Die Maschine eines Schiffs steuern, ohne im Maschinenraum zu sein; oder auch auf der Brücke zu stehen, ohne das Schiff überhaupt betreten zu haben – mit virtueller Realität ist das möglich: Man setzt eine Brille auf, die einem alles so einspielt, als ob man auf See ist. Warum das? Wie viele andere Branchen auch, muss sich die maritime Wirtschaft Gedanken machen, wie sie in Zukunft Nachwuchs und Fachkräfte für sich gewinnen kann. Und mit dem entsprechenden Technikeinsatz können die jungen Menschen trainiert werden.
Im neuen Teil der Hochschule Bremen am Flughafendamm hat sich beim Deutschen Schifffahrtskongress die Wissenschaft damit beschäftigt, wie und wo virtuelle Realität im maritimen Bereich zum Einsatz kommen kann. Das kann zum einen bei Job-Messen sein, aber vielleicht auch zu Schulungszwecken. Volker Gries, Projektmanager vom Softwareentwickler Anova, nannte bei der Präsentation eine weitere Möglichkeit: "Zum Beispiel könnte man virtuell üben, wie sich jemand vom Hubschrauber auf die Plattform eines Windrads abseilt." Das spare Kosten und Mühen.
Virtuelle Realität soll Ausbildung ergänzen
Gries sagt aber gleichzeitig: "Es wird das komplette Training nicht ersetzen, aber ergänzen." Damit lassen sich während des Lernens Emotionen wecken. Man könne auch gegen Ängste angehen. Michael Rachow, Professor für Schiffsanlagen an der Hochschule Wismar und Mitorganisator des Deutschen Schifffahrtskongresses, sieht das Potenzial: "Diese VR-Brillen könnten zum Beispiel hilfreich sein beim Training der Schiffsmannschaften."
Dies ist eines der Beispiele, mit welchen Zukunftsfragen sich die Vertreter der maritimen Wirtschaft sowohl beim Deutschen Schifffahrtstag und zuvor beim Deutschen Schifffahrtstag beschäftigten. Letzterer wurde am Donnerstagnachmittag offiziell im Bremer Dom eröffnet. Das Motto lautet: "Nachhaltige Schifffahrt: Gemeinsam, klar, sauber!". Und zum ersten Mal sind auch die Binnenschiffer eingeladen.
Statt Diesel bei Binnenschiffen
Die Veranstaltung dazu am Donnerstagvormittag im Atlantic Grand-Hotel in der Bremer Innenstadt zeigt: Es ist nicht klar, was denn der Antrieb der Zukunft sein könnte, um die Dieselmotoren zu ersetzen. Wasserstoff sei keine Lösung, wie der Präsident vom Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB), Martin Staats, sagt: "Es gibt noch keine nachhaltige Wasserstoffstruktur im Hinterland. Auf der Donau bis nach Ungarn würde da ein Schiff nicht hinkommen mit einem Brennstoffzellenmotor. Oder der mit Wasserstoff beladene Lkw müsste direkt hinterherfahren." Ähnlich schwierig gestalte es sich bei LNG als Treibstoff. Reine Elektromotoren sieht Staats als Lösung bei der Tagesausflugsschifffahrt.
Bei der offiziellen Veranstaltung im Bremer Dom sagte er: "Im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern sind Binnenschiffe ja schon umweltfreundlich unterwegs." Sie fahren im Gegensatz zu Seeschiffen mit schwefelfreiem Diesel. Binnenschiffe können mit einer Ladung bis zu 150 Lkw ersetzen. Doch laut Staats, Geschäftsführer der Binnenschiffgenossenschaft MSG in Würzburg, geht da noch mehr: "Wir haben auch bei uns die Dieselmotoren optimiert mit einer Wasserstoffeinspritzung, mit Kraftstoffwasseremulsion. Das reduziert den Verbrauch und auch den Stickstoffausstoß und die Rußpartikel."
Modernisierung kostet zehn Milliarden
Um Binnenschiffe umzurüsten, braucht es auch Geld. Um einen Dieselschiffsmotor mit bis zu 1500 PS auszutauschen, kann das Summen von 800.000 Euro und mehr bedeuten. Um die Flotten der Binnenschiffer aus Deutschland, den Niederlanden und Belgien zu modernisieren, kommt der BDB auf eine Summe von zehn Milliarden Euro.
Zumindest hatte der frühere Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer in seinen letzten Amtsmonaten noch ein 95 Millionen Euro schweres Förderprogramm auf den Weg gebracht. Binnenschiffer erhalten bis zu 90 Prozent Zuschuss, wenn sie ihre Motoren so aus- und umrüsten, dass diese mit alternativen Kraftstoffen betrieben werden können. Geld gibt es auch für Systeme, um die Emissionen zu vermindern und die Energieeffizienz zu verbessern.
Mehr Anträge als Fördermittel
"Wir haben deutlich mehr Anträge aus dem Schifffahrtsgewerbe, als Fördermittel zur Verfügung stehen", sagt Jens Schwanen, Geschäftsführer vom Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB). Er zieht daraus die Schlüsse: "Das Programm ist gut, und die Branche ist innovationswillig." Die Bundesregierung plant, das Programm nochmals mit 50 Millionen Euro aufzustocken.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) forderte in seiner Video-Botschaft am Vormittag eine technologieoffene Herangehensweise. Bundesstaatsministerin Sarah Ryglewski (SPD) sagte in ihrer Rede im Bremer Dom, dass man Tempo machen müsse: "Nachhaltigkeit muss zum Wirtschaftsfaktor werden." Sie lobte aber gleichzeitig: "Die Schifffahrt zeigt, dass sie bereit dazu ist, und sie ist gut aufgestellt dazu. Die Bundesregierung ist an ihrer Seite." Doch wenn die Branche die Modernisierung anpackt, sind ebenso auch die Kommunen gefragt. "Wir werden dafür sorgen, dass alle Binnenschiffsanleger in Bremen mit Landstrom ausgerüstet sind", sagte Häfensenatorin Claudia Schilling (SPD).
Besseres Internet für die Seeleute
Vor lauter Technik darf man aber nicht die Menschen vergessen, die an Bord arbeiten. Die Vertreter der Deutschen Seemannsmission erinnerten im Dom in ihrer Rede, was sie an Bord leisten. Sie forderten in Zukunft die kostenneutrale weltweite Anbindung ans Internet auf See, damit sie so zu ihren Familien besser Kontakt halten können. Der Ukraine-Krieg mache es nicht einfacher. Denn 15 Prozent aller Seeleute haben ihre Heimat in Russland und der Ukraine.