Rund zehn Millionen Menschen arbeiten derzeit nach Angaben der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) für einen Stundenlohn bis 14 Euro. Das geht aus einer Untersuchung des Pestel-Instituts aus Hannover hervor, die die NGG in Auftrag gegeben hatte. Die Ergebnisse stellte die NGG am Mittwochmittag auf ihrem Gewerkschaftstag in Bremen vor, der noch bis Freitag andauert.
Guido Zeitler, Vorsitzender der NGG, betont, dass die Gewerkschaft viel dafür getan habe, die Inflation „abzupuffern“. Zwar seien wie in der Süßwarenindustrie Erfolge erzielt worden, doch sehe man zum Beispiel in der Zuliefererbranche wie bei Lieferando noch dringend Verbesserungsbedarf. Ein angemessener Mindestlohn liegt laut EU-Richtlinie bei 60 Prozent des Medianlohns, das ergäbe laut NGG-Vorsitzendem Guido Zeitler 14 Euro.
Noch wichtiger als die Lohnerhöhung sei aber eine Rückkehr zu Tarifverträgen. „Dumpinglöhne statt Tariflöhne“ sei das, was den Angestellten derzeit bezahlt werde. Deshalb fordert er Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf, das Tariftreuegesetz auf Bundesebene nicht länger zu verhindern, weil immer mehr Arbeitgeber Tarifflucht begehen würden.
Zehn Millionen Menschen verdienen derzeit weniger als 14 Euro die Stunde – „gut ein Fünftel aller Erwerbstätigen“, sagt Zeitler. Die Erhöhung des Mindestlohns habe laut Matthias Günther vom beauftragten Pestel-Institut eine Veränderung mit sich gebracht: 15 statt bisher 19 Prozent der Menschen befinden sich demnach noch im Niedriglohnsektor. Wer heute wenig verdiene, lande später in der Altersarmut. Günther sagte, dass selbst 14 Euro Mindestlohn nicht vor Armut im Alter schützen würden. Erst ein Lohn von 16,50 Euro würde zu einer Brutto-Rente führen, die sich von Bürgergeld plus Unterkunft abhebe.
Aus der Studie geht hervor, dass das Land Bremen den höchsten Anteil an 25- bis 34-Jährigen ohne Berufsabschluss hat. Sind es im Bundesschnitt rund 20 Prozent, so liegt der Anteil in Bremen etwa fünf Prozent darüber.
Dass die geburtenstarken Jahrgänge bald aus der Erwerbstätigkeit ausscheiden, kann durch die Zahl der heute 18- bis 23-Jährigen nicht kompensiert werden: In diesem Zusammenhang warnt Matthias Günther vor einem massiven Fachkräftemangel. Bis 2035 würden demnach 5,9 Millionen Menschen fehlen.
In der Hotellerie und Gastronomiebranche würden die Betriebe versuchen, den Verlust von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten durch Mini-Jobber und angelernte Teilzeitkräfte aufzufangen, sagt die stellvertretende NGG-Vorsitzende Claudia Tiedge. Die Zahl der Hilfskräfte in den vergangenen vier Jahre habe sich von 242.000 auf 480.000 fast verdoppelt. Dabei sieht sie einen deutlichen Zusammenhang von Gleichberechtigung und fairer Bezahlung: „Die 1950er-Jahre rufen an und wollen ihr Rollenmodell zurück.“ Frauen verdienten weniger und gingen bei Mutterschaft eher in Teilzeit, als es die Männer tun würden, so Tiedge.
„Wer künftig ohne Tarif arbeiten lässt, verliert über kurz oder lang seine Leute“, erklärt Claudia Tietge und schlägt „Lohn- und Arbeitskräftealarm“. Wenn es so weitergehe, werden Backstuben und Brauereien in Zukunft noch leerer sein. Das Gegenmittel sei attraktive Arbeit mit attraktiven Löhnen.