Karstadt – das ist eine Kette von Warenhäusern in Deutschland, die über zwei Weltkriege hinweg überleben konnte. Die Marke und das Geschäft scheinen unverwüstlich, auch wenn es in den vergangenen Jahren merklich Schwierigkeiten gab, die Spur zu halten. Immer wieder wechselten die Eigentümer und das Management, weil nicht mehr genug Geld hereinkam. Karstadt – das ist eine große Geschichte, die noch nicht zu Ende erzählt ist. Der Konzern nähert sich wieder den schwarzen Zahlen und ist deutlich robuster aufgestellt als der Konkurrent Kaufhof, dessen Eigentümer in finanziellen Problemen steckt. Schon schwirren erneut Gerüchte umher, dass es doch noch zu der viel beschworenen Deutschen Warenhaus AG kommen könnte.
Karstadt – das ist noch etwas anderes. In Bremen jedenfalls.

Die Entwurfszeichnung der Architekten Wilhelm Behrens und Friedrich Neumark für das Karstadt-Haus in der Obernstraße aus dem Jahr 1932.
Seit 115 Jahren prägt das Kaufhaus die Innenstadt, zuerst in der Sögestraße, danach, seit 85 Jahren, in der Obernstraße. Karstadt ist in Bremen eine Institution oder war das zumindest mal. Man ging dort im Sprachgebrauch nicht zu Karstadt, sondern nach Karstadt, als das Warenhaus noch eine Wunderwelt war und eine ganze eigene Adresse. Diese Bedeutung hat es nicht mehr, und auch wenn die Zahlen besser geworden sind, steht ein großer Wandel bevor. Möglich, dass man das Kaufhaus in fünf Jahren nicht mehr wiedererkennt. Von außen schon noch, weil das Gebäude unter Denkmalschutz steht, innen könnte aber alles anders werden und drumherum sowieso. Es gibt große Pläne für die Bremer Innenstadt, die Karstadt im Zentrum haben.
115 Jahre. Am Sonnabend wurde das nur bescheiden gefeiert, denn ein echtes Jubiläum ist es ja nicht. Der Blick richtete sich auf Vergangenheit und Gegenwart. Nun bricht die Zukunft an.
Heute wirkt Karstadt wie vollgestopft
In der vierten Etage des Kaufhauses hat die Geschäftsführung eine kleine Ausstellung aufbauen lassen. Bilder davon, wie es bei Karstadt in Bremen früher mal ausgesehen hat. Auch ein paar Exponate: Eierbecher, Kännchen für Kaffeemilch, Biergläser in Tulpenform, Teller, Silberbesteck – überall steht Karstadt drauf oder ist eingraviert. Sammlerstücke, die wertvoll werden könnten oder es schon sind. Die Bilder, viele aus den Nachkriegsjahren, tragen den Teint des Wirtschaftswunders. Rosige Aussichten angesichts der vollen Regale. Überfluss, der nicht überfließt, weil er im Kaufhaus in eine strenge Ordnung gepresst wird. Alles aufgeräumt und übersichtlich. Heute wirkt Karstadt dagegen wie vollgestopft, schwierig, sich in den einzelnen Abteilungen durchzufinden. Wo zum Beispiel sind die Schnürsenkel, und wer hilft, wenn bei den Schuhen kein Verkäufer ist? Ein Morgen gegen halb elf, der Kunde allein auf weiter Flur. Hallo, ist da wer?
Ein Ehepaar aus Twistringen, das sich die Ausstellung ansieht. Die Frau, 69 Jahre alt, war lange bei Karstadt beschäftigt, sie weiß noch, wie das Kaufhaus früher aussah und schwelgt in Erinnerungen. „Hier“, zeigt sie auf eines der Bilder, „der riesige Lichthof über drei Etagen.“ Das war zu einer Zeit, da war sie fast noch ein Kind und kam mit ihren Eltern zum Einkaufen her. In den Lichthof wurden später Zwischendecken eingezogen und neue Rolltreppen eingebaut. Die Grandezza einer Kathedrale des Konsums war damit verschwunden.
„Die Art der Präsentation - das gibt es heute nicht mehr“
„Wenn wir früher nach Bremen fuhren, war es selbstverständlich, dass wir zu Karstadt gegangen sind“, erzählt die Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Einkaufen, sagt sie, war damals etwas Feierliches. „Diese Vielfalt! Und die Art der Präsentation. Das gibt es heute nicht mehr.“ Als sie dann zur Belegschaft gehörte, lernte sie das Kaufhaus noch ganz anders kennen. „Wenn wir Pause hatten und das Wetter schön war, sind wir aufs Dach und haben uns in den Liegestuhl gelegt.“ Gerne auch mal rüber in den Erfrischungsraum, wie das damals hieß. Eine Art Kantine. Heute ist es ein Restaurant.
Ihr Mann mag die Geschichten kennen, manche vielleicht auch nicht. Er hat seine eigenen Erfahrungen mit Karstadt gemacht. „Wir Männer sind immer gleich nach oben gefahren, in den 4. Stock, wo es das ganze Werkzeug gab, alles, wirklich alles.“ Einmal, erinnert er sich, stand da sogar ein Ferrari, gleich neben dem Rasenmäher und was sonst so angeboten wurde. An diesem Tag bescheidet sich das Ehepaar mit einem Kalender und einem Satz Batterien. Das ist wie mit den Schnürsenkeln für 2,50 Euro – Hauptsache Umsatz.
Bürgerschaftspräsident: „Ich hasse Trockner“
Christian Weber hat tiefer in die Tasche gegriffen. Seine Frau wollte einen Wäschetrockner haben, gegen seinen Willen („ich hasse Trockner“), aber nichts zu machen. Er ist kürzlich los mit ihr zu Karstadt und hat einen gekauft. „Die haben uns gesagt, dass die Handtücher schön weich sind, wenn sie aus dem Trockner kommen. Ich mag das aber nicht, ich mag sie hart.“ Der Bürgerschaftspräsident hasst Trockner und mag Handtücher, wenn sie hart sind. Das wissen die Leute jetzt, die ihm zugehört haben, als er am Sonnabend zu 115 Jahren Karstadt in Bremen im Kaufhaus ein Grußwort sprach.
„Die Bremer lieben Karstadt“, sagte der Präsident. Er macht das nicht nur am Einkaufen fest, sondern auch am Gebäude: „Die Symmetrie in der Vertikalen und Horizontalen – das ist strenge, gute Architektur.“ Wenn sich nun in der Innenstadt so gewaltig viel tue, werde auch Karstadt davon profitieren. „Kurt Zech wird das schon machen.“
Karstadt: Fast ein Viertel der gesamten City-Ladenfläche
Zech, seit knapp drei Jahren Eigentümer des Karstadtgebäudes, plant eine City-Galerie. Der Teil des Hauses, der nicht zum historischen Gebäude von 1902 gehört, soll abgerissen werden. Es ist der Flügel auf der linken Seite, gut zu erkennen, weil er mit dunkelbraunen Metallplatten verkleidet ist. Abreißen will der Bremer Unternehmer auch das Parkhaus-Mitte, das hinter Karstadt liegt, getrennt nur von der Lloyd-Passage. Die Stadt ermittelt gerade den Wert der Garage mit ihren 1000 Stellplätzen und will sie dann an Zech verkaufen. Ins selbe Spiel kommen könnte auch das Kaufhof-Gebäude, dann wäre die neue Entwicklung auf dem Areal zwischen Sögestraße und Papenstraße perfekt. Zech hatte unlängst öffentlich zu verstehen gegeben, dass er an dem Standort perspektivisch nur noch Platz für ein großes Kaufhaus sieht – und das soll aus seiner Sicht wohl Karstadt sein.
„Für mich ist Karstadt immer ein Anker gewesen“, betonte Weber, „das Haus bindet die Leute an die Innenstadt.“ Als blanken Unsinn bewertet der Präsident, wenn im Zusammenhang mit den großen Einkaufszentren an der Peripherie („eines fängt mit D an, eines mit W“) immer von Erlebnis-Shopping gesprochen wird. „Ein Erlebnis liefert unsere schöne Innenstadt. So heimelig und familiär kann es in den Märkten auf der grünen Wiese nicht sein.“
Karstadt hat eine Ladenfläche von rund 32.000 Quadratmetern, das ist fast ein Viertel dessen, was die gesamte Innenstadt aufbieten kann. Zwischenzeitlich war es das größte Warenhaus in Norddeutschland. Heute steht Dodenhof in Posthausen mit einer Gesamtfläche von annähernd 130.000 Quadratmetern auf Rang eins, nicht nur im Norden, sondern in ganz Deutschland.
Als der Marmor noch blitzte
Bei Dodenhof, in der Waterfront in Gröpelingen oder im Weserpark am Bremer Kreuz ist das Einkaufen ganz anders als bei Karstadt. Im Kaufhaus käme niemand auf die Idee, sich dort länger als nötig aufzuhalten, es sei denn, man geht ins Restaurant. In den großen Centern, die mehr Luft und Licht bieten, mehr Komfort, bleiben die Kunden oft zwei oder drei Stunden. Dem etwas entgegenzusetzen, kann aber nicht nur Aufgabe von Karstadt sein, sondern betrifft die gesamte Innenstadt.
„Früher kamen die Leute vom Land und haben vor Ehrfurcht die Schuhe ausgezogen, bevor sie diesen Tempel betreten haben“, erzählte am Sonnabend die Bremer Karstadt-Chefin Eleonore Jennes. Das war zu der Zeit, als es den Lichthof noch gab und der Marmor blitzte. Damals, so Jennes, wurde auf dem Dach ein Café betrieben. „Wer weiß, vielleicht kommt das ja wieder.“ Zurück zur alten Grandezza, verbunden mit dem, was Jennes Omnichannel nennt: Einkaufen auf sämtlichen Kanälen, im Laden, online, über Apps oder wie auch immer, und alles miteinander verbunden. Karstadt, dieses Trumm von Gebäude, wäre die Hülle. Innen drin muss sich das Kaufhaus nach 115 Jahren neu erfinden.