker, der mit einem Azubi in einem umgebauten Sprinter durch die Provinz fährt und seine Mittagspause bei Marktkauf in Osterholz-Scharmbeck verbringt. Ein Banker mit Gesicht. Einer, den die Kunden kennen und vertrauen. Eine Spezies, die immer seltener wird.
Seit Ende 2014 hat die Kreissparkasse Osterholz acht Geschäftsstellen geschlossen und durch sogenannte SB-Filialen ersetzt. Geldautomat und Kontoauszugsdrucker sind hier geblieben, die Mitarbeiter mussten gehen. Richtige Filialen sind zu teuer geworden. Auch Buck hat das zu spüren bekommen. 24 Jahre war er Leiter der Filiale in Buschhausen. Dann brachen die Zinsen ein und der geplante Neubau seiner Geschäftsstelle hatte sich erledigt. Schlimmer noch: Sie wurde geschlossen. Um trotzdem noch mit Menschen vor Ort zu sein, hat sich die Bank Geldautomat und Kontoauszugdrucker in den Transporter bauen lassen und Buck zum Chef der mobilen Filiale gemacht. Seit fast drei Jahren ist der nun schon damit unterwegs. „Das fühlt sich wie Zuhause an“, sagt er. Buck ist heimgekehrt.
Denn es ist schon das zweite Mal in seiner 39 Jahre langen Sparkassen-Karriere, dass Buck mit einem Bus durch den Landkreis fährt. In den 80er-Jahren hatte längst nicht jedes Dorf eine eigene Geschäftsstelle. Auch damals ist Buck viel rumgekommen. Jetzt haben die Filialen wieder zu und Buck fährt wieder Bus. Als seien Bankfilialen nur eine Mode gewesen, die sich nicht hat durchsetzen können.

Neben Geldautomat und Kontoauszugsdrucker gibt es auch eine Hebebühne für Menschen, die nicht ohne Hilfe ins Fahrzeug kommen.
Das geht nicht nur der Kreissparkasse Osterholz so. Fast alle Banken schließen Filialen, seien es die privaten Institute oder Sparkassen und Volksbanken. „Auch in Bremen ist das so“, sagt Buck immer wieder. Und dort sei ja die nächste Filiale auch nicht gleich um die Ecke.
Am Vormittag in Axstedt, „wo wir sonst immer sehr gut angenommen werden“, ist an diesem Tag nichts los. In den 45 Minuten, die das Mobil vor Ort ist, kommen zwei Kundinnen. Eine geht noch nicht einmal in die rollende Filiale, sondern reicht Eylers, der vor dem Mobil wartet, einen Überweisungsträger. Es nieselt und der Hund auf dem Nachbargrundstück bellt.
Eine Station weiter, in Hüttenbusch, passiert noch weniger. Eine junge Frau parkt zwar ihr Auto neben dem Mobil, geht dann aber vorbei zu den Automaten in der verlassenen Filiale. Buck grüßt trotzdem. Als die Frau herauskommt, überreicht er ihr eine Frisbee und eine Packung Seifenblasen für den Sohn, der im Auto wartet. „Das ist immer so“, sagt Buck später. „Die jungen Leute gehen lieber zum Automaten. Den Rest machen sie online.“
"Wir sind das Gesicht der Sparkasse"
Es sind Szenen wie diese, die das Problem einer ganzen Region beschreiben. Die jungen Leute, die geblieben sind, kommen mit den Automaten und dem Online-Geschäft gut klar, sind mobil. Wer Hilfe braucht, sind die Alten. Und davon gibt es einige. In kaum einem anderen Landkreis in Niedersachsen sind die Menschen im Schnitt so alt wie in Osterholz. Wer in einer der größeren Städte wohnt, hat da noch Glück. Aber in Ortsteilen wie Steden, Sandhausen oder Axstedt gibt es nicht viel. Ein Bäcker, ein Landgastgasthof, vielleicht auch ein Frisör; Busse fahren nur selten. Und wer will schon für eine Überweisung in den Bus steigen?
Mit ihrem Mobil ist die Kreissparkasse daher nicht alleine. Auch die Sparkasse Weser-Elbe hat seit Ende 2015 eine mobile Geschäftsstelle. Der Energieversorger EWE ist mit einem mobilen Servicepunkt in Niedersachsen unterwegs.
„Wir sind das Gesicht der Sparkasse“, sagt Buck. Und als solches hört er manchmal Lob, aber auch viel Kritik. In Neuenkirchen kommt ein Ehepaar ins Mobil und hebt Geld ab. Buck fragt, ob er noch bei etwas anderem helfen könne. „Also eines muss ich jetzt noch sagen“, sagt der Mann unvermittelt. „Früher war das besser mit der Filiale.“ Was genau denn besser war, will Buck wissen. „Na, dass da Leute waren“, sagt der Mann. Und am Geldautomaten fehle eine Ablage für sein Portemonnaie. Für solche Kunden will Buck da sein, für die, die auf ihn angewiesen sind. Wenn schon die Kollegen nicht mehr vor Ort sind, dann wenigstens er.
Eine Frau bringt Kuchen vorbei
„Manche Leute sind sauer, dass wir die Filialen geschlossen haben“, sagt Buck später. Das spüre er immer wieder. „Aber wir versuchen zu erklären, warum das sein musste.“ Die meisten hätten dafür Verständnis. „Und manche sogar so viel, dass sie sich bedanken, das überhaupt noch jemand da ist.“
So wie eine ältere Frau, die in Neuenkirchen langsam die vier Stufen ins Mobil hochsteigt. „Heute brauche ich nichts. Aber ich habe ja beim letzten Mal gesagt, dass ich ein Stück Kuchen mitbringe“, sagt sie und gibt Buck und Eylers jeweils ein Stück Zitronenrolle.
In solchen Momenten ist Buck besonders froh, dass er im Bus unterwegs sein kann. Ein Job in einem der großen Banktürme wäre nichts für ihn. Selbst die mittlerweile geschlossene Filiale in Buschhausen vermisst er nicht. Auch wenn in jedem Ortsteil, in den er kommt, und in jeder Gemeinde neu anfangen muss. „Wir starten jeden Tag aufs Neue. Wie ein Künstler, der bei jedem Auftritt immer das Beste geben will.“
Bucks Auftritt endet an diesem Donnerstag, wenn er nach 120 Kilometern sein Mobil auf den Parkplatz der Sparkasse in Osterholz-Scharmbeck abstellt und seinen roten Windbreaker auszieht.