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400 Jahre Gewerbehaus Ein Gelage mit Folgen

Das Gebäude, in dem sich heute die Handwerkskammer befindet, wird 400 Jahre alt. Gebaut wurde es von Bremens Gewandschneidern, die den Beschluss dazu bei viel Alkohol fassten.
13.08.2021, 17:07 Uhr
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Ein Gelage mit Folgen
Von Stefan Lakeband

Am Anfang war die Schnapsidee: Bei einem Gelage der Wandschneider im Bremer Ratskeller ging es nach vielen Flaschen Wein um die Frage, wie man das angesparte Kapital von 2200 Reichstalern nutzen sollte. Vielleicht für ein Armenhaus? Diedrich Dieckhoff hatte da eine andere Idee: Man könne doch ein Kost- und Hochzeitshaus bauen, schlug er vor. So einen richtigen Protzbau zum Repräsentieren und Feiern. „Damit wollte man zeigen, was für eine große und stolze Innung man war“, sagt der Historiker und Rechtsanwalt Dieter Riemer. Dieckhoff gelang es, seine Kollegen zu überzeugen. Und laut Riemer hatte er noch einen Hintergedanken. Der Ratsherr hatte damals, 1618, sechs heranwachsende Kinder. Für sie wollte er einen prunkvollen Ort schaffen, um dort ihre Hochzeit zu feiern. Der sollte mit der Hilfe und dem Geld seiner Handwerkskollegen entstehen.

Dieser List und einer Menge Alkohol ist es zu verdanken, dass noch heute – nach drei Jahren Bauzeit genau 400 Jahre später – ein wahrlich imposantes Gebäude die Bremer Innenstadt ziert: das Gewerbehaus am Ansgarikirchhof. Es ist der heutige Sitz der Handwerkskammer.

Eigentlich habe man dieses Jubiläum feiern wollen, sagt Handwerkskammer-Präses Thomas Kurzke. Unter den gegeben Umstände habe man aber darauf verzichtet. Stolz sei man trotzdem auf den historischen Bau. „Es ist ein Stück Zuhause“, sagt Kurzke. Nicht nur für ihn, sondern für das gesamte Handwerk. Und das eben seit vielen Jahrzehnten.

Dabei fing die Geschichte des heutigen Gewerbehauses alles andere als erfolgversprechend an. Die Wandschneider hatten sich übernommen. Gehörig übernommen. Die 2200 Reichstaler reichten noch nicht einmal für den Kauf des Grundstücks. Als die Schuldenlast zu groß wurde, mussten sie rund 70 Jahre später das Haus an die konkurrierenden Kramer verkaufen, die das Gebäude fortan nutzten. Erst als die Gewerbefreiheit eingeführt wurde und 1849 die Gewerbekammer entstand, änderten sich wieder die Besitzverhältnisse. Bremen kaufte das Haus für die Gewerbekammer, die als Handwerkskammer noch heute ihren Sitz dort hat.

Von der bewegten Geschichte und etlichen Umbauten zeugen noch heute mehrere Gedenktafeln im Foyer des Gewerbehauses. Die Inschriften halten die wichtigsten Ereignisse in der Geschichte des Gebäudes fest.

Doch wie viele andere Gebäude hat auch das Gewerbehaus unter dem Zweiten Weltkrieg gelitten. Bis auf Teile der aufwendig verzierten Fassade, die extra geschützt wurde, war der Bau zerstört und wurde ab 1948 wieder aufgebaut. So sind etwa die prunkvollen Giebel, die zum Ansgarikirchhof zeigen, Rekonstruktionen aus den 1950er-Jahren. Der Südgiebel zur Hutfilterstraße stammt hingegen von einem Haus in der Langenstraße, das ebenfalls im Krieg Schaden genommen hatte.

Trotz allem strahle das Gewerbehaus Tradition aus, sagt Andreas Meyer, Hauptgeschäftsführer der Kammer. Damit spiegle es perfekt das Handwerk wider. „Ein kalter Neubau würde nicht zu uns passen.“ Und der würde wohl auch weniger im Stadtbild auffallen. „Unser Gebäude wird häufig von Touristen fotografiert“, sagt Kurzke. Er ist seit zwei Jahren Präses, hat sich aber schon vorher ehrenamtlich bei der Kammer engagiert – und hat aus dieser Zeit einen Lieblingsort in dem historischen Bau. Es ist etwa nicht das Präses-Büro oder der Wandschneidersaal mit seiner riesigen Tafel, sondern der Keller. Ein altes Gewölbe, das laut Riemer, noch einmal deutlich älter als 400 Jahre ist, da die Wandschneider auf den Resten eines anderen Hauses bauten. Seit 1958 befindet sich hier ein Restaurant. „Dort habe ich schöne Stunden mit der Innung verbracht und tolle Ideen mit Senatoren entwickelt“, sagt Kurzke.

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Über die Jahre hat sich das Haus immer wieder verändert; den letzten großen Umbau gab es 1998. Aktuell überlege man, so Meyer, wie man den Bau energetisch auf Vordermann bringen könne. Fotovoltaik sei etwa eine Idee. „Durch den Denkmalschutz sind uns aber enge Grenzen gesetzt“, sagt der Hauptgeschäftsführer. Das sei auch gut so.

Viele hätten sofort das Gewerbehaus vor Augen, wenn sie an das Bremer Handwerk denken würden. Die vergangenen Jahrhunderte haben ihre Spuren im kollektiven Gedächtnis der Stadt hinterlassen. Doch wie wird es weitergehen? Meyer und Kurzke sind optimistisch. Alle Ideen der vergangenen Zeit zur Umgestaltung der Innenstadt hätten das Gewerbehaus nicht verändern wollen. Und was ist in 400 Jahren? Dann gibt es die Kammer vielleicht nicht mehr in der jetzigen Form, sagen beide, das Gewerbehaus werde aber noch lange, lange Zeit ein Ort für das Handwerk bleiben.

Zur Sache

Älteste Kammer der Welt

Die Handwerkskammer Bremen ist nicht nur die älteste Handwerkskammer Deutschlands, sondern auch der Welt. Zwar sei die Organisation in einer Kammer eine deutsche Eigenart, sagt Historiker und Rechtsanwalt Dieter Riemer, der sich mit der Geschichte der Institution auseinandergesetzt hat. Doch auch vergleichbare Einrichtungen im Ausland seien nicht so alt wie die Bremer Kammer. Sie wurde 1849 als Gewerbekammer gegründet. Heute hat sie 40 Mitarbeiter und vertritt 5400 Betriebe mit mehr als 31.000 Beschäftigten, die zusammen einen Umsatz von 3,5 Milliarden Euro erwirtschaften.

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