Um ein Schiff zu verschrotten, benötigte man bislang: einen flachen Sandstrand, ein paar Arbeiter mit Schneidbrennern sowie lokale Behörden, die Arbeitsunfälle und Ölpfützen nicht so wichtig nehmen. So war es zumindest lange Zeit, wenn im indischen Alang und auf anderen berüchtigten Schiffsfriedhöfen Südostasiens ausrangierte Frachter zerlegt wurden. Einiges hat sich mittlerweile gebessert. Und ein Unternehmen aus Bremen glaubt jetzt, aus der "Drecksarbeit" mit viel High-Tech eine saubere Sache machen zu können. Das Ziel: Schiffsstahl soll künftig an der Nord- und Ostseeküste recycelt werden. Mit dem Ostseehafen Stralsund haben die Bremer jetzt einen ersten Standort gefunden.
Karsten Schumacher und Simeon Hiertz sind Schiffbauingenieure und kennen sich seit ihrem Studium in Bremen. Beide haben jahrelang für den Germanischen Lloyd (heute DNV) Schiffe inspiziert. Doch die teils apokalyptischen Bilder von den Schrottstränden in Indien und Bangladesch ließen sie immer wieder ins Grübeln kommen. "Ich habe mir gesagt: Es kann doch nicht sein, dass das der Stand der Technik ist", erinnert sich Hiertz. Jetzt soll aus ihren "Bier-in-der-Hand-wir-retten-die-Welt-Gesprächen am Grill" ein Geschäft werden: Mit ihrer 2021 gegründeten Firma Leviathan wollen die beiden Ingenieure aus dem Zerlegen eines Schiffes von Hand einen industriellen Prozess machen, bei dem Roboter den gefährlichsten Teil der Arbeit übernehmen.
Noch besteht ihr Unternehmen nur aus den beiden Gründern und einer Minijobberin für die Buchhaltung. Die Firmenadresse Konsul-Smidt-Straße 20 führt zu einem Co-Working-Space in einem Bürohaus in der Überseestadt. Aber die beiden sind davon überzeugt, dass ihre Idee fliegen wird: "Wir stehen in den kommenden fünf bis zehn Jahren in Europa vor einer Verschrottungswelle von alter Schiffstonnage – die ist unvorstellbar", prognostiziert Schumacher. Der Bedarf sei so groß, dass mehrere Standorte in Deutschland und Europa davon leben könnten.
Nachfrage nach Schrott steigt
Gleichzeitig steige die Nachfrage nach Schrott. Das Arcelor-Mittal-Stahlwerk in Bremen etwa will seine Hochöfen und Stahlkonverter ab Mitte der 2020er-Jahre stilllegen und auf Elektro-Öfen setzen, in denen Eisenschwamm und Schrott zu grünem, CO2-armem Stahl eingeschmolzen werden. Diesen Bedarf wollen Schumacher und Hiertz mit ihrem Verfahren decken.
Der technische Clou: Statt mit einem Schneidbrenner arbeiten ihre Roboter mit einem Wasserstrahl und unwiderstehlichen 2500 bar Druck. Das Wasser schießt mit zweieinhalbfacher Schallgeschwindigkeit aus den Düsen. "Das geht durch bis zu einem Meter dicken Stahl", versichert Hiertz. So sollen die Roboter ein Schiff erst in Blöcke und dann in handliche Teile zerlegen. Sortiert und gereinigt, kann der Schrott am Ende verkauft werden.
Im Juni vergangenen Jahres konnten Hiertz und Schumacher auf einer Kieler Werft an einer ausrangierten Wasserbauschute demonstrieren, wie das Verfahren funktionieren könnte. Ganze Schiffe allerdings haben sie noch nicht zerlegt. Denn neben den technischen Herausforderungen steht die Bürokratie: "Was wir machen, ist gewerbliche Abfallentsorgung, und die ist genehmigungspflichtig", sagt Schumacher. Weil aber Schiffe bislang in Asien und gelegentlich in der Türkei verschrottet wurden, fehlt den Behörden hierzulande das passende Verfahren. "Das hat einfach noch keiner gemacht", erklärt Schumacher. "Es gibt eine EU-Verordnung, aber in den deutschen Gesetzen ist das nicht vorgesehen."
Und ein gutes Image haben die Abwracker auch nicht. Als "Schiffs-Schlachterei an der Elbe" wurde ihr Projekt von einer Zeitung vor zwei Jahren zerlegt – seinerzeit war Cuxhaven als Standort im Gespräch. Die Suche nach geeigneten Docks gestaltet sich schwierig. Am Dienstag konnten die beiden Ingenieure eine Übereinkunft mit der Stadt Stralsund präsentieren: Auf dem ehemaligen MV-Werften-Gelände soll ein erster Standort für das Schiffsrecycling nach der Hochdruck-Wasserstrahl-Methode entstehen.
Hauptsitz des Unternehmens und Firmenzentrale aber soll Bremen bleiben. Und auch einen Produktionsstandort würden Schumacher und Hiertz gerne an der Weser aufbauen. Die Grünen machten sich vor der Bürgerschaftswahl dafür stark. Das Wirtschafts- und Häfenressort arbeitet an einer Potenzialstudie, die in Kürze vorliegen soll. Als Standorte kämen die Industriehäfen in unmittelbarer Nähe zum möglichen Hauptabnehmer des Schrotts, den Stahlwerken, infrage, wo der Platz allerdings knapp und die Wohnbebauung nicht allzu fern ist. Gesucht wird auch in Bremerhaven. Dort ist mit dem "Energy Port" ein ganz neues Hafenprojekt rund um das Thema Energiewende und Recycling in Planung.
"Es ist ein dickes Brett, das da zu bohren ist, noch dicker, als wir gedacht haben", resümiert Hiertz. Aber selbst vor den dicksten Platten wollen sie mit ihren Schneidrobotern auf keinen Fall kapitulieren.