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Konjunkturreport Warum die Bremer Wirtschaft mit Sorge in die Zukunft blickt

Viermal im Jahr fühlt die Handelskammer der Bremer Wirtschaft den Puls und fasst die Ergebnisse in einem Konjunkturreport zusammen. Die jüngste Untersuchung gibt Anlass zur Sorge.
19.07.2022, 18:10 Uhr
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Warum die Bremer Wirtschaft mit Sorge in die Zukunft blickt
Von Christoph Barth

Die Stimmung in der Bremer Wirtschaft ist im Keller. Steigende Energiepreise und die unsichere Gasversorgung, die fortdauernde Corona-Pandemie, Lieferengpässe, Arbeitskräftemangel und die hohe Inflation verunsichern mittlerweile die meisten Unternehmen. "Das geht quer durch alle Branchen", stellt Matthias Fonger fest, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Bremen. In dem vierteljährlichen Konjunkturreport der Kammer zeige sich ein "krasser Erwartungseinbruch", der in dieser Form sehr ungewöhnlich sei.

Was ist der Geschäftsklima-Index der Handelskammer?

Viermal im Jahr fühlt die Handelskammer der Bremer Wirtschaft den Puls. Sie befragt die Unternehmen zu ihrer aktuellen Lage und den Erwartungen für die kommenden zwölf Monate. Daraus erstellt sie einen Geschäftsklima-Index, der in Punkten gemessen wird und einen Wert zwischen 0 und 200 haben kann. Im Durchschnitt der vergangenen Jahre lag der Index bei 106 – dort in etwa liegt also der normale "Pulsschlag" der Bremer Wirtschaft. Zu Beginn der Corona-Krise stürzte er auf 40 Punkte ab – Lockdowns lähmten das Wirtschaftsleben. Als das Schlimmste überstanden schien, schnellte der Index auf über 120 empor. In der jüngsten Umfrage liegt er bei 78 Punkten, also wieder deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt.

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Warum ist der Index abgestürzt?

Die meisten Branchen beurteilen ihr laufendes Geschäft noch einigermaßen positiv. Selbst die Industrie vermeldet trotz fortbestehender Lieferengpässe und steigender Kosten eine leichte Verbesserung der Lage. Was den Index in die Tiefe zieht, sind die Erwartungen für die kommenden Monate: Keine einzige Branche blickt mit Zuversicht in die nähere Zukunft. Für Kammer-Hauptgeschäftsführer Fonger ist das nicht verwunderlich: "Wir haben es schließlich mit mehreren Krisen zu tun, die sich gegenwärtig überlagern", erklärt der promovierte Volkswirt.

Welche Krisen belasten die Bremer Wirtschaft?

Auch wenn das Coronavirus seine Schrecken vorerst verloren hat, ist die Krise keineswegs ausgestanden: Die Infektionszahlen bleiben hoch, die Aussichten auf Herbst und Winter ungewiss. Noch immer verwirbeln Corona-Turbulenzen die weltweiten Warenströme, vor allem von und nach China. Die Folge: Überall fehlt es an Material. Mit dem Krieg in der Ukraine und den damit verbundenen Wirtschaftssanktionen kommen neue Belastungen hinzu, wie sie Europa seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat – allen voran explodierende Energiepreise und die Aussicht auf eine unzureichende Gasversorgung im Winter. Und schließlich der Arbeitskräftemangel: Was bei den Fachkräften begann, betrifft mittlerweile auch einfachere Tätigkeiten – es fehlt an Leuten. Für Fonger ist das der Beginn des demografischen Wandels, "immer wieder prognostiziert, jetzt tritt er ein": Die geburtenstarken Jahrgänge der "Babyboomer" gehen in Rente, die nachfolgenden Jahrgänge sind zu klein, um die Lücken zu füllen.

Welche Branchen sind besonders betroffen?

Am schlechtesten ist die Stimmung auf dem Bau. Während vor der Corona-Krise in der Branche kaum etwas zu spüren war, stürzt die Stimmung jetzt ab: auf einen Indexwert von 35. Kostensteigerungen, Materialengpässe, Auftragsrückgänge – auf dem Bau kommt alles zusammen. Auch im Einzelhandel, der schon von der Corona-Krise gebeutelt wurde, bleibt die Stimmung mies (Indexwert: 52). Zwar haben viele Verbraucher im Lockdown Geld gespart, von dem man hoffte, dass sie es jetzt ausgegeben würden. Aber die Preissteigerungen vor allem bei Energie machen den Händlern einen Strich durch die Rechnung: Die Lust am Geldausgeben sinkt.

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Gibt es auch positive Nachrichten?

Ja. "Trotz der negativen Entwicklung bleibt die Beschäftigung stabil", stellt Fonger fest. "Die Unternehmen sind gewillt, ihre Arbeitskräfte an Bord zu halten." Möglicherweise sei das eine Erfahrung aus der Corona-Krise: Wer damals seine Belegschaft zu schnell abbaute, findet beim nächsten Aufschwung keine Leute mehr – wie zum Beispiel die Gastronomie und die Fluggesellschaften. Und die zweite gute Nachricht: Die Unternehmen investieren weiter. Hier mache sich die Notwendigkeit bemerkbar, wegen der Energiekrise und auch wegen des Klimawandels neue Produktionsprozesse aufzubauen, vermutet Fonger. Allein die Stahlwerke würden deshalb hunderte Millionen Euro ausgeben. "Das kann der Wirtschaft einen Modernisierungsschub geben", hofft er.

Was ist zu tun?

Die Handelskammer wäre nicht die Interessenvertretung der Wirtschaft, würde sie daraus keine Forderungen ableiten: Eine "Politik mit Augenmaß" sei notwendig, so Fonger, was für ihn bedeutet: Sollte das Gas im Winter tatsächlich nicht reichen, darf es der Industrie nicht als erstes abgeschaltet werden – es hingen schließlich Arbeitsplätze daran. Die Europäische Zentralbank (EZB) müsse endlich die Inflation bekämpfen, denn deren Ursachen lägen schließlich auch in der bisherigen Politik der Zentralbänker. Die Bremer Politik schließlich müsse jede weitere Belastung für die Wirtschaft vermeiden, wozu Fonger auch den geplanten Ausbildungsfonds zählt.

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