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Eine Folge der Pandemie Arbeitnehmer kündigen häufiger von sich aus

Corona hat dafür gesorgt, dass viele Menschen mehr Zeit hatten, um über ihre berufliche Situation nachzudenken. Immer mehr Arbeitnehmer sind offenbar bereit, von sich aus zu kündigen.
14.06.2022, 10:00 Uhr
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Arbeitnehmer kündigen häufiger von sich aus
Von Marc Hagedorn

Die Bereitschaft, von sich aus den Arbeitsplatz zu kündigen, ist unter den Beschäftigten in Bremen im vergangenen Jahr größer geworden. Diesen Schluss lassen Zahlen der Arbeitnehmerkammer zu, die dem WESER-KURIER vorliegen. 2021 sei ein „sehr auffälliges Jahr“ gewesen, sagt Kaarina Hauer. Sie leitet die Rechtsberatung bei der Arbeitnehmerkammer.

Mehrere Tausend Beratungen führen die Mitarbeiter der Arbeitnehmerkammer jedes Jahr durch, bei denen es um Kündigungen geht – entweder, weil der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis beendet hat oder weil die Arbeitnehmer kündigen wollen. „Der Abstand zwischen den Zahlen der Kündigungen durch den Arbeitgeber auf der einen und durch die Arbeitnehmer auf der anderen Seite hat sich stark reduziert“, so Hauer.

Corona hat in vielen Lebensbereichen wie ein Brennglas gewirkt. Viele hatten Zeit zum Nachdenken.
Kaarina Hauer, Arbeitnehmerkammer

Während 2020 noch 6254 Kündigungen von den Unternehmen ausgingen, waren es 2021 nur noch 4912. Dafür stieg die Zahl der Kündigungen durch die Arbeitnehmer von 2761 auf 3044. Die Bremer Arbeitsmarktexperten führen diesen Trend vor allem auf die Pandemie zurück. Aktuell liegen Zahlen zu Beratungsgesprächen bis Mai 2022 vor: Demnach haben 1505-mal die Unternehmen eine Beschäftigung beendet, 1126-mal ging die Initiative von den Beschäftigten aus.

„Corona hat in vielen Lebensbereichen wie ein Brennglas gewirkt“, sagt Hauer, „das gilt auch für die persönliche Situation der Beschäftigten. Viele hatten Zeit zum Nachdenken.“ Und sind offenbar zu der Erkenntnis gelangt, dass sie mit ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit unzufrieden waren.

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Die Entwicklungen in Bremen bestätigen einen Trend, den verschiedene Studien und Untersuchungen für ganz Deutschland festgestellt haben. Das Marktforschungs-und Beratungsunternehmen Gallup zum Beispiel führt jedes Jahr Umfragen zur Mitarbeiterzufriedenheit in Unternehmen durch. Der sogenannte Engagement Index 2021 kommt zu dem Ergebnis, dass sich 42 Prozent aller Befragten mit Wechselabsichten beschäftigen, das sind mehr als jeder Dritter. Jeder Vierte der Wechselwilligen ist dabei schon aktiv auf der Suche.

Die Beratungsgesellschaft Ernst & Young hat für ihre Studie mit dem Titel „Karrierewege Millenials 2022“ im deutschsprachigen Raum 2500 Personen im Alter von 18 bis 40 Jahren befragt. Demnach waren in dieser Altersgruppe sogar fast zwei Drittel der Befragten offen für einen neuen Arbeitgeber. Als wichtigstes Kriterium für einen geplanten Arbeitsplatz- oder Berufswechsel nannten dabei fast 60 Prozent das Arbeitsklima. Das Gehalt war für die Hälfte der Befragten ein entscheidender Grund. Genauso wichtig wie die Bezahlung ist jedem Zweiten die Work-Life-Balance, also die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.

Eine ,Great Resignation‘ sehe ich für Bremen nicht.
Cornelius Neumann-Redlin, Bremer Unternehmensverbände

Die Arbeitnehmerkammer Bremen nennt neben einer besseren Bezahlung vor allem gesundheitliche Belastungen als ein großes Motiv dafür, den Beruf oder den Arbeitsplatz zu wechseln. So sind laut Kammer die Beratungen zu psychischen Belastungen um fast 20 Prozent gestiegen, vor allem mit Angestellten in den Bereichen Pflege und Logistik. Arbeitsbelastung und Entlohnung stünden aus Sicht der Betroffenen nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis.

In den USA hat der Begriff „Great Resignation“ Karriere gemacht. Dort hatten im vergangenen Jahr mehrere Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz gekündigt, weil sie sich von den Unternehmen schlecht geschützt fühlten und mit ihren Arbeitsbedingungen unzufrieden waren. „Eine ,Great Resignation’ sehe ich für Bremen zwar nicht“, sagt Cornelius Neumann-Redlin, Hauptgeschäftsführer der Bremer Unternehmensverbände. „Was wir allerdings sehen, sind Abwanderungen in andere Branchen.“ In der Gastronomie etwa würden seit der Pandemie händeringend Servicekräfte gesucht.

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Grundsätzlich stellt Neumann-Redlin ein neues Selbstbewusstsein vor allem bei der jüngeren Generation und bei Berufseinsteigern fest. „Dass jemand um die 30 ist, unverheiratet und ohne Kinder und nur 30 Stunden in der Woche arbeiten möchte, wäre vor 20 Jahren fast unvorstellbar gewesen“, sagt Neumann-Redlin. Heute komme dies immer häufiger vor. Da in manchen Bereichen Fachkräftemangel herrsche, hätten Arbeitnehmer vielerorts inzwischen auch eine stärkere Verhandlungsposition als früher.

Für die Unternehmen bedeute dies, dass sie sich attraktiv machen müssten. Dies geschehe auch schon, sagt Neumann-Redlin, beispielsweise über bessere Aufstiegsmöglichkeiten im Betrieb, Angebote zur Fortbildung oder ein Gesundheitsmanagement mit verbilligten Mitgliedschaften in Fitnessstudios, kostenfreien Getränken oder gesunden Speisen. „Außerdem hat das Homeoffice etwas verändert“, sagt Neumann-Redlin. Spätestens seit der Pandemie sei der Arbeitsplatz zu Hause eine gern gewählte Option für einen Teil der Arbeitnehmer. „Die Unternehmen, die beim Homeoffice und bei Arbeitszeiten flexibel sind, haben im Wettbewerb um Mitarbeiter einen Vorteil.“

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