Frau Marahrens-Hashagen, Sie bekommen mehr und mehr Rückmeldungen von Unternehmen, die sich durch Entwicklungen der vergangenen Wochen bedroht sehen. Inwiefern?
Janina Marahrens-Hashagen: Gerade Einzelhandelsunternehmen sehen ihre Existenz stark bedroht. Die Erreichbarkeit der Innenstadt ist durch die Veränderungen in der Martinistraße und am Wall nicht mehr so gegeben, wie sie es einmal war. Die Kundenfrequenz hat abgenommen. Das sieht man auch in den Parkhäusern. Weniger Kunden bedeutet weniger Umsatz bei gleich hohen Mieten. Das löst existenzielle Sorgen aus.
Die Verkehrsexperimente führen zu weniger Kundschaft?
Die Geschäftsleute am Wall rechnen mit 15 Prozent weniger Kunden im Vergleich zum Vorjahr, und das Vorjahr war natürlich schon deutlich schlechter als die Jahre vor der Pandemie. Corona hat den Händlern ordentlich zugesetzt. Sie mussten ihre Läden schließen, ihr Personal durch die Krise steuern, in neue Ware investieren, obwohl sie einen Teil der Ware, die sie schon vor der Pandemie geordert hatten, nicht haben verkaufen können. Die Verkehrsprojekte kommen also zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, und es ist nicht ersichtlich, warum das ausgerechnet jetzt sein muss. Es gab vielfach keine Vorwarnung, keine Absprachen, keine Kommunikation mit den Anwohnern – das halte ich für völlig verkehrt.
Was vermuten Sie hinter diesem hohen Tempo bei den Verkehrsversuchen?
Ich denke, dass ein Zeichen gesetzt werden soll. Es handelt sich um Symbolpolitik.
Die Handelskammer hat nichts gegen die Reduzierung der Fahrspuren auf der Martinistraße von vier auf zwei und nicht gegen eine autoarme Innenstadt. Diese Projekte sind Schritte in diese Richtung. Es ist nur eine Zwischenstufe ...
Der Sinn dieser unabgestimmten und handwerklich schlecht gemachten Zwischenstufe erschließt sich mir nicht. Man hätte sich durch einen ernst gemeinten Dialog viel Verwirrung, Verunsicherung und Ärger sparen können.
Es geht um Grundsätzliches, wie es scheint. Vielleicht stehen sich eine florierende Wirtschaft und konsequenter Klimaschutz unversöhnlich gegenüber, weil beides erfordert, dass ihm das jeweils andere untergeordnet wird?
Nein, das sehe ich absolut nicht. Für uns als Handelskammer und für die bremischen Unternehmen ist Klimaschutz ein ganz großes Thema. Wir sehen uns ihm verpflichtet, schließlich wollen wir unsere Firmen in die nächsten Generationen führen. Das wird auch von den Mitarbeitern gefordert. Um ein kleines Beispiel zu nennen: Mein Sohn hat schnell, als er bei uns in die Geschäftsführung eingestiegen ist, darauf geachtet, wie viel Papier wir ausdrucken. Da passiert also etwas, auch durch nachfolgende Generationen. Die zentrale Frage ist: Wie finden wir einen Weg ins nächste Jahrhundert, der Klimaschutz und wirtschaftliche Prosperität verbindet?
Klimaexperten sagen, dass es quasi schon fünf nach zwölf ist. Dass die Umstellung also radikal sein muss, um noch zu retten, was zu retten ist.
Wir sollten schon aufs Tempo drücken, aber dazu müssen auch alle sinnvollen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Es darf aber eben nicht zu sinnloser Symbolpolitik führen, sondern zu wirklich wirksamen Maßnahmen. Dazu gehören beispielsweise Solardächer. Die Stadt hat da noch nicht viel vorzuweisen. Ebenso fahren noch lauter BSAG-Dieselbusse durch die Stadt – da scheint eine Umstellung nicht so dringlich zu sein. Wir sind auch fest davon überzeugt, dass mehr getan werden muss, um umweltfreundliche Technologien zu fördern. Damit kann man der Umwelt helfen und gleichzeitig die Wirtschaft entwickeln, vor allem, indem man das Know-how in die Welt exportiert. Verbote und Regulierungen sind der falsche Weg, es muss Förderung und Anreize von und für technologische Innovationen geben. Wir haben in Bremen großes Potenzial, bei der Entwicklung solcher Innovationen an der Spitze dabei zu sein.
Glauben Sie nicht, dass Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit Verzicht bedeuten – für die Wirtschaft, durch weniger Wachstum, aber auch für jeden Einzelnen?
Ich bin fest davon überzeugt und zuversichtlich, dass dieses Land alles hat, um durch Innovationen seinen Wohlstand erhalten zu können. Aber wir werden uns massiv umstellen müssen. Das ist klar. Produktionen müssen umgestellt werden. Neue Materialien müssen entwickelt werden. Aber viele Umweltmaßnahmen und Entwicklungen kosten Geld, das muss erwirtschaftet werden.
Ist das Klimacamp vor dem Rathaus, auf das Sie jeden Tag blicken, Ihnen nicht ein ständiges Mahnmal?
Ich finde es respektabel, dass viele junge Leute sich so für die Umwelt engagieren. Die Aktivitäten waren vielleicht auch nötig, um die Dringlichkeit zu betonen. Es ist auch anerkennenswert, dass die jungen Leute bei Wind und Wetter draußen kampieren. Aber bis zum Sankt Nimmerleinstag sollte das Camp nicht bleiben. Es verliert seine Wirkung, die Botschaft ist angekommen, und es ist keine Zierde für unsere schöne Innenstadt.
Ein weiteres Thema, das das Verkehrsressort und die Handelskammer entzweit, ist die Linienführung der Straßenbahn. Sie lehnen einen neuen Knotenpunkt vor der Glocke ab und fordern, dass die Bahn aus der Obernstraße verschwindet.
Ohne Straßenbahn könnte man die Obernstraße ganz neu denken und entwickeln, das könnte der entscheidende Schritt sein, um ihr den Impuls zu geben, den sie dringend braucht. Was uns massiv stört: Die Verkehrsprojekte sind Stückwerk, sie werden nicht gesamtstädtisch betrachtet. Auch die Überlegungen zum neuen Knotenpunkt an der Domsheide oder der Balgebrückstraße müssen in ein verlässliches Gesamtkonzept zur Belebung der Innenstadt eingebettet werden, das neue Investitionen auslöst.
Erkennen Sie an, dass sich der Senat und die zuständigen Ressorts beinahe verzweifelt bemühen, die Innenstadthändler zu unterstützen – durch das Aktionsprogramm Innenstadt beispielsweise?
Sicher. Das war ein Ergebnis des Innenstadtgipfels, in den wir eingebunden waren. Aber auch gute Ansätze wie Pop-up-Stores, die Leerstand allemal vorzuziehen sind, ersetzten kein durchdachtes und langfristiges Gesamtkonzept. Man sieht übrigens in anderen Städten, dass es auch anders geht. Beispielsweise in Hamburg, dort wird das Ziel der autoarmen, aber nicht autofreien Innenstadt verfolgt. Bürgermeister Peter Tschentscher hat dafür gesorgt, dass mit den Anliegern und Ladeninhabern sowie mit der Handelskammer Hamburg gemeinsam ein Konzept entwickelt worden ist.
Warum ist das in Bremen offenbar nicht möglich?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Da müssen Sie andere fragen.
Der Ton zwischen der Kammer und der Verkehrssenatorin ist rauer geworden. Maike Schaefer hat Ihnen vorgehalten, dass "das Haus Schütting in den 90er-Jahren stehengeblieben" sei. Ist das Tischtuch zwischen Ihnen zerschnitten?
Von uns aus nicht. Ich bin kein Mensch, der auf Konfrontation aus ist. ...
Reden Sie noch miteinander?
Ja, wir haben regelmäßige Treffen, aber da werden leider viele Themen im Grunde nicht angesprochen – über die vorgezogenen Verkehrsversuche am Wall wurden wir beispielsweise nicht informiert.
Womöglich, um Ärger im Vorfeld zu vermeiden.
Das kann sein, aber nur im kritischen Dialog können wir vorankommen. Die Händler am Wall sind durch das Vorgehen des Ressorts nicht nur besorgt, was ihre Geschäfte betrifft, sondern auch noch verärgert, weil sie nicht einbezogen worden sind. Was hat man damit gewonnen?
Sie haben doch eine Fürsprecherin im Senat – Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt, der man nicht vorwerfen kann, sich nicht ausreichend für die Interessen gerade von kleineren Firmen und Selbstständigen einzusetzen.
Das ist richtig. Über ihre Unterstützung können wir uns nicht beklagen, aber offenbar gibt es im Senat auch unterschiedliche Positionen, sodass die Durchsetzung ihrer Themen häufig nicht möglich ist.
Gibt es eigentlich Grüne im Plenum der Handelskammer?
Der politische Background spielt für ein Ehrenamt im Plenum keine Rolle, wir fragen nicht nach dem Parteibuch. Aber das Plenum hat eine geschlossene Position zur Innenstadtentwicklung, zum Verkehr und zur Klimawende. Wir werden das Thema Klimaschutz in der Handelskammer selbst massiv vorantreiben und auch nicht lockerlassen.
Das Gespräch führte Silke Hellwig.