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Kinderbetreuung statt Arbeitsalltag Wie die Pandemie die Lage von berufstätigen Frauen verschlechtert hat

Hat die Pandemie die Lage von Frauen auf dem Arbeitsmarkt erschwert? Ja, sagen Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt, Unternehmerin Birgit van Aken, Betriebsrätin Dagmar Janßen-Benthien – und Yvonne Thiel, Mutter.
10.03.2022, 13:48 Uhr
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Wie die Pandemie die Lage von berufstätigen Frauen verschlechtert hat
Von Katia Backhaus

Irgendwann in der Pandemie ist den Frauen die Puste ausgegangen. Irgendwo zwischen Spielteppich und Kühlschrank, zwischen Schreibtisch und Stationszimmer. Dabei ist vor allem die Erwerbsarbeit auf der Strecke geblieben – oder anders gesagt: Die Situation von Frauen in der Arbeitswelt hat sich verschlechtert. Auch Studien belegen das. Getroffen hat es nicht nur die, die für Kinder oder Angehörige sorgen müssen, sondern auch jene, die systemrelevanten Berufen nachgehen – im Krankenhaus oder im Supermarkt zum Beispiel.

Für Yvonne Thiel hat es wegen der unzuverlässigen Kinderbetreuung in der Krise bislang nicht geklappt, wieder in den Job einzusteigen. Zu Beginn der Pandemie war sie Mutter eines wenige Monate alten Babys und eines Kleinkinds, das sie wegen der geschlossenen Kita außerplanmäßig ebenfalls zu Hause betreuen musste. Eigentlich wollte sie wieder arbeiten, wenn beide in die Kita gehen können, was inzwischen der Fall ist. "Aber es bringt ja nichts, wenn ich mich jetzt bewerbe. Dann ist der erste Tag und ich kriege morgens einen Anruf: Die Kita ist geschlossen." Das mache doch kein Arbeitgeber mit, sagt Thiel, solche spontanen Ausfälle, und zwar immer wieder. Sie sei alleinerziehend, das mache die Situation noch komplizierter. "Ich denke mir: Die haben beide einen Kitaplatz. Wofür?"

Senatorin Vogt: "Corona hat strukturelle Probleme verstärkt"

"Die Corona-Krise hat strukturelle Probleme verstärkt, aber auch ein Rollback mit sich gebracht", sagt Kristina Vogt (Linke), Senatorin für Wirtschaft und Arbeit in Bremen. Frauen verdienten häufig weniger als Männer, unter anderem, weil Arbeit im Care-Bereich – zum Beispiel in der Pflege oder der Kinderbetreuung – schlechter bezahlt werde und weil sie seltener in tarifgebundenen Betrieben arbeiteten. Weiterhin gelte die Sorgearbeit zuhause eher als Frauensache. Und in der Krise hätten alte Rollenbilder wieder stärker an Einfluss gewonnen.

Das zeigen auch Untersuchungen: Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 reduzierten 24 Prozent der Frauen und 16 Prozent der Männer mit Kindern wegen deren Betreuung ihre Arbeitszeit. Knapp zwei Jahre später, im Januar 2022, taten dies 19 Prozent der Mütter und sechs Prozent der Väter. Diese Zahlen hat das Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung herausgegeben. Ergänzend lässt sich die Statistik des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit zur Hand nehmen: In jedem dritten Betrieb im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen haben spontane Ausfälle von Beschäftigten Anfang des Jahres für mittlere oder größere Störungen im Betriebsablauf gesorgt. Der Frauenanteil in diesem Bereich liegt über 70 Prozent.

Wie sich solche Ausfälle in der täglichen Arbeit auswirken, hat Dagmar Janßen-Benthien, Betriebsrätin und Frauenbeauftragte im Klinikum Bremen-Ost, erlebt. Die Schließungen von Kitas und Schulen seien eine "mittlere Katastrophe" gewesen. Mehr als drei von vier Beschäftigten dort seien Frauen – und ins Homeoffice zu wechseln war keine Option. Das Klinikum, auf sich gestellt, organisierte spontan eine Notbetreuung, um Ausfälle zu verhindern. "Damit haben wir viel abgefangen", sagt Janßen-Benthien.

Je geringer das Familieneinkommen ist, desto traditioneller ist die Aufteilung der Care-Arbeit, da es ja auf jeden Euro ankommt und Männer meistens eben mehr verdienen.
Senatorin Kristina Vogt

Dass es grundsätzlich eher Frauen seien, die den Arbeits- gegen den Spielplatz eintauschten, sei kein Zufall, sondern kalkuliert, erklärt Senatorin Vogt: "Familien geben wegen der Kinderbetreuung meistens das geringere Gehalt auf." So hänge der Rückschritt in Sachen Gleichstellung während der Krise eng mit der wirtschaftlichen Situation eines Haushalts zusammen. "Je geringer das Familieneinkommen ist, desto traditioneller ist die Aufteilung der Care-Arbeit, da es ja auf jeden Euro ankommt und Männer meistens eben mehr verdienen."

Minijobberinnen verlieren ihre Arbeit, Frauen verschwinden im Homeoffice

Während der Lockdowns schrumpften die Gehälter weiter: Das Kurzarbeitergeld beträgt regulär 60 Prozent des Entgelts, für Eltern 67 Prozent. Frauen, auch das zeigen Studien, erhielten seltener Kurzarbeitergeld. Häufiger als Männer gingen sie sogar ganz leer aus, weil sie öfter in Minijobs tätig sind und deshalb kein Kurzarbeitergeld erhalten. Neun Prozent der Minijobs von Frauen fielen während der Krise in Bremen komplett weg.

Auch weibliche Selbstständige verzeichneten im Schnitt größere Einkommenseinbußen als männliche. Sie zogen daraus laut DIW Konsequenzen: Rund 80 Prozent der zu Beginn der Pandemie selbstständigen Männer gehen dieser Erwerbsform auch noch Anfang 2021 nach. Bei Frauen trifft dies nur auf etwa 68 Prozent zu. "Selbstständige Frauen haben überproportional unter der Krise gelitten", sagt Birgit van Aken, Vorsitzende des Verband deutscher Unternehmerinnen Bremen-Weser-Ems. Viele Unternehmerinnen hätten eine Dreifachbelastung erlebt und sich um den Fortbestand des Geschäfts, die Gesundheit und Sicherheit ihrer Beschäftigten und Kinderbetreuung kümmern müssen.

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Ein grundsätzliches Problem sieht van Aken auch darin, dass Frauen in der Pandemie wenig sichtbar und kaum vertreten gewesen seien, etwa in Gremien und Expertenräten. Dadurch drohe "das Thema der arbeitenden Frau mit Kindern völlig aus dem Blick zu geraten". In den Betrieben habe auch das Homeoffice dazu beigetragen. Weibliche Beschäftigte hätten sich häufiger an den heimischen Schreibtisch zurückgezogen als ihre Kollegen. "Die Kombination aus Homeoffice und Teilzeit kann dazu beitragen, dass Frauen einfach von der Bildfläche verschwinden" – zum Beispiel, wenn es um den nächsten Karriereschritt gehe, sagt van Aken.

Steigender Druck: "Ich glaube, viele Frauen können nicht mehr"

Auf der anderen Seite stehen jene Frauen, für die die Arbeit von zu Hause aus keine Option war, weil sie in den systemrelevanten Berufsgruppen arbeiten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) beziffert den Frauenanteil in diesem Bereich mit knapp 75 Prozent. Laut Bundesagentur für Arbeit sind im Lebensmitteleinzelhandel 73 Prozent der Beschäftigten weiblich, in der Kinderbetreuung 92 Prozent und 76 Prozent des Gesundheitspersonals.

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Betriebsrätin Janßen-Benthien erlebt den Druck im Klinikum jeden Tag. Die Situation sei wegen des Fachkräftemangels schon vor Corona angespannt gewesen, sagt sie, etwa für alleinerziehende Ärztinnen, die wegen ihrer Dienste Kinderbetreuung am frühen Morgen, abends oder in der Nacht organisieren müssten: "Ein Krankenhaus ist ein Rund-um-die Uhr-Unternehmen, 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Da können wir es leider nicht leisten, allen jungen Eltern die Bereitschafts- und Nachtdienste zu ersparen." Mit der Pandemie sei die Belastung in der täglichen Arbeit weiter gestiegen, aus der Belegschaft würden mittlerweile mehr langfristige Erkrankungen wie Burn-outs gemeldet. Für sie ist eindeutig: „Das hat mit der hohen Belastung in der Pandemie zu tun. Ich glaube, viele Frauen können nicht mehr."

Zur Sache

Neue Chancen für Frauen

Die Konsequenz aus Belastung, weggebrochenem Job oder wenig Kurzarbeitergeld war für einige Frauen auch ein Arbeitsplatzwechsel. Angesichts des Fach- und Arbeitskräftemangels könnten Frauen jetzt sogar eine größere Gestaltungsmacht auf dem Arbeitsmarkt gewinnen, meint Senatorin Vogt. „Wir müssen die Chance nutzen in Branchen, in denen gut gezahlt wird, in der IT, in Zukunftsbranchen", sagt sie. Kurse zur Aus- und Weiterbildung in der IT, die das Ressort während der Krise mit Mitteln aus dem Bremen-Fonds aufgesetzt hatte, seien schnell ausgebucht gewesen. Damit aber sei es nicht getan: Auch mehr Tarifbindung und wirksame gesetzliche Vorgaben zur Entgeltgleichheit seien nötig, um die Lage von Frauen auf dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zu verbessern, sagt Vogt.

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