Die Zeit schreitet voran. New York, London, Moskau, Tokio – die große Welt in der Bremer Sögestraße. An der Fassade des Eckgebäudes tickt für jede der vier Metropolen eine eigene Uhr. Und darunter das größte Ziffernblatt: Darüber prangt der Schriftzug "Uhrenmacher seit 1890". Hier ist der Sitz von Grüttert.
Die Uhren aber sind allesamt aus dem Takt geraten. Und in wenigen Wochen wird das Ensemble aus einem zweiten Grund nicht mehr stimmen: Grüttert zieht aus.
Unzählige Bremerinnen und Bremer, Touristen und Geschäftsreisende dürften hier schon an der Fußgängerampel verweilt haben. Seit vielen Jahren gibt es den Standort von Grüttert in der Sögestraße in exponierter Lage – das Tor zur Innenstadt. Gegenüber die beliebte Fotokulisse: die Schweine plus Hirte. Ende Juli ist bei Grüttert Schluss.
Das Geschäft gehört heute zum Unternehmen Stichnoth mit Sitz in Hannover. Dessen Geschäftsführer ist unzufrieden mit der Bremer Innenstadt und der bisherigen Lage. "Die Entwicklung ist eine Katastrophe", sagt Jörg Stichnoth. Die Sögestraße sei keine hochwertige Einkaufsmeile mehr. Und auch in der Obernstraße fehlt ihm das Konzept. "Da ist nichts mehr. Da fehlt die Individualität." Das ist für ihn der eine Grund für den Umzug.
Ein weiterer Knackpunkt war die Miete. Stichnoth wollte aufgrund mehrerer Entwicklungen künftig weniger zahlen. Das Geschäft, indem heute Trauringe verkauft werden, erbringe nicht mehr die früheren Erträge: "Die goldenen Zeiten sind einfach vorbei." Die Margen seien eng, das Umfeld wandle sich zudem. Die Vermieterin sei aber nicht bereit gewesen, die Miethöhe anzupassen.
Eigentümerin ist die Bremer KK Immobilien GmbH. "Die Vertragslaufzeit für das Ladengeschäft in der Sögestraße 70 läuft nach nunmehr zwanzig Jahren aus", erklärt Geschäftsführerin Kristine Könecke den Auszug. Eine weitere Verlängerung sei von Mieter und Vermieter nicht gewünscht gewesen.
So wird der Laden aktuell bei Immobilienscout als "Glänzende Ecklage in bester 1-a-Lage der Bremer Innenstadt" offeriert. Erste Gespräche mit Interessenten laufen. Ziel sei es, den Standort aufzuwerten und einen für die Innenstadt wertigen Mieter zu gewinnen, sagt Könecke: "Uns ist es sehr wichtig, diesem etablierten Standort weiterhin eine sehr gute Attraktivität zu verleihen, um damit auch unseren Beitrag zur Stärkung der Bremer Innenstadt zu leisten."
Die Umgestaltung des Ladens will das Immobilienunternehmen gemeinsam mit dem neuen Mieter angehen. Der Mietzins orientiere sich dann an der Branche, der Vertragslaufzeit und dem Investitionsvolumen. Die Fläche sei aufgrund der Lage sowohl für Einzelhandel, Gastronomie aber auch Dienstleistungen interessant.
Grüttert ist vor Ort nicht der erste Weggang. Eine Innenstadt im Wandel – das ist hier in den Straßen zu erleben. In der Nachbarschaft ist in kurzer Zeit viel passiert. Das Kundenzentrum der SWB gegenüber steht leer. In der Knochenhauerstraße hat es ebenfalls Veränderungen gegeben. Teils gibt es neue Bewohner, teils noch Leerstand.
Wo früher L'uomo Designerkleidung verkaufte, gastiert mithilfe eines Programms der Stadt heute ein Pop-up-Store. Dort zeigt MPura aus der Neustadt seine 3-D-Licht-Objekte. "Das muss man sehen", sagt Mitarbeiter Oliver Stolle mit Blick auf eine beeindruckend inszenierte Libelle. Weiter geht es auch bei Hautop. Die Maßschneiderei Cove aus Düsseldorf hat den Laden samt Schuhbestand übernommen. Neben Herrenanzügen bietet der Filialist auch Accessoires an – Einstecktücher oder Schuhe. "Deshalb passte das ganz gut", sagt Mathias Böttjer, der den Standort in Bremen aufbaut.
Damit Innenstädte wieder lebendig werden, sagt Jörg Stichnoth, müssten die Mieten dort deutlich sinken. Davon sei er überzeugt. "Die hohen Mieten zerstören innovative Konzepte." Probleme sieht er nicht nur in Bremen. Immobilienspekulationen machten Standorte für den Einzelhandel teils regelrecht kaputt.
Zusammen mit seinem Bruder führt Stichnoth die Geschäfte des Schmuck- und Uhrenherstellers mit mehreren Standorten in Deutschland. Seit 20 Jahren gehört Grüttert dazu. Für eine Stadt sei es wichtig, dass sich die Menschen dort wohlfühlten. Der Geschäftsführer hofft hier auf Investoren wie Kurt Zech ("Der liebt Bremen!") und entsprechende Unterstützung seitens der Politik. Schließlich bleibt Grüttert in der Hansestadt.
Nachspiel vor dem Landgericht
Im Geschäft in der Sögestraße sind die Schaufenster mit Herzen dekoriert. Immer im Paar liegen die Trauringe zusammen. Grüttert und die Sögestraße aber vollziehen nach vielen gemeinsamen Jahren eine Trennung.
Vor dem Landgericht Bremen gibt es nach Angaben von Stichnoth ein Nachspiel. In den Monaten mit Lockdown halbierte der Unternehmer die Miete. Dafür sei er verklagt worden. Gespräche über ein Entgegenkommen der Eigentümerin seien zuvor gescheitert.
Wohin es nun geht? Jörg Stichnoth will das noch nicht verraten. Im neuen Laden will er das Sortiment ausweiten, Trauringe und Uhren aus eigener Produktion anbieten. Unter dem Namen Carl Grüttert verkauft Stichnoth weiterhin Armband- oder auch Kuckucksuhren. Die Immobilie für das neue Geschäft hat das Unternehmen gekauft.