Weil die Geschäfte im Neustädter Hafen die letzten Jahre nicht gut liefen, will die SPD-Fraktion das Thema nun auf die Agenda bringen. Offene Fragen gibt es dabei viele.
Das Bild im Neustädter Hafen ändert sich täglich. Mal sind es Stahlrohre, die einen Teil des Areals belegen. Dann wieder mächtige Beton-Komponenten, aus denen später die Türme für Windkraftanlagen zusammengesetzt werden. Mit Projektladung wie dieser wird im Hafen heute Geld verdient. Nur: Das Projektgeschäft ist deutlichen Schwankungen unterlegen und eng mit den Entwicklungen der Weltwirtschaft verknüpft. Gerade in den vergangenen beiden Jahren liefen die Geschäfte im Hafen daher nicht ganz so gut. Der Bremer Logistikdienstleister BLG konnte dort als Betreiber zuletzt keine positiven Ergebnisse mehr erwirtschaften.
Auch aus dieser Überlegung heraus will die SPD-Fraktion das Thema Neustädter Hafen nun auf die Agenda bringen. Offene Fragen gibt es dabei viele: Soll der Neustädter Hafen in Zukunft ein Hafenumschlagsplatz bleiben? Soll das Gebiet – oder zumindest ein Teil davon – in Gewerbe- und Industrieflächen umgewidmet werden? Sollen dort vielleicht sogar Wohnungen entstehen?
Erst Ende Januar wurde in der Stadtbürgerschaft darüber diskutiert, dass es in Bremen zu wenig Gewerbegebiete gibt. In diesem Zusammenhang sagte Wirtschaftssenator Martin Günthner (SPD), dass eine öffentliche Debatte über die Zukunft des Neustädter Hafens erwünscht sei.
Neustädter Hafen als Entwicklungsfläche
Doch es ist längst nicht das erste Mal, dass der Neustädter Hafen Thema einer Regierungskoalition ist. Schon 2006 hatte die Hafengesellschaft Bremenports im Auftrag des damaligen Wirtschaftssenators Jörg Kastendiek (CDU) einen Masterplan für das Hafen- und Logistikzentrum links der Weser entworfen. Auch im Gewerbeentwicklungsprogramm der Stadt Bremen 2020, das vor vier Jahren vorgestellt wurde, ist der Neustädter Hafen als Entwicklungsfläche vermerkt: „Die Potenziale des Neustädter Hafens sind für die Gesamtentwicklung des GVZ Bremen noch intensiver zu nutzen“, heißt es in dem Papier.
Bezogen auf das Güterverkehrszentrum (GVZ) sei die Ergänzung der Umschlagsaktivitäten im Neustädter Hafen über das Stückgutsegment hinaus zu prüfen. Und auch im Koalitionsvertrag des rot-grünen Senats von 2015 nimmt die Koalition im Kapitel Hafen Bezug auf die Weiterentwicklung des Areals: Dieser gelte „besonderes Augenmerk“. „Wir werden mit den Vorarbeiten für eine Planung beginnen, die sich diesem herausragenden Gebiet in dieser Legislaturperiode annimmt.“ Dieselbe Formulierung ist noch an einer zweiten Stelle des Koalitionsvertrages zu finden: im Kapitel Wohnungsbau.
„Die anderen Gewerbeflächen laufen voll, wir müssen handeln“, sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Reinken – auch mit Blick auf den Neustädter Hafen. Aus seiner Sicht ist es aber nicht realistisch, ein Stadtentwicklungsprojekt wie die Überseestadt auf die andere Weserseite zu spiegeln. Der Neustädter Hafen liegt neben den Stadtteilen Rablinghausen und Woltmershausen und ist derzeit nur über eine Busverbindung an die Innenstadt angebunden. Auch Robert Bücking, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen, erteilt der Idee, auf oder rund um das Areal Häuser und Wohnungen zu bauen, eine Absage – zumindest für die nächsten paar Legislaturperioden. Zum derzeitigen Zeitpunkt sei es „unrealistisch“ und „weltfremd“ zu glauben, dass an Ort und Stelle ein Wohnquartier entstehen könnte.
Initiative Stadtbremische Häfen strikt gegen Wohnbebauung
Der Neustädter Hafen hatte bei den Koalitionsverhandlungen auf einen Impuls der Grünen hin seinen Weg in das Kapitel Wohnbebauung gefunden. Die Fraktion hatte den Hafen als ein mögliches Gebiet ausgemacht, wo die Stadt wachsen kann – nicht in naher Zukunft, sondern perspektivisch. Allerdings könne jetzt der Zeitpunkt sein, diese Idee aufgrund der angespannten Lage am Wohnungsmarkt in den Raum zu stellen, sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Maike Schaefer. Eine Arbeitsgruppe, die beim Wirtschaftssenator angedockt ist und sich aus Vertretern des Wirtschaftsressorts, des Bauressorts und der BLG zusammensetzt, soll sich nun mit sämtlichen Möglichkeiten auseinandersetzen.
Heiner Heseler ist Geschäftsführer der Initiative Stadtbremische Häfen (ISH) und vertritt damit Firmen, die vor allem auf der rechten Weserseite angesiedelt sind. Die Mitglieder des ISH seien strikt gegen eine Wohnbebauung, sagt er. Einer Kombination aus hafennahen Dienstleistungen und Firmen entlang der Wertschöpfungskette kann Heseler indes viel abgewinnen.
Ähnliches ist von Ullrich Hautau, bei der Handelskammer Bremen Referent für Standortpolitik, Häfen und Verkehr, zu hören. Die Formulierungen zum Neustädter Hafen im Koalitionsvertrag findet er „sehr nebulös“. Er sei überrascht gewesen, das Thema auch unter dem Kapitel Wohnbebauung zu finden. „Ich gehe davon aus, dass der Hafen grundsätzlich nicht infrage gestellt wird“, sagt er. Dass das Projektgeschäft, wie es im Neustädter Hafen gemacht wird, volatil ist, sei nichts Neues. „Wir fordern, dass die Flächen am seeschifftiefen Hafen erhalten bleiben.“
Hafen unterliegt seit jeher permanentem Wandel
Derzeit gehen die Planungen rund um den Neustädter Hafen nicht über solche Gedankenspiele hinaus. Doch wie geht es weiter mit einem Hafen, der keine Gewinne bringt, sondern der zuletzt nur Geld gekostet hat?
Fest steht: Der Neustädter Hafen unterliegt seit jeher einem permanenten Wandel. Einst mit vier Hafenbecken geplant, wurde am Ende nur ein Becken verwirklicht und 1964 in Betrieb genommen. Es kamen Schiffe mit Laderäumen voller Ballen, Kisten und Säcken, die von den Hafenarbeitern zu den Schuppen gebracht wurden. Wenig später entwickelte sich das 1,1 Millionen Quadratmeter große Gebiet zu Bremens Umschlagplatz für Container – all das in einer Zeit, als der Rest von Deutschland noch kaum eine der damals neu eingeführten Blechboxen überhaupt zu Gesicht bekommen hatte. Mit Bau des Hafens in Bremerhaven war die Hochzeit der Container in der Stadt jedoch bald wieder vorbei. Heute finden nur noch ein paar Standardcontainer den Weg die Weser hinauf, genau beziffern lässt sich deren Anzahl laut BLG nicht. Drei Mal pro Woche macht ein Shuttleverkehr aus Bremerhaven an der Neustädter Kaje fest, dann werden Container gelöscht. Ein BLG-Kunde, der davon profitiert, ist das Tchibo-Lager im benachbarten Güterverkehrszentrum.
Die Basis für den Hafen bilden Papier- und Forstgeschäfte. Der Schwerpunkt liegt heute aber vor allem im konventionellen Umschlag von Break Bulk. Das ist Stückgut, das nicht in Containern verladen ist und am Stück gehoben werden kann. Heute sind es aber weniger die Ballen, Kisten und Säcke von einst, sondern Rohre, Bleche oder Anlageteile. Bis zu 650 Tonnen können per Schwimmkram bewegt werden. 2015 wurden im Neustädter Hafen wasserseitig 1,08 Millionen Tonnen umgeschlagen, im vergangenen Jahr waren es 1,13 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Vor der Finanzkrise Anfang des neuen Jahrtausends lag der Umschlag noch bei deutlich über zwei Millionen Tonnen.
Über ein halbes Jahr hinausgehende Prognosen lohnen nicht
Die Iran-Sanktionen, die Unruhen in Nordafrika, der niedrige Ölpreis – Entwicklungen wie diese haben die Geschäfte im Neustädter Hafen zuletzt negativ beeinträchtigt. „Solche Ausschläge sind nur schwer vorhersehbar“, sagt Sven Riekers, Geschäftsführer von BLG Cargo Logistics und damit Herr über den Neustädter Hafen. Derzeit lohnten sich Prognosen, die über ein halbes Jahr hinausgehen, daher kaum.
Immer wieder war zuletzt auch zu hören, dass die Salzgitter AG ihr Röhrengeschäft von Bremen nach Brake verlagert hat. An der Salzgitter AG ist das Land Niedersachsen mit 26,5 Prozent beteiligt. Gleichzeitig wird der Hafen in Brake von Niedersachsen Ports betrieben. Eigentümer von Niedersachsen Ports ist das Land Niedersachsen. Man sei 2016 zwar nicht in dem erhofften Umfang von der Salzgitter AG berücksichtigt worden, heißt es seitens der BLG. Ein Auftrag oder gar ein Kunde sei in der Vergangenheit aber nicht weggebrochen. „Wir stehen im Wettbewerb mit Brake und wir stellen uns dieser Konkurrenz“, sagt Riekers. Dieser Wettbewerb sei von den Kunden aber auch gewünscht. Daher sei es unwahrscheinlich, dass Konzerne wie Salzgitter ausschließlich auf einen Hafen setzten. „Es gibt technisch gute Gründe, warum sich ein Kunde für den Neustädter Hafen entscheidet“, sagt Riekers. Insgesamt sei die Bremer Anlage zwar älter, dafür aber „hervorragend aufgestellt“.
Die Geschichte des Neustädter Hafens ist eng mit der BLG verknüpft. Von Anfang an ist der Logistiker Pächter der Stadt. Bremen wiederum ist mit 50,4 Prozent Mehrheitseignerin der Bremer Lagerhausgesellschaft AG und einhundertprozentige Kommanditistin der operativen Einheit BLG Logistics Group. Die BLG betreibt den Hafen auf der linken Weserseite über ihre Tochtergesellschaft BLG Cargo Logistics. Der Vertrag mit der Stadt läuft noch bis zum Jahr 2027.
Teile des Areals mittlerweile untervermietet
Einen Teil des riesigen Areals hat das Bremer Unternehmen mittlerweile an andere Hafendienstleister und Logistiker, an denen die BLG selbst beteiligt ist, untervermietet. Weniger Hafenumschlag, mehr Dienstleistungen – diese Entwicklung schlägt sich auch in der Zahl der Mitarbeiter nieder: 2007 arbeiteten noch 225 Beschäftigte des Bremer Logistikers im Neustädter Hafen. Allerdings waren diese ausschließlich mit dem Hafenumschlag beschäftigt. Heute kommt die BLG auf 487 Mitarbeiter auf dem Gelände. Im Hafenumschlag sind noch 194 Menschen tätig, die je nach Arbeitsaufkommen flexibel eingesetzt werden. Kommen viele Schiffe auf einmal an, greift das Logistikunternehmen nach eigenen Angaben auch auf Angestellte des Gesamthafenbetriebsvereins zurück.
Auch wenn die Geschäfte im Neustädter Hafen zuletzt nicht rund liefen, gibt es nun offenbar einen Lichtblick: 2015 haben noch 524 See- und Binnenschiffe das Hafenbecken angelaufen, 2016 waren es 538. Geschäftsführer Sven Riekers betont, dass in den vergangenen Jahren kein fundamentales Geschäft verloren gegangen sei. „Ich kann die Diskussion nicht so ganz verstehen.“ Riekers sagt aber auch: „Im Neustädter Hafen kann mehr passieren.“ Die BLG, so sagt der Geschäftsführer, brauche nicht jeden Meter Kaje. Daher könne er sich ebenfalls vorstellen, dass es eine gute Idee wäre, den Neustädter Hafen weiter zu öffnen und dort weitere Produktion anzusiedeln. „Und mit der BLG gibt es vor Ort einen Logistiker, der sich in Transport und Hafenumschlag gut auskennt und die Unternehmen gut unterstützen könnte“, fügt er augenzwinkernd hinzu.