Die Marschrichtung, die Markus Schäfer vorgibt, ist klar. „Wir streben bei Mercedes-Benz nichts weniger als die Führung in diesem Bereich an.“ Mit diesen Worten ließ sich der Daimler-Vorstand Ende vergangenen Jahres in einer Pressemitteilung zu den neuen E-Auto-Modellen zitieren. Dieses Ziel passt zum Selbstverständnis, das man vom Stuttgarter Autobauer gewohnt ist. Beim Blick auf die bisherigen Elektro-Bemühungen wird jedoch deutlich: Der Weg an die Spitze ist noch lang.
2019 hatte Mercedes mit dem EQC das erste Elektroauto der neuen E-Automarke EQ auf den Markt gebracht. Es sollte der „Anbruch einer neuen Ära für unser Unternehmen“ sein, wie der damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche sagte. Doch diese Rechnung wurde offenbar ohne die Kunden gemacht. 20.000 Fahrzeuge wurden im vergangenen Jahr verkauft, wie der Bremer Werksleiter Michael Frieß dem WESER-KURIER kürzlich bestätigte. Aus Branchenkreisen heißt es, der Autobauer wollte eigentlich 50.000 bis 60.000 EQC absetzen.
Für Autoexperte Stefan Bratzel bedeuten das: „Der EQC war aus Kundensicht nicht wettbewerbsfähig.“ Der Leiter des Center of Automotive Management glaubt, der Autobauer habe das Thema E-Mobilität zu lange nicht ernst genug verfolgt. Auch Ferdinand Dudenhöffer, Direktor am Center Automotive Research der Universität Duisburg, sieht Fehler, die Daimler in der Vergangenheit gemacht hat. „Man hätte das Auto besser konzipieren können“, sagt er mit Blick auf den EQC. Er geht davon aus, dass Mercedes aus den Fehlern gelernt habe und die für dieses Jahr angelegte E-Auto-Offensive besser angehe.
Allein in diesem Jahr sollen vier neue Elektrofahrzeuge der EQ-Familie auf den Markt kommen. Den Auftakt hat der EQA Anfang Februar gemacht, noch folgen sollen der EQS, der EQB und gegen Jahresende der EQE. Letzterer wird wie der EQC in Bremen gebaut. Hier laufen bereits die Vorbereitungen, wie Michael Peters, Betriebsrats-Chef im Bremer Werk sagt. Die neuen Produkte wie der EQE würden der Fertigung helfen, die schwierige Corona-Zeit zu überstehen. Wobei Daimler das vergangene Jahr trotz Pandemie mit einem Gewinn von 6,6 Milliarden Euro abgeschlossen hat. Details stellt der Konzern an diesem Donnerstag vor. Auch wenn der Start ins Elektrozeitalter misslungen sei, glaubt Autoexperte Bratzel, dass es für Daimler noch nicht zu spät ist. Nach seinen ersten Eindrücken sei der EQA schon besser als der EQC. Zudem sei man mit dem Kompaktwagen nun in einem Massenmarkt unterwegs und könne höhere Stückzahlen verkaufen.
Im Wettstreit mit Tesla und Nio
Viele Fehler könne sich der Konzern aber nicht mehr erlauben. „Die Schüsse müssen so langsam sitzen“, sagt der Autoexperte. Und ein Selbstläufer würden die neuen Modelle auch nicht. Denn neben den bekannten Konkurrenten – Audi und BWM – gebe es neue Konkurrenz. „Tesla ist der Benchmark“, sagt Bratzel. Hinzu kämen die E-Modelle von Volvo und die gänzlich neue Marken wie Nio. Das chinesische Unternehmen gilt als Tesla-Jäger und ist an der Börse inzwischen mehr wert als BMW.
Im vergangenen Jahr kam Mercedes mit seinem EQC insgesamt auf mehr als 3000 Neuzulassungen, wie aus einer Auswertung des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) für den WESER-KURIER hervorgeht. Im Januar 2021 waren es noch einmal 466. Audi kam mit seinem E-Tron im selben Zeitraum auf mehr als 8600 Neuzulassungen; bei Tesla waren es mehr als 16.000. Der Großteil entfällt beim E-Auto-Pionier jedoch auf das günstige Einsteigermodell Model 3, das andere Kunden ansprechen soll als die Elektro-SUVs von Audi und Mercedes. Klar ist laut Bratzel aber, dass es Tesla in der Vergangenheit gelungen ist, viele Verbrennerfahrer von den deutschen Premiumherstellern als Kunden abzuwerben. Diese wieder zurückzugewinnen, sei schwierig.
Nicht nur für Daimler dürfte 2021 daher ein spannendes Jahr werden: Für die kommenden Monate sind etliche neue E-Autos aus verschiedenen Preisklassen angekündigt. Neben den Modellen von Mercedes kommen auch neue Fahrzeuge von Audi und BMW auf den Markt. Abseits der Premiumhersteller tut sich allerdings auch etwas: VW startet mit dem Verkauf des SUVs ID.4; neue Mittelklasse-Modelle werden auch von Seat, Renault, Nissan und Skoda erwartet. Mit dem Dacia Spring soll auch ein extrem günstiges E-Auto auf den Markt kommt, das nach Abzug aller Förderungen schon für 10.000 Euro zu haben sein soll.
Kampf um den CO2-Grenzwert
Dass bereits im vergangenen Jahr viele Autohersteller ihr Angebot an E-Autos und Hybridmodellen ausgebaut haben, dürfte auch mit der strengeren Kohlenstoffdioxid-Vorgabe der Europäischen Union zusammenhängen. 2020 galt zum ersten Mal der Grenzwert von 95 Gramm CO2 pro gefahrenem Kilometer. Der durchschnittliche Ausstoß aller neu verkauften Autos eines Herstellers muss darunter liegen – sonst drohen hohe Geldstrafen. Abhängig von Marktposition und Schwere der produzierten Autos kann leicht eine andere Grenze für jeden Autobauer gelten.
Volkswagen hat sein Ziel vergangenes Jahr knapp verpasst. Der Konzern hatte mit kleineren Herstellern einen Pool gebildet und gemeinsam den CO2-Ausstoß der Fahrzeuge abgerechnet, lag aber dennoch 0,5 Gramm über dem Zielwert. Wie hoch die Strafe ausfällt, ist noch nicht bekannt. Besser lief es hingegen für BMW: Der Konzern kam 2020 im Schnitt der verkauften Neuwagenflotte auf 99 Gramm Kohlendioxid und liegt damit fünf Gramm unter dem von der EU gesetzten Ziel.
Daimler teilt auf Nachfrage mit, dass die CO2-Ziele „ohne Frage ambitioniert“ seien. Interne Prognosen ließen aber darauf schließen, dass man die Ziele für Pkw im vergangenen Jahr erreicht habe. Auch für 2021 gehe man davon aus, dass das der Fall sein wird.