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Energie aus Kohle Wie man im Kraftwerk in Hastedt mit dem politischen Hin und Her umgeht

Eigentlich sollte der Ofen im SWB-Kohlekraftwerk in Hastedt schon aus sein. Aber dann kam alles anders. Die Männer vom Block 15 müssen noch mal ran.
11.03.2023, 05:00 Uhr
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Wie man im Kraftwerk in Hastedt mit dem politischen Hin und Her umgeht
Von Christoph Barth

Das Inferno – so oder so ähnlich muss es wohl aussehen. Wenn Detlef Schramm eine der Klappen am Kessel öffnet, sieht er ihm direkt in den Rachen: rot lodernd und 1200 Grad heiß. Für den Technischen Leiter des SWB-Kraftwerks Hastedt jedoch ist das Feuer seit jeher ein gutes Zeichen. Denn es bedeutet: Das Kraftwerk arbeitet, liefert Strom und Wärme für die Bremer Haushalte. Dafür wurde es gebaut. Doch der Ofen sollte eigentlich längst aus sein.

Der Heizkessel von Block 15 – so nennen sie hier ihr Kraftwerk – ist ein Riese: 60 Meter hoch steht er in einer eigens dafür gebauten Halle mit einem qualmenden Schornstein oben drauf. Aber trotz seiner Größe verschwindet er fast in einem Labyrinth aus Rohren, die sich kreuz und quer durch die Halle ziehen und rätselhafte Aufschriften tragen: "KH-Entspanner", "Sekundärluft zum Kohlebrenner 1/2", "Frischdampf zur Turbine". Nur wer wie Detlef Schramm seit mehr als 40 Jahren in dem Kraftwerk arbeitet, behält da noch den Überblick. Er war hier schon Lehrling, Produktionstechniker, Kraftwerksmeister, Schichtleiter, jetzt Technischer Leiter – "da ist man schon stolz auf die Anlage", sagt er und lächelt ein wenig zurückhaltend. Weil vielleicht nicht jeder in der Stadt diesen Stolz verstehen kann. Block 15 ist ein Kohlekraftwerk, das letzte im Bestand des Energieversorgers SWB. Dass es überhaupt noch läuft, hat mit der großen Weltpolitik zu tun, dem Krieg in der Ukraine und der plötzlichen Angst vor kalten Wohnungen, die nach dem russischen Überfall auf das Nachbarland um sich griff.

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Draußen vor dem Kesselhaus stehen die Kohlesilos, vier Stück, jedes fasst 3500 Tonnen. Mit ihren blaugrauen Ringelstreifen setzen sie fast so etwas wie einen Farbtupfer ins Einheitsgrau der Kraftwerksbauten. Am Weserufer liegen zwei Binnenschiffe, die gerade entladen wurden: Tag für Tag – außer am Wochenende – schaffen sie Steinkohle aus dem weserabwärts gelegenen Hafen von Nordenham heran. 1000 Tonnen braucht das nimmersatte Feuer im Kesselhaus jeden Tag, damit es nicht erlischt. Bis vor einem Jahr kam der Brennstoff meist aus Russland. Jetzt bringen die Frachter Kohle aus Südafrika oder Nordamerika. Und Kraftwerksmeister Schramm muss sehen, wie er damit klar kommt. "Nur weil Steinkohle immer schwarz aussieht, heißt das nicht, dass jede Kohle gleich ist", erklärt er. Je nach Schwefelgehalt etwa muss er seine Anlage anders einstellen und regulieren – "fahren" in der Sprache der Kraftwerker –, damit die Filter ordentlich funktionieren und alles aus dem Rauchgas herausfischen, was möglich ist.

Aber die richtige Kohle für den Kessel zu finden, ist fast noch das geringste Problem. Denn eigentlich sollte am 31. Dezember vergangenen Jahres Schluss sein im Block 15. Feuer aus, nach 34 Jahren. Die Politik fordert den Kohleausstieg. Ein modernes Blockheizkraftwerk gleich nebenan sollte die Versorgung übernehmen: Neun Gasmotoren, die viel sauberer arbeiten als der Kohlekessel von Block 15. Das Problem: Gas war nach dem Lieferstopp der Russen auf einmal knapp und teuer – so teuer, dass alle Wirtschaftlichkeitsberechnungen für das neue Kraftwerk hinfällig wurden. Im Moment läuft es auf Sparflamme.

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Stattdessen muss nun das alte Kohlekraftwerk länger am Netz bleiben. Und Marcus Bol ist der Mann, der seinen Leuten das Hin und Her erklären soll. Der hagere Maschinenbauingenieur ist der Kraftwerksleiter in Hastedt, seit 27 Jahren schon, und noch viel länger arbeitet er bei der SWB. "Ein bisschen sind wir hier wie eine große Familie", sagt er und meint es so, wie er es sagt, auch wenn es etwas klischeehaft klingt. Viele seiner Männer – im Kraftwerk arbeiten nur zwei Frauen – waren schon dabei, als Block 15 ans Netz ging. Sie arbeiten in Schichten à sechs Mann, rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. "Wie im Krankenhaus", sagt Bol. So sehen sie das hier: Dass sie wichtig sind für die Stadt. Systemrelevant. Das schweißt zusammen.

Bol öffnet eine Tür im Gehäuse der Turbine. Auch sie nimmt eine eigene Halle ein, gleich neben dem Kesselhaus. Unter dem Gehäuse ist es heiß wie in der Sauna und infernalisch laut. Angetrieben vom Hochdruckdampf aus dem Kessel, rotieren die Schaufelräder der Turbine mit 3000 Umdrehungen in der Minute; ein Generator verwandelt die Drehbewegung in Strom. Der Dampf geht danach ins Fernwärmenetz. So wird die Hitze aus dem Kessel optimal genutzt. "Kraft-Wärme-Kopplung" nennen Experten diese Kombination; in den 1980er-Jahren war das der neueste Stand der Technik. Sogar die Bremer Grünen waren damals für den Bau des Kraftwerks – kurz nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl erschien ihnen das immer noch besser zu sein als Atomstrom.

Heute wollen alle raus aus der Kohle. Das nagt am Selbstverständnis der Kraftwerker. "Manchmal haben wir Besuchergruppen – da wundern sich die Leute, dass wir hier nicht mit Grubenlampen und Ruß im Gesicht rumlaufen", erzählt Bol. Im Sportverein oder am Gartenzaun müssen sie sich Fragen gefallen lassen – nach der Klimabilanz ihres Kraftwerks und wann denn endlich Schluss ist mit der Kohleverbrennung in Hastedt. Denn eines lässt sich ja nicht leugnen, da können sie noch so viel filtern und absaugen: Am Ende rauschen 750.000 Tonnen Kohlendioxid aus dem Schornstein, jedes Jahr. 

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Dass Block 15 deshalb stillgelegt werden soll, tut weh, räumt Kraftwerksleiter Bol ein. Und wieder ist er bei "der Familie", die mit dem Werk ihren Mittelpunkt verliert. Die Kraftwerker in Hastedt hatten ihre Versetzungsschreiben alle schon in der Tasche. Sie sollten ins Müllheizkraftwerk im Blockland, in die Klärschlammverbrennung in den Industriehäfen, ein paar auch in das neue Blockheizkraftwerk; die Älteren sollten ihr Werk stilllegen, aufräumen, demontieren. "Wollt ihr mich auch gleich entsorgen?" Diese Frage musste Bol sich ein paarmal anhören. Es gab viel zu bereden in der Familie.

Dass dann alles anders kam, machte die Sache nicht leichter. Schließlich waren die Männer aus dem Heizkraftwerk auf ihren neuen Stellen eingeplant, wurden sogar sehnlichst erwartet, weil überall Leute fehlen. Stattdessen müssen nun sogar die ausgelernten Azubis in Hastedt ran, die eigentlich für andere Jobs eingeplant waren – es sind schließlich zwei Kraftwerke zu betreiben, ein neues und ein altes.

Wie lange noch? Die Frage geht an Karsten Schneiker, seit vergangenem Jahr SWB-Technikvorstand und damit oberster Chef der Kraftwerker. In seinem vorherigen Job beim Energieversorger Vattenfall hat er schon einmal ein Kohlekraftwerk stillgelegt, die eigentlich nagelneue Anlage in Hamburg-Moorburg. Er sieht die Diskussion um die Kohleverstromung in einem Spannungsdreieck aus Versorgungssicherheit, Preisen und Klimaschutz. Als er Moorburg abschaltete, stand der Klimaschutz im Vordergrund. "Im Moment geht die Diskussion mehr in Richtung Versorgungssicherheit", sagt er. Um die zu gewährleisten, wird Block 15 wohl auch im nächsten Winter noch am Netz sein. Die Kraftwerker in Hastedt werden noch gebraucht.

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