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Essenslieferant in Bremen Warum Lieferando-Fahrer mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden sind

Lieferando-Fahrer bekommen von November bis März 50 Cent mehr. Doch die sind mit den Arbeitsbedingungen weiterhin unzufrieden.
18.12.2022, 20:31 Uhr
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Warum Lieferando-Fahrer mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden sind
Von Moritz Kalvelage

Sonntagabend 18 Uhr: Der Kühlschrank ist leer, aber der Hunger groß. Supermärkte sind geschlossen – also schnell der Griff zum Handy, um Essen zu bestellen. Einfach geht das mit der App des Marktführers Lieferando. Allein für Bremen sind über 200 Restaurants gelistet, von denen man sich das Essen bestellen und liefern lassen kann. Nach einer Bestellung liefern die Restaurants selbst aus – oder Fahrerinnen und Fahrer mit orangener Jacke und quadratischem Rucksack machen sich auf den Weg.

Nun hat der Essenslieferant angekündigt, seinen Fahrerinnen und Fahrern von November bis März 50 Cent pro Stunde mehr zu zahlen, also dann 12,50 Euro – darüber hinaus werde die Ausstattung der Angestellten um Thermounterwäsche erweitert. "Generell ist jede Lohnerhöhung gut, gerade in Zeiten von Inflation", sagt Martin Seeliger, der zum Wandel der Arbeitsgesellschaft an der Universität Bremen forscht. Doch solle man sich davon nicht täuschen lassen: "Faire Löhne gibt es nicht, die müssen erstritten werden", sagt Seeliger.

Betriebsrat neu gegründet

Gestritten haben sie, die Fahrerinnen und Fahrer – und am Freitag einen Bremer Betriebsrat gegründet und gewählt. "Das ist schon ein großer Schritt", sagt Tobias Horoschko, der seit 2017 für Lieferando unterwegs ist. Horoschko kritisiert, dass Lieferando die Arbeit und Gründung von Betriebsräten erschwere. In vielen Städten gibt es kein Lieferando-Büro, Räumlichkeiten für die Arbeitervertretung müssen also angemietet werden. Wann und ob Lieferando die Mietkosten zahle, sei offen.

Seit ungefähr einem Jahr läuft die Kampagne "Liefern am Limit". Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Lieferando-Fahrern, die sich unter dem Dach Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) zusammengeschlossen haben. "Liefern am Limit" fordert einen Stundenlohn von 15 Euro, mehr Urlaub sowie ein 13. Monatsgehalt. "Unser großes Ziel ist es, Lieferando zum ersten Lieferdienst zu machen, der tarifiert ist", sagt Johann Möller, der als Gewerkschaftssekretär bei der NGG die Belange von Fahrerinnen und Fahrern vertritt. Ein Tarifvertrag wäre bahnbrechend für die Branche, aber bis dahin läge noch ein gutes Stück Arbeit vor allen Beteiligten.

Oliver Klug ist Pressesprecher bei Lieferando Deutschland und betont, dass kein Konkurrent eine vergleichbare Vergütung zahle. Der Lieferdienst entrichte zwar lediglich den Mindestlohn von 12 Euro, ab der 26. Zustellung kommen jedoch gestaffelt Boni hinzu, sodass Fahrerinnen und Fahrer im bundesweiten Durchschnitt mehr als 14 Euro verdienen würden. Gerade dieses Bonussystem wird von Gewerkschaftssekretär Möller kritisiert: "Es lädt dazu ein, nicht so auf die eigene Sicherheit und die Straßenverkehrsordnung zu achten, um den Bonus zu erreichen. Daher gibt es die Lohnforderung von einheitlich 15 Euro." Auch Martin Seeliger von der Universität Bremen hat seine Bedenken mit dem Bonussystem: Das funktioniere vielleicht für die Leute, die da Bock drauf hätten, "aber wenn man in der Spätschicht nach fünf Kaffee einem Bonus hinterherfährt, werden die Risiken deutlich an die Beschäftigten ausgelagert."

80 Kilometer pro Schicht

Eine Schicht dauert zwischen drei und neun Stunden, auf dem Fahrrad legen die Fahrerinnen und Fahrer zu 80 Kilometer am Tag zurück, wie Zoltan Poor sagt, der auch in Bremen ausliefert. Natürlich sei mehr Lohn immer gut, Poor wünscht sich für seine Arbeit vor allem aber eine bessere Gesundheits- und Sicherheitssituation. Bei einer Vollzeitstelle verdienen die Fahrer zwischen 1500 und 1700 Euro, hinzu kommen die Pauschalen für die Nutzung des eigenen Fahrrads oder Smartphones, wie auch das Trinkgeld, das im Schnitt bei einem Euro pro Bestellung läge.

Lieferando ist ein Essenlieferdienst und organisiert über sein Onlineportal die Bestellung und die Zustellung von Mahlzeiten. 14 Prozent des bestellten Wertes gehen an den Dienstleister, wenn Restaurants auf dem Portal gelistet sind, Fahrerinnen und Fahrer des Restaurants das Essen selbst zustellen. Wenn Lieferando die Zustellung übernimmt, also selbst Fahrradkuriere fahren lässt, müssen Restaurants 30 Prozent des Bestellwertes an die Plattform zahlen.

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Die 10.000 Fahrerinnen und Fahrer in Deutschland sind in festen und regulären Verträgen angestellt. Dabei muss jede und jeder mindestens fünf Stunden pro Wochen arbeiten. Bei durchschnittlich zwei Auslieferungen pro Stunde würden alle Fahrer die Bonusstufe erreichen, sagt Pressesprecher Klug. Lieferando zahle zudem weitere 50 Cent für die hochfrequentierte Bestellzeit am Wochenende, ebenso wie einen Winterbonus von 300 Euro für Vollzeitbeschäftigte, bei einer Teilzeitbeschäftigung wird anteilig ausgezahlt.

Aufenthaltsstatus in Gefahr

Lange war die Ausrüstung der Flotte ein Streitpunkt zwischen Arbeitgeber und Angestellten, es kam zu Klagen und zu Urteilen am Arbeitsgericht – zugunsten der Kläger: Lieferando muss die Arbeitsmittel stellen. Mittlerweile würden Oliver Klug zufolge alle Fahrerinnen und Fahrer mit Smartphones und einem Fahrrad ausgestattet. Wenn jemand das eigene Rad für die Auslieferung fahren möchte, gibt es für die Nutzung eine Kilometerpauschale.

Gerade in der Branche der Lebensmittelkuriere seien schlechte Arbeitsbedingungen gut zu installieren. Die Konditionen bei anderen Lieferunternehmen würden sich kaum von denen Lieferandos unterscheiden, sagt Seeliger von der Uni Bremen: "Prekäre Arbeit ist auch in anderen Feldern möglich, aber diese Berufsgruppe ist stark migrantisch geprägt - von Menschen, deren Aufenthaltsstatus am Job hängt". Menschen, die im Niedriglohnbereich arbeiteten, hätten zudem wenig Zeit, sich mit Arbeitsrecht oder der Verbesserung der eigenen Lebenssituation zu befassen – mit sprachlichen Barrieren noch weniger.

Ob es ein Kampf gegen Windmühlen sei? "Auf jeden Fall", sagt Horoschko und fügt an: "Aber den gewinnen wir."

Zur Sache

Alternativangebot

Eine lokale Alternative zu großen Lieferdiensten bietet "Dein Viertel Liefert". Die Plattform verlangt von Restaurant weniger Provision als zum Beispiel Lieferando. 30 Prozent verlangt Lieferando für die Anzeige auf der Plattform und das Liefern der Bestellungen – beim Bremer Pendant sind es 20 Prozent. In eben diesem Anliegen sei die Seite gegründet worden, "damit auch die kleinen Betriebe vom Liefergescha?ft profitieren können", sagt Alireza Rabie , Organisator vom Bremer Lieferdienst.

Das Konzept ist im Lockdown entstanden, 2020 ging die Seite online. Mittlerweile sind knapp zehn Lokale gelistet. Die verpartnerten Lokale werden darauf hingewiesen, die Verpackungen ihrer Mahlzeiten nachhaltig und umweltfreundlich zu gestalten. Fünf Fahrer sind für "Dein Viertel Liefert" unterwegs, die Liefergebühr beträgt einheitlich 1,49 Euro, von denen ein Euro an die Fahrerin oder den Fahrer gehe. Für kurze Strecken sind die Lieferanten mit dem Fahrrad oder dem E-Bike unterwegs, längere Strecken werden mit Hybrid-Autos gefahren. Das Trinkgeld steht alleine den Fahrerinnen und Fahrern zu.

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