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Abhängig von Smartphone und Co Woran man Mediensucht erkennt

Eine Bremer Expertin beobachtet, dass immer mehr Jugendliche und Erwachsene wegen einer Medienabhängigkeit Hilfe suchen. Doch woran erkennt man die Sucht überhaupt, und was sind ihre Folgen?
05.01.2022, 17:27 Uhr
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Woran man Mediensucht erkennt
Von Mario Nagel

Der Jahresanfang ist die Zeit der guten Vorsätze. Und die machen sich manche nicht nur in Bezug auf Süßigkeiten oder Zigaretten. In einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom gab fast jeder Zehnte an, eine Pause von digitalen Medien einlegen zu wollen – Digital Detox lautet dafür der englische Begriff. Wegen Corona dürfte die Enthaltsamkeit aber eine besondere Herausforderung sein. „Durch die Einschränkungen in der Pandemie haben viele Menschen mehr als jemals zuvor auf digitale Medien zurückgegriffen und die Nutzungszeiten sind massiv in die Höhe gegangen", sagt der Hauptgeschäftsführer von Bitkom, Bernhard Rohleder. "Digital Detox war wohl noch nie so schwer wie in Zeiten des Social Distancing.“

Der Verzicht kann eine gute Probe sein, um festzustellen, wie abhängig man von den Medien im Alltag ist. Ist der Konsum von Streamingangeboten oder Videospielen noch normal? Ab wann gilt jemand als süchtig nach digitalen Medien? Und was kann man tun, wenn man das Gefühl hat, nicht mehr vom Smartphone oder Computer wegzukommen? Ein Überblick.

Was ist eine Medienabhängigkeit?

Die Begriffe Medienabhängigkeit oder Mediensucht bezeichnen das unabweisbare Verlangen nach der Nutzung von digitalen Angeboten. Eine klassifizierte Diagnostik gibt es aber nicht. Darauf weist Michèle Sanner, Suchttherapeutin und Koordinatorin der Fachstelle Medienabhängigkeit bei der Ambulanten Suchthilfe Bremen, hin. „Ob eine Person eine Mediensucht entwickelt hat, muss immer individuell betrachtet werden.“ Dafür ziehe man die allgemeinen Merkmale einer Sucht heran. Es geht also zum Beispiel um eine Steigerung der Dauer und Intensität der Nutzung. Auch alle Arten von Entzugserscheinungen zählen laut Michèle Sanner dazu: „Wird die Person unruhig, ist sie verstimmt oder kreisen die Gedanken dauerhaft um die Nutzung, wenn das Mittel, zum Beispiel ein Smartphone, nicht mehr zur Verfügung steht? Das kann auch zu Aggressivität, Traurigkeit oder der heimlichen Nutzung führen.“

Woran merke ich, dass ich medienabhängig bin?

Das wohl wichtigste Anzeichen, selbst an einer Mediensucht zu leiden, ist laut Michèle Sanner die Weiternutzung, wissend, dass sie einen negativen Einfluss hat oder negative Folgen haben kann. Etwa die Vernachlässigung von Freunden und der Familie, der Schule oder Arbeit, aber auch weniger Schlaf und eine schlechtere Ernährung. „Grundsätzlich ist es aber so, dass man von einer Sucht erst nach einem Zeitraum von mindestens sechs Monaten spricht. Wenn ich jetzt mal am Wochenende in ein Streamingportal abtauche, danach aber in den Alltag zurückkehre, dann ist alles gut“, sagt Michèle Sanner. Problematisch werde es erst dann, wenn die Person aus der Situation nicht mehr herauskomme, der Konsum also dauerhaft einen erheblichen Einfluss auf das Leben habe. 

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Woran erkenne ich eine Social-Media-Sucht?

Ein erster Indikator könne laut Michèle Sanner sein, wie häufig soziale Medien genutzt werden. Es käme aber immer zugleich auf die Lebensumstände an: Wer einen geregelten Alltag habe und Zeit für Freunde, die Familie oder auch ein Hobby, bei dem würden ein paar Stunden in den sozialen Medien anders zu Buche schlagen, als bei jemandem, der sich sonst zurückziehe und neben den sozialen Medien noch mehrere Stunden eine Streamingplattform nutze. 

Wie häufig tritt eine Medienabhängigkeit auf?

Eine Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der Drogenbeauftragten der Bundesregierung aus dem Jahr 2020 hat ergeben, dass 30,4 Prozent der 12- bis 17-Jährigen sowie 23 Prozent der 18- bis 25-Jährigen eine als problematisch eingestufte Internet- und Computernutzung haben. Auch Michèle Sanner hat festgestellt, dass die Zahlen zunehmen. „Vor einigen Jahren haben wir mit einer zweistündigen Sprechzeit angefangen, jetzt werden wir mit einer vollen Stelle in diesem Bereich arbeiten. Die Anfragen von Familien, insbesondere von Erwachsenen, die sich als Betroffene, Eltern oder Partner an uns wenden, nehmen auf jeden Fall zu.“

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Warum ist eine Medienabhängigkeit gefährlich?

„Das Problem ist, dass wir die Fähigkeit verlieren, die Situationen und die Aufgaben, die sich uns stellen, mit unterschiedlichen Mitteln zu bewältigen“, sagt Michèle Sanner. Ein Mediensüchtiger schränke seine Möglichkeiten, Problemen entgegenzutreten, mit der Zeit immer weiter ein. „Eine Person, die zum Beispiel einen Konflikt mit der Familie oder Probleme auf der Arbeit hat, zieht sich verstärkt in den Medienkonsum zurück. Sie vermeidet also die Konfrontation, spannt quasi ein Netz über ihr Leben“, sagt Sanner. Das könne sich im Extremfall negativ auf die Schule oder Arbeit und das Privatleben auswirken.

Was kann ich tun, wenn ich eine Medienabhängigkeit bei mir vermute?

Wer sich selber auf die Probe stellen möchte, sollte versuchen, das digitale Medium für eine gewisse Zeit wegzulassen. „Stelle ich mir also die Frage, ob meine Handynutzung zu hoch ist, dann lege ich es einfach mal weg, zum Beispiel am Abend", sagt Sanner. Stellt die Person dann fest, dass ihr die Nutzung fehlt und sie letztlich doch immer wieder zum Handy greift, sollte sie sich nach Unterstützung umsehen. Wer unsicher ist, ob er professionelle Hilfe braucht, kann auf www.ins-netz-gehen.info der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung einen Online-Selbsttest machen.

Wo gibt es Hilfe?

Die gibt es zum Beispiel bei der Fachstelle Medienabhängigkeit der Ambulanten Suchthilfe Bremen (ASH). Die Beratung ist kostenlos. Jeden Dienstag bietet die ASH ab 14.30 Uhr eine offene Sprechstunde an. Weitere Informationen zum Angebot gibt es unter www.ash-bremen.de. Darüber hinaus gibt es auch anonyme Onlineberatungen oder – für Schüler – die Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren (Rebuz) Bremen.

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