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Mietspiegel für Bremen: Was sind die Folgen? "Bäume werden nicht in den Himmel wachsen"

In Bremen könnte ein Mietspiegel in naher Zukunft Pflicht sein. Der Experte Christoph U. Schmid von der Uni Bremen bewertet das Instrument und plädiert für mehr Offenheit in der Wohnungspolitik.
22.06.2021, 19:16 Uhr
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Von Lisa Schröder

In Bremen gibt es bisher keinen Mietspiegel. Die Erstellung könnte künftig für Kommunen ab 50.000 Einwohnern aber Pflicht sein. Die Große Koalition hat sich auf eine entsprechende Reform geeinigt. Ist das eine gute Nachricht?

Christoph U. Schmid: Jein. Es ist insofern eine gute Nachricht, weil ein Mietspiegel größere Rechtssicherheit bietet. Alle Beteiligten können die sogenannte ortsübliche Vergleichsmiete einfach in Erfahrung bringen – der Mietspiegel ist dafür das Instrument par ex­cel­lence. Als Vermieter muss ich mich auf die ortsübliche Vergleichsmiete stützen. Ich darf die Miete nicht darüber hinaus erhöhen. Und Neuvermietungen dürfen laut Mietpreisbremse, wie sie auch in Bremen gilt, höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen.

Und warum jein? Weil Mieten in der Folge steigen könnten, weil der Blick auf die Vergleichsmiete einen Anreiz gibt, Preise anzupassen?

Das könnte in der Tat passieren, gerade wo Vermieter bisher nicht sehr engagiert waren, ein Maximum zu verlangen. Die ortsübliche Vergleichsmiete spiegelt natürlich einen Durchschnitt wider. Das heißt: Die Bäume werden nicht in den Himmel wachsen. Allerdings sehen einige den Referenzzeitraum als Problem. Berücksichtigt werden nur Mietverträge und Mieterhöhungen aus den letzten sechs Jahren. Ältere Verträge, die vielleicht Jahre nicht angepasst wurden und niedriger ausfallen dürften, fließen nicht ein. Deswegen gibt es eine Polemik gegen Mietspiegel, dass diese immer auch Mieterhöhungsspiegel seien.

Und ist die Sorge berechtigt? Was ist in anderen Städten passiert?

Es ist ganz schwer, das Steigen der Miete auf den Mietspiegel allein zurückzuführen, weil es extrem viele andere Faktoren gibt. Welche Attraktivität hat eine Stadt? Wie steht es um die Gebäude? Und wie zugänglich ist Eigentum als Alternative? Bremen ist nach meinem Wissen die letzte Großstadt ohne Mietspiegel. Das ist also absolut ungewöhnlich. Ich erwarte jedoch, dass es in Bremen keine wesentlichen Folgen gibt – bis auf Ausreißer. Der Markt ist nicht ganz so angespannt. Es ist ja auch nicht so, dass die Vermieter gezwungen werden, die Miete anzuheben.

Könnte der Mietspiegel für Mieter sogar ein Vorteil sein? Wie sieht der Zugang aus?

Der Zugang ist üblicherweise kostenlos. Die meisten Städte haben online eine entsprechende Datenbank. Ich habe mir das aktuell für Heidelberg angesehen. Auf der Seite kann man sehr bequem Faktoren wie die Größe, Lage und Ausstattung eingeben und bekommt vom Programm eine Spanne für die Höhe der Miete angegeben. Daran können Vermieter sich orientieren – übrigens nicht willkürlich. Wenn es Streit gibt, tendieren Gerichte üblicherweise zum Mittelwert. Mieter können dabei auf Grundlage des Mietspiegels leichter gegen überhöhte Mieten vorgehen. Das hat etwas Gutes – gerade in einer Marktsituation, wo sich der Vermieter erlauben kann, viel zu verlangen. Insofern hat der Mietspiegel schon einen Dämpfungseffekt.

Wann könnte der Mietspiegel in Bremen Pflicht sein?

Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen einfachem und qualifiziertem Mietspiegel. Ich denke, dass Bremen den Ehrgeiz hat, einen qualifizierten Mietspiegel zu erstellen. Der müsste bis Anfang 2024 fertig sein, ein einfacher Mietspiegel bereits ein Jahr vorher.

Welche Kosten könnten auf Bremen zukommen?

Ich habe mir erzählen lassen, dass ein Mietspiegel für kleine Städte bei 50.000 Euro aufwärts liegt. Für Bremen würde ich Kosten von 100.000 bis 150.000 Euro erwarten. Ein Mietspiegel muss derzeit dann alle zwei Jahre angepasst und alle vier Jahre neu erstellt werden.

Im jüngsten Report der Mietspiegelkommission, der Sie angehören, plädieren Sie und Ihre Kollegen für die Erstellung eines Mietspiegels in allen Großstädten. Warum?

Der Mietspiegel bringt in der Praxis eine erhebliche Erleichterung. Es ist sonst mit großem Aufwand und hohen Transaktionskosten verbunden, Verträge und Erhöhungen zu überprüfen. Der Gesetzgeber hat sich dieser Ansicht angeschlossen. Die Bremer Linie war offenbar bisher: Wir haben es lieber ein bisschen undurchsichtig, um Vermieter abzuhalten, das Maximum zu verlangen. Ob diese Rechnung immer aufgeht? Das ist eine andere Frage.

Die Bremer müssten bei der Erstellung des Mietspiegels mithelfen – nämlich Auskunft geben.

Genau. Das Einwohnermeldeamt darf der zuständigen Behörde Daten zur Verfügung stellen. Die bekommt dann vermutlich das Unternehmen, das den Mietspiegel erstellt. Die Firma wird zufallsmäßig bei Leuten anrufen und die Miethöhe und weitere Charakteristika der Wohnung erfragen. Erstmals soll es jetzt eine Pflicht geben, darauf zu antworten. Damit sollen Mietspiegel wesentlich schneller und billiger erstellt werden können.

Als Jurist haben Sie einen anderen Blick auf den Wohnungsmarkt – etwa im Vergleich zu Maklern oder Vermietern. Was sollte verändert werden, um etwas gegen die teils beunruhigende Mietpreisentwicklung und Wohnungsnot zu unternehmen? Haben Sie einen Vorschlag?

Das ist natürlich eine Königsfrage. Was kann man tun, um der Wohnungskrise, wie sie in den meisten europäischen Ballungsräumen gerade herrscht, beizukommen? Genau dazu veranstaltet die Universität Bremen am Freitag einen internationalen Workshop mit Teilnehmern aus 15 Ländern. Wir beschäftigen uns mit alternativen Wohnformen.

Was gibt es für Ideen?

In vielen Ländern gibt es Versuche, neue Konstruktionen einzuführen – meist irgendwo zwischen Eigentum und Miete. Ganz spektakulär passiert das in Katalonien. Dort gibt es zum Beispiel zeitlich befristetes Eigentum sowie aufgespaltenes Eigentum. Ich kann mir eine Wohnung für zehn Jahre kaufen oder nur zu einem Viertel als Eigentum und zu Dreiviertel in Miete. Es gibt viele Ideen. In Schweden wird die Miete etwa in bestimmten Gebieten von Mieter- und Vermieterverbänden verhandelt.

So wie ein Tarifvertrag.

Genau. Es gibt eigentlich einen reichen Schatz an europäischen Erfahrungen, wie auf die Wohnungsnot reagiert werden kann, auf den wir zurückgreifen könnten. Das passiert aber wenig. In Deutschland sind wir doch recht verengt auf Eigentum und Miete ausgerichtet. Genossenschaften und Erbpacht sind keine Massenphänomene – von anderen innovativen Gestaltungen ganz zu schweigen.

Das Gespräch führte Lisa Boekhoff.

Zur Person

Christoph U. Schmid

ist seit 2005 Direktor am Zentrum für Europäische Rechtspolitik (ZERP) und Professor für Europäisches Wirtschaftsverfassungs-, Wirtschafts- und Privatrecht an der Universität Bremen. Er ist Koordinator des europäischen Forschungsnetzwerks TENLAW zum Wohnungsrecht sowie Mitglied der Mietspiegelkommission der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung (gif).

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