Die Veranstaltungsregie spielte den alten Juli-Hit "Die perfekte Welle" ein, als Häfensenatorin Claudia Schilling (SPD) das Podium betrat. Ob sich jemand etwas dabei gedacht hatte, war hinterher nicht zu erfahren. Die Senatorin jedenfalls – gerade wiedergewählt und mit guten Chancen auf eine zweite Amtszeit – nahm die Vorlage dankend an und begrüßte ihr internationales Publikum gut gelaunt und auf Norddeutsch mit "Moin". In Europas Hafenstädten weiß man nun also, wie in Bremen Wahlsiegerinnen aussehen.
Der Konferenzraum im feinen Parkhotel war fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Mehr als 200 Teilnehmer aus 26 Ländern hatten sich zur ESPO-Konferenz 2023 angemeldet. ESPO – das steht für European Sea Ports Organization und ist die Interessenvertretung der europäischen Häfen. Von ihrem Sitz in Brüssel aus versucht die ESPO, Einfluss zu nehmen auf die EU-Gesetzgebung. Und einmal im Jahr treffen sich Vertreter der Hafenverwaltungen, Interessenverbände und des EU-Parlaments in einer europäischen Hafenstadt, um über die wichtigsten Themen zu diskutieren. Nach dem spanischen Valencia im vergangenen Jahr war dieses Mal Bremen an der Reihe.
"Natürlich gibt es Konkurrenz unter den Hafenstandorten", räumt Robert Howe ein, Chef der Bremer Hafengesellschaft Bremenports und somit Gastgeber der zweitägigen Konferenz. "Aber es gibt eben auch viele Themen, die uns alle betreffen und über die wir gemeinsam diskutieren." Motto der diesjährigen Tagung war: "Die europäischen Häfen als Partner im Rennen um eine Netto-Null-Zukunft". Wobei mit der Netto-Null-Zukunft eine Welt ohne Treibhausgase gemeint war. Es ging also um die Frage, was die Häfen zum Kampf gegen den Klimawandel beitragen können.
Die Antwort der Hafenvertreter lautet – wenig überraschend: eine Menge. Immerhin hatte Schillings Häfenressort noch vor der Wahl einen Planungsauftrag für einen "Energy Port" in Bremerhaven durch den Bremer Senat geboxt. Und da sich in dessen Zusammensetzung nach der Wahl wohl nur ein paar Gesichter, nicht aber die beteiligten Parteien ändern werden, dürfte das Projekt weiter vorangetrieben werden. So konnte die Häfensenatorin ihrem Publikum von einem Hafenprojekt berichten, das sich ganz der "Green Economy" verschrieben habe: Import von grünem Wasserstoff, Umschlag von Windenergieanlagen, Batterierecycling für die E-Mobilität.
Bei Bremenports spricht man sogar von einer "Renaissance der Häfen" in der klimaneutralen Welt von morgen. "Die Häfen stehen mittendrin in der Energiewende, sie werden dabei eine wesentliche Rolle spielen", prognostiziert Bremenports-Chef Howe. Und das gelte nicht nur für Bremen und Bremerhaven, sondern für alle europäischen Häfen. Bremenports selbst verfolgt bereits seit Jahren seine "Greenports-Strategie", die den Hafenbetrieb CO2-neutral machen soll. Das Schreibmaterial jedenfalls, das die Konferenzteilnehmer auf ihren Plätzen vorfanden, bestand schon mal aus wasser- und energiesparend hergestelltem Graspapier und Kugelschreibern aus Holz und Pappe.
Es war an Tim Power, Chef des renommierten Londoner Beratungsunternehmens Drewry, die Hoffnungen auf eine goldene Zukunft der Häfen etwas zu dämpfen. Denn die nüchternen Zahlen zur Lage der Weltwirtschaft im Allgemeinen und der maritimen Wirtschaft im Besonderen böten "nicht ausschließlich Grund zur Freude", stellte der Brite mit all dem feinem Understatement fest, das man seinen Landsleuten gerne nachsagt. Der Ukraine-Krieg, die Inflation, Chinas Weltmachtambitionen, Arbeitskämpfe, die Energiewende, sich verändernde Handelsströme – die Herausforderungen sind zahlreich, und sie werden nicht spurlos an den Häfen vorbeigehen.
Ein Rückgang von 20 Prozent im Containerumschlag in den US-Häfen – "das ist ein Schock, das gab es noch nie", staunte Power. In Europa lag das Minus im vergangenen Jahr bei sechs Prozent. "Die Energiepreise werden nicht wieder auf das Niveau vor der Pandemie zurückgehen, und das wird das Wirtschaftswachstum bremsen", prognostiziert Power. Und weniger Wirtschaftswachstum heißt, weniger Umschlag in den Häfen.
Immerhin könnten die gestiegenen Treibstoffkosten bewirken, dass Containerschiffe sich wieder auf wenige Drehscheiben beschränken, statt viele Einzelhäfen anzulaufen, meint der Marktforscher. In Bremerhaven versteht man das so, dass wieder mehr Container für die Ostseehäfen an der Stromkaje umgeschlagen werden. In den polnischen Häfen sieht man das anders. So ganz ohne Konkurrenzgebaren geht es eben auf der ESPO-Konferenz doch nicht zu.