Kilometer um Kilometer,
Seemeile um Seemeile – Container befinden sich auf einer unendlichen Reise um den Globus.
Auf der ganzen Welt sorgen Lastwagenfahrer dafür, dass die
Warenströme nicht abreißen, dass die Kisten pünktlich im Hafen sind.
Wie aber sieht die Arbeit hinterm Steuer als Truckerin aus? Und wie viel Fernweh gehört dazu?
Doreen Wöpke fährt für ein Bremer Unternehmen – und liebt ihren Beruf. Von einem Besuch auf dem Beifahrersitz.
Die Finsternis ist eindeutig. Es ist noch Nacht. Am Himmelszelt funkelt gut sichtbar der Große Wagen. Dort drüben leuchtet der Mond. Für Doreen Wöpke aber hat in dieser kalten Morgenfrühe längst ein Tag auf Achse begonnen. Die Truckerin hat im Bremer Güterverkehrszentrum auf dem Gelände von EKB in ihrem Lastwagen geschlafen.
Jetzt ist es 6 Uhr und Zeit für die Tour runter nach Porta Westfalica, Ware von dort muss nach Bremerhaven geliefert werden. Der Container ist leer, der Kaffeebecher gefüllt und Fritz startklar. Doreen setzt ihren Brummi, der auf 40 Tonnen zulegen kann, in Bewegung. An der Frontscheibe prangt ihr Spitzname: Hexe.
Fritz ist für sie mehr als ein Arbeitsplatz. „Ich lebe hier in der Woche 24 Stunden drin“, sagt die Truckerin aus dem Harz. Doreen hat sich darauf eingelassen, eine Fremde in ihrem zweiten Zuhause mitzunehmen, um Einblick in ihren Alltag zu geben. Auf den ersten Metern aber eine Bitte: Geht es ohne das Siezen?
Doreen ist wegen der Dunkelheit erst nur in Umrissen zu erkennen. Erst nach und nach werden ihre vielen Tätowierungen auf den Armen sichtbar. „Ich bin ein Engel“, erzählt Doreen. Auf ihrem Rücken habe sie große Flügel. Trotz der Uhrzeit ist auf der Straße schon etwas los. Nur rollende Laster bringen Zaster – Truckerweisheiten für die Reporterin auf dem Beifahrersitz.
Die Tour geht über Land. Lastwagen dürfen hier höchstens 60 Kilometer pro Stunde fahren. Doreen hat schon Unfälle gesehen und Ersthilfe geleistet. Im Verkehr zu rasen, das findet sie nicht in Ordnung. Bei einem Autounfall habe sie mal fast ihre Beine verloren. Sicherheit geht bei ihr vor.
Aus dem Fahrerhaus sind einige knappe Überholmanöver gut zu beobachten. Doreen kommentiert das Verkehrsgeschehen, wenn jemand allzu zögerlich fährt, wenn jemand den Blinker vergisst.
„Na komm – husch die Waldfee!“
„Haben wir denn einen Parkschein gezogen?“
„Hast du die Tinte vergessen?“
Welche Ware heute abgeholt werden muss? Doreen weiß es nicht genau: „Mir ist egal, was da hinten drin ist.“ Wenn es nicht gerade um Zollware oder Gefahrengut geht oder Schutz vor Diebstahl wichtig ist, spielt der Containerinhalt für die Abläufe keine Rolle. Nur manchmal frage sie nach: „Was hab ich denn gefahren?“ Da waren die Weihnachtsbäume aus Plastik aus China. Und neulich die Brauerei, die einen Container nach Australien schickte.
In Doreens Rücken befindet sich ihr Bett mit den Kuscheltieren. Davor ist wie ein Vorhang ein Handtuch gespannt. „Mia san mia“ ist darauf zu lesen. Der Engel ist Bayernfan.
Doreen erzählt offen von ihrem Leben. Vom zu frühen Tod ihres Mannes vor ein paar Jahren, von der Traurigkeit und Einsamkeit am Abend allein Zuhause. „Es war scheiße, auf Deutsch gesagt.“
Damals war sie als Busfahrerin im Linienverkehr unterwegs. Ihr Sohn habe schließlich gesagt: „Mutter, sieh jetzt zu! Mach irgendwas!“ Und er meinte damit, dass Doreen endlich auf die lange Strecke wechseln sollte, für die sie damals den Schein zur Berufskraftfahrerin machte. Immer nur um den Kirchturm kreisen, das sei nicht ihre Sache, sagt Doreen am Lenker von Fritz: „Ich brauche die Kilometer.“
Für die Bremer EKB Container Logistik ist Doreen noch nicht lange unterwegs. Zunächst ging es nach dem Appell ihres Sohnes vom Linien- in den Reisebusverkehr. Doreen machte das Spaß: lange Touren fahren, neue Orte entdecken. Dann aber kam Corona und damit die Kurzarbeit in der Branche. Doreen stieg vom Bus auf den Brummi um.
Schon ihr Vater saß hinter dem Steuer. Große Fahrzeuge seien immer ihre Sache gewesen. „Ein Leben ohne Raddrehen? Weiß ich nicht“, sagt Doreen. „Ich liebe diesen Beruf.“ Am Abend braucht die Lastwagenfahrerin die Müdigkeit von einem langen Tag auf der Straße. Warum? „Ich hab da keine Antwort drauf. Es ist einfach so drin in mir.“
Am Himmel steigt über den Feldern langsam und beeindruckend die Sonne auf. Eine helle Kugel am Horizont. Doreen sieht hinaus. Das seien die besonderen Momente im Fahrerleben: „Geil, das sieht nicht jeder.“
Was Doreen am Beruf stört? Doreen zeigt unterwegs auf einen „Wald-und-Wiesen-Parkplatz“: ein Streifen Asphalt am Wegesrand – mehr nicht. Ein paar Kollegen stehen dort. „Schön, dass an uns gedacht wird“, sagt Doreen ironisch. Für eine Pause sei der Platz ja in Ordnung. „Aber wenn man mal aus der Hose muss, hat man ganz schlechte Karten.“
Überhaupt fehlten Parkplätze für die Brummifahrer. Wer zu spät die Rastplätze ansteuert, der kriegt Probleme. Oft ist es dort so eng, dass Lastwagen sich an den Rand der Abfahrt stellen. „Wir müssen teils so parken“, sagt Doreen und verweist auf die Lenk- und Ruhezeiten.
Angekommen am Ziel. Doreen muss sich kurz beim Pförtner melden, dann geht es rauf aufs Firmengelände. Gerade sind alle Laderampen belegt. Ein Moment Wartezeit, bevor Doreen den Lastwagen in Position bringen kann. Zwei Fahrer im Brummi nebenan prosten mit ihren Kaffeebechern zu und lächeln.
Doreen nutzt die Zeit, pustet schnell ihre Fußmatte ab. Sauberkeit ist ihr sehr wichtig. Es dauert wieder etwas, dann ruckelt und rumpelt es, der Container auf Fritz Schultern füllt sich. Doreen legt auf ihrem Platz gerade eine Pause ein. Ein anderer Fahrer mit Jogginghose läuft vor Fritz entlang. „Boah! Nee!“, sagt die Fahrerin. Da ist Doreen ganz bei Karl Lagerfeld. Jogginghose geht gar nicht bei der Arbeit!
Die Ladung ist drauf. Eine Mitarbeiterin des Unternehmens muss den Container jetzt noch mit einer Plombe sichern. „Die Bombe kommt“, sagt Doreen. Für die Abwicklung der Aufträge haben die Fahrer eine App auf dem Handy. So können die Mitarbeiter bei EKB immer im Austausch bleiben. Weiter geht es.
Stundenlange Touren auf der Straße – das mag für manchen monoton klingen. Doreen sieht das anders. An ihrem Beruf mag sie die Abwechslung, die Begegnungen mit Menschen. Humor ist ihr dabei wichtig. Das Leben sei schließlich hart genug. Für jede Situation hat Doreen notfalls einen Spruch zur Rettung parat.
Zum Mittagsessen Schnitzel mit Bratkartoffeln? Currywurst mit Pommes? Das ist nichts für Doreen. Unterwegs isst sie gerne mal einen Salat. Neben ihr verbirgt sich zudem ein kleiner Kühlschrank mit ihrem Vorrat – auch einem guten Käse aus Frankreich. Doch zunächst geht es für Fritz und Hexe wieder hoch in den Norden.
Die Disposition aus Hamburg ruft an. „Jaaa“, sagt Doreen. Am anderen Ende gibt es eine Frage zum Aufleger. „Ich bin immer so. Das weißt Du doch!“ Doreen soll eine Nummer für den Kollegen nachsehen. „Das kostet 3,80 Euro. Kommt auf die Rechnung!“
Doreen gibt gerne und geduldig Antwort auf die vielen Fragen ihrer Beifahrerin. Im Gespräch mit anderen aber irritiert und provoziert sie mit Begeisterung, schießt mit ihren Sprüchen teils bewusst übers Ziel hinaus. „Als Frau“, sagt sie „darfst du dir in diesem Job nichts gefallen lassen.“
Kämpfen musste sie schon damals, als sie Berufskraftfahrerin werden wollte, denn ihr Arbeitsvermittler fand, dass Frauen eigentlich nicht ins Fahrerhaus gehörten: Eine Frau auf dem Lkw. Was soll das? Doreen sollte einen Lehrgang zu Sekretärin machen. Es kam anders.
Als Frau im Lkw ist sie immer noch eine Ausnahme. Unterwegs die Namensschilder der anderen: Ludger, Sergej, Grit, Andris, Uwe, Alex, Mara, Torbinator, Jürgen. Und eben Hexe. Eine Frau mit einem solchen Geschoss – da gebe es schon öfter Blicke. Sie kann sich erinnern, wie Kinder auf einem Parkplatz mal staunten: „Fährst du den? Ist das schwer?“ Von den Kollegen, den „männlichen Diven“, wie Doreen gerne sagt, gibt es hier und da anerkennendes Nicken. „Das ist putzig“, findet sie. Viel habe sich schon getan. Es gebe einige Kolleginnen.
Angst habe sie auch nicht, wenn sie allein unterwegs ist, wenn sie unter der Woche in der Schlafkabine übernachte. Am Wochenende ist Doreen meistens daheim im Harz. Die Kollegen planten da sehr gut. Fritz kommt mit. Doreens Lebensgefährte ist ebenfalls als Fahrer unterwegs. Die beiden lernten sich durch die Arbeit kennen. „Eigentlich ist unser Disponent unbewusst Kuppler gewesen“, sagt Doreen. Während ihrer Tour halten sie sich mit Sprachnachrichten auf dem Laufenden. Wie läuft der Auftrag? Wann ist Feierabend? Das Kennzeichen „Tommy“ klebt an der Frontscheibe des Lkw. So ist ihr Partner dabei.

Die Tätowierungen von Doreen Wöbke erzählen ihre Geschichte. Auf dem einen Arm ein Hut und das Lebensmotto: "Mach Dein Ding". Wöbke ist Fan von Udo Lindenberg.
Viele Kilometer später erreicht Doreen Bremerhaven. Dort muss der Container abgegeben werden. Öfter staut es sich hier im Hafen vor lauter Lkw. Wartezeiten gehören zum Alltag der Fahrer. Für den nächsten Auftrag muss Doreen noch einen Leercontainer mitnehmen. Wieder ist etwas Geduld gefragt. Die Minuten nutzt Doreen, um nach vielen Stunden bei Stop-and-go etwas zu essen. Eine Milchschnitte.
Als der Container befestigt ist, geht es damit wieder zurück nach Bremen ins Güterverkehrszentrum. Auf dem Weg ist noch eine Pause nötig: ab auf einen Parkplatz, kurz zur Toilette. Doreen nimmt sich noch rasch einen vegetarischen Wrap für später mit.
Wegen ihres Sohnes war Doreen viele Jahre Zuhause. Immer wieder gab es später Jobs, die sich mit der Familie vereinbaren ließen: Tintenkiller für Pelikan abpacken, Hotelzimmer reinigen, im Callcenter und im Wareneingang eines Supermarkts arbeiten. Richtig glücklich war Doreen, die gelernte Köchin ist, dabei nicht.
Erst nach mehr als zwölf Stunden ist für Doreen im GVZ dann wirklich der Feierabend in Sicht – ein ordentliches Programm. Doch Doreen fühlt sich wohl. „Ich möchte gegen nichts in der Welt diesen Beruf eintauschen“, sagt die Hexe mit den Flügeln. „Ich dreh am Rad.“ Und auf ihrem Arm stimmt eine tätowierte Songzeile von Udo Lindenberg ihr zu: „Mach Dein Ding.“