Aus der Luft betrachtet, scheint der Containerumschlag in Bremerhaven zu florieren: Die Stromkaje ist bis auf den letzten Quadratmeter vollgestellt mit bunten Stahlboxen. Aber das Bild täuscht: Ein guter Teil davon wartet lediglich darauf, endlich abgeholt zu werden. Wegen der unzuverlässig gewordenen Transportwege stauen sich die Container im Hafen. Der Umschlag an der Stromkaje schwankt zurzeit außergewöhnlich stark. Um 50.000 bis 60.000 Standardcontainer ging es zuletzt von Monat zu Monat rauf und runter. Unter dem Strich aber wuppten die Kräne im ersten Halbjahr deutlich weniger Blechkisten über die Kaje als im Vorjahr: 2,3 Millionen TEU – ein Minus von 9,7 Prozent.
Der Ukraine-Krieg und das durch die Pandemie ausgelöste Chaos auf den weltweiten Transportrouten schlagen sich damit in den Hafenbilanzen nieder. In den vier großen nordeuropäischen Häfen wurden im ersten Halbjahr fast fünf Prozent weniger Container umgeschlagen als im vergangenen Jahr. Einziger Gewinner ist Hamburg mit einem leichten Plus von 0,9 Prozent.
Auch im Autoumschlag verzeichnet die Halbjahresstatistik der Hafengesellschaft Bremenports ein Minus von 12,2 Prozent: 820.000 Autos rollten über die Rampen der Ro/Ro-Schiffe, 114.000 weniger als im Vorjahr, das auch schon kein besonders gutes Jahr im Automobilumschlag war. Hier machen sich die Lieferkettenprobleme und die dadurch beeinträchtigte Produktion der Autohersteller weiterhin bemerkbar. Der Gesamtumschlag in den bremischen Häfen sank im ersten Halbjahr um 5,5 Prozent auf 33,3 Millionen Tonnen.
Auch im Ressort von Häfensenatorin Claudia Schilling (SPD) verweist man zur Erklärung der rückläufigen Umschlagmengen auf die allgemeine Weltlage: "Die Umschlagszahlen schwanken in den letzten zwei Jahren sehr stark aufgrund der Corona-Pandemie. Seit Februar hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zudem nicht für Entspannung und Stabilität der Märkte gesorgt", heißt es auf Nachfrage aus der Hafenbehörde. "Daraus ergeben sich Probleme in den globalen Lieferketten, deren konkrete Auswirkungen unplanbar und unkalkulierbar sind."
Hamburg wächst gegen den Trend
Mit den Problemen durch Krieg und Corona haben auch die erfolgsverwöhnten Konkurrenzhäfen Rotterdam und Antwerpen zu kämpfen. Auch dort sank der Containerumschlag im ersten Halbjahr. Lediglich Hamburg erzielte mit 4,4 Millionen TEU ein leichtes Plus. Die Hamburger Hafenwerber, die in den vergangenen Jahren oft schlechtere Zahlen als die Konkurrenz verkünden mussten, führen das auch auf die umstrittene Elbvertiefung zurück. "Mit der abgeschlossenen Fahrrinnenanpassung im Januar können unsere Kunden nun mehr Container je Anlauf realisieren", sagt Axel Mattern, Vorstand der Hafen Hamburg Marketing. Im ersten Halbjahr 2022 sei der durchschnittliche Tiefgang der Großcontainerschiffe gegenüber 2021 um rund einen halben Meter gewachsen. Dadurch wurden je Anlauf acht Prozent mehr Container umgeschlagen, rechnet Mattern vor. "Dies unterstreicht die unverzügliche Annahme der Fahrrinnenanpassung durch unsere Kunden."
Gelitten hat in Hamburg dagegen der Massengutumschlag. Durch die Sanktionen gegen Russland infolge des Angriffs auf die Ukraine sowie "marktbedingte Veränderungen beim Handel und Transport der Rohstoffe" wurden weniger Kohle und Öl importiert. Ergebnis: fast neun Prozent weniger Massengutumschlag im ersten Halbjahr. Durch die fehlenden Mengen ging auch der Gesamtumschlag im Hamburger Hafen zurück – um 2,7 Prozent auf 61,8 Millionen Tonnen.