Es ist ein schmaler Grat zwischen Manipulation und Spielraum. Wie schmal, das versuchen Ermittler der Staatsanwalt Stuttgart gerade bei Daimler herauszufinden. Experten haben festgestellt, dass Motoren des Autobauers – ähnlich wie beim Konkurrenten VW – auf dem Teststand andere Abgaswerte haben als im Straßenbetrieb.
„Bei uns wird nicht betrogen, bei uns wurden keine Abgaswerte manipuliert“, hatte Daimler-Vorstand Dieter Zetsche noch vergangenes Jahr gesagt. Später sprach er dann aber von „großen Spielräumen in der Gesetzgebung“. Seitdem hat sich der Verdacht jedoch erhärtet, dass Daimler diese Spielräume überschritten hat.
Schon im März hatte die Staatsanwaltschaft Stuttgart Ermittlungen gegen den Konzern bestätigt und unter anderem elf Standorte des Konzerns durchsucht. Und die Vorwürfe sind offenbar schwerwiegender als bislang bekannt. Daimler soll zwischen 2008 und 2016 Autos in Europa und den USA etwa eine Million Autos mit einem unzulässig hohen Schadstoffausstoß verkauft haben, wie „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR nun berichten.
Den Unterlagen der Staatsanwaltschaft zufolge sollen die Motoren OM 642 und OM 651 betroffen sein. Sie wurden in diverse Fahrzeugserien von Daimler eingebaut, darunter auch in die C-, E- und R-Klasse von Mercedes. Und sie sollen eine unzulässige Abschalteinrichtung haben, mit der die Schadstoffreinigung auf Testständen ein- und im normalen Betrieb weitgehend ausgeschaltet wurde.
Zwei konkrete Beschuldigte im Blick
Im Durchsuchungsbeschluss aus März heißt es, Daimler habe die unzulässige Abschalteinrichtung entgegen den Vorschriften dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) als Genehmigungsbehörde nicht offengelegt, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“. Davon betroffene Fahrzeuge könnten mitunter sogar stillgelegt werden. Bei ihren Ermittlungen haben die Behörden zwei konkrete Beschuldigte im Blick – und zudem weitere bisher unbekannte.

Daimler soll mehr als eine Million Autos mit einem unzulässig hohen Schadstoffausstoß verkauft haben.
Daimler betont immer wieder, dass die eingesetzten Abschaltvorrichtungen zulässig seien. Das Unternehmen räumt aber ein, mit sogenannten Thermofenstern zu arbeiten. Das bedeutet, der Bordcomputer schaltet die Abgasreinigung bei Außentemperaturen, die nicht den Laborbedingungen entsprechen, mehr oder weniger ab. Daimler hält dies für rechtens und beruft sich auf den Schutz des Motors. In der Tat gibt es in den Bestimmungen der EU den Passus, der die zeitweise Abschaltung der Abgasreinigung erlaubt. Zahlreiche weitere Autobauer argumentieren ähnlich. „Die Gefahr einer Stilllegungsverfügung sehen wir nicht“, sagt daher auch ein Daimler-Sprecher.
Einfach so hinnehmen will das die Politik allerdings nicht. Nach dem Bekanntwerden der Ermittlungen wegen möglichen Diesel-Abgas-Betrugs hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) Daimler-Verantwortliche für Donnerstagnachmittag einbestellt. Sie sollen in der Untersuchungskommission aussagen, die wegen der Diesel-Affäre bei Volkswagen eingerichtet wurde, nun aber auch Fahrzeuge anderer Hersteller prüft. Die Daimler-Vertreter sollen dort Stellung zu den Vorwürfen nehmen. „Wir werden sehen, was da herauskommt“, sagte Dobrindt. Im übrigen liefen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen – und es sei damit zu rechnen, „dass irgendwann etwas herauskommt“.
Europäische Lösung für Nachrüstungen
Dobrindt hatte sich bislang auf die Seite der Autoindustrie gestellt. Dabei hatte das KBA schon zuvor extrem hohe Überschreitungen der Stickoxide-Werte bei eigenen Straßentests mit Fahrzeugen verschiedener Hersteller festgestellt. Doch die Behörde hat nicht die Stilllegung der Autos angeordnet, sondern sich auf freiwillige Nachrüstungen mit den Herstellern geeinigt. Hier ist aber bislang kaum etwas geschehen: Die Hersteller begründen dies mit technischen Problemen. Zetsche machte sich am Donnerstag dafür stark, dass es eine europäische Lösung für die Nachrüstung geben müsse. Von den freiwilligen Rückruf-Aktionen hierzulande sind auch knapp 250.000 Autos von Mercedes betroffen.
Sollte Daimler tatsächlich verurteilt werden, könnte das weitreichende Folgen für die gesamte Autobranche in Europa haben, da auch andere Autobauer Thermofenster einsetzen. Massenweise Stilllegungen von Autos und Schadenersatzzahlungen in Milliardenhöhe könnten die Folge sein. Daimler hat aber nicht nur in Deutschland Ärger mit der Justiz. In den USA liegen mehrere Sammelklagen vor, die dem Konzern Betrug vorwerfen; das Justizministerium hat das Management zu internen Untersuchungen aufgefordert.