Frau Schnitzer, Sie gelten als eine der Wirtschaftsweisen im Land. Können Sie mit diesem Titel eigentlich etwas anfangen?
Monika Schnitzer: Anfangs habe ich mich etwas schwergetan mit dem Begriff. Das klingt so nach alten weißen Männern – aber ich bin ja inzwischen auch nicht mehr die Jüngste, also quasi eine alte weiße Frau. Und ich weiß den Ausdruck zu schätzen. Die Leute wissen sofort, wer man ist. Anders als wenn ich sage: Ich bin Vorsitzende vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Der Wiedererkennungseffekt ist einfach praktisch. Wobei ich mich selbst nie als Wirtschaftsweise vorstelle.
Als Gremium bringen Sie sich aktiv ins Geschehen ein – sprechen Empfehlungen aus. Wie viel Wirtschaftsweisheit lässt sich derzeit seitens der Politik beobachten?
Die Zeiten sind schwierig. Da ist jede Menge Weisheit gefragt. Es gibt aber nicht immer die eine einfache Lösung. Es sind alle gefordert, die möglichst besten Antworten zu finden. Das ist auch unsere Aufgabe: Handlungsoptionen aufzuzeigen.
Woran scheitert es in der Politik, wenn eben nicht weise gehandelt wird? Auch am Wähler? Weil man sich vor Entscheidungen, die vielleicht wehtun können, drückt?
Ja, mit Sicherheit. Ich denke an die Rentenreform, die wir dringend bräuchten, an die sich die Politiker aber nicht herantrauen, weil es eben unpopulär ist. Damit gewinnt man keine Wahl. Und nicht immer ist, was ökonomisch sinnvoll ist, auch die beste politische Entscheidung. Die Politik muss die Dinge immer abwägen: Wie nimmt man alle mit? Wie kann man die Gesellschaft zusammenhalten? Wir Ökonomen haben es da leichter: Wir müssen nur ökonomische Fragen beantworten.
Und die ökonomische Brille tragend sagen Sie zum Beispiel auch: Ein Feiertag in Deutschland müsste künftig eigentlich wegfallen.
Die aktuelle Lage ist schwierig. Jetzt kommt mit der Zollpolitik die nächste Herausforderung auf uns zu. Wir müssen produktiver und wieder wettbewerbsfähiger werden. Ich glaube, ein Arbeitstag mehr ist nicht so schmerzhaft, wie auf Lohnanstieg zu verzichten. Wir müssen an der Stelle den Gürtel ein bisschen enger schnallen nach all den Krisen. Auch die Rentnerinnen und Rentner müssen Zugeständnisse machen.
Die Bundesregierung hat gerade den sogenannten Investitionsbooster für die Wirtschaft beschlossen. Es sind Steuererleichterungen in Milliardenhöhe vorgesehen. Was erwarten Sie für Impulse?
Das ist ein positives Signal schon deshalb, weil damit zum Ausdruck gebracht wird: Wir wollen das Wirtschaften in Deutschland wieder attraktiver machen. Es ist ganz wichtig, eine Aufbruchstimmung zu erzeugen. Und das funktioniert über die Losung: Wir wollen die Wirtschaft wieder in Schwung bringen.
Das ist auch mit Blick aufs Wirtschaftswachstum nötig. Während andere Volkswirtschaften sich erholt haben, stecken wir weiter in der Stagnation fest. Für dieses Jahr gehen Sie als Sachverständigenrat von einem Nullwachstum aus – ein etwas schräger Begriff. Welche Faktoren schlagen hier ins Gewicht?
Die Entwicklung im ersten Quartal war tatsächlich besser, als wir es zum Zeitpunkt der Prognose gesehen haben. Allerdings hat es da auch verstärkt Exporte in die USA gegeben, bereits im Vorgriff auf die drohenden Zölle. Am Ende werden wir mit unserer Prognose wahrscheinlich gar nicht so schlecht liegen – fürchte ich. Wenn es besser läuft, gefällt mir das natürlich. Das Infrastrukturpaket wird einen Wachstumseffekt haben. Deswegen können wir zuversichtlich in die Zukunft schauen. Wir schätzen aber, dass sich das erst im nächsten Jahr in den Zahlen widerspiegeln wird, weil neue Straßen und Brücken erst geplant werden müssen. Die kann ich nicht im Laden von der Stange kaufen.
Am Infrastrukturpaket hängen viele Erwartungen. Was sind die Voraussetzungen, damit sich Deutschland modernisiert?
Es ist ganz wichtig, das Geld wirklich für Investitionen auszugeben – auch für Forschung und Entwicklung in Zukunftsfeldern. Der Spielraum durch die Reform der Schuldenbremse sollte nicht genutzt werden, um das ein oder andere Wahlgeschenk zu verteilen. Es wird momentan diskutiert, ob die Stromsteuer nicht doch für alle gesenkt werden sollte. Das könnte tatsächlich Wachstum anregen – anders als die Erhöhung der Mütterrente oder die Subvention von Agrardiesel.
In Bremen ist ein Transformationsprojekt im Stahlwerk gerade auf Eis gelegt worden. Arcelor-Mittal hat sich trotz Milliardenförderung dagegen entschieden. Wo stehen wir beim Umbau der Wirtschaft in Sachen Klimaneutralität? Im Moment bekommt man den Eindruck, dass viele auf die Bremse treten – etwa die USA.
Wir haben es in Amerika mit einer Regierung zu tun, die den Klimawandel nicht ernst nimmt. Da muss man leider sagen: Von da wird momentan bestimmt keine Unterstützung kommen. Wir erleben in diesen Tagen gerade eine Hitzewelle. Damit wird man in Zukunft rechnen müssen. Und wir sind immer noch besser dran als viele andere Länder auf der Welt, wo die Hitze irgendwann nicht mehr erträglich sein wird.
Wie schaffen wir es, den Wandel gut hinzukriegen?
Aus meiner Sicht ist die Koordination entscheidend – wie beim Wasserstoff. Die Industrie kann die Produktion nur umstellen, wenn es den Wasserstoff und die entsprechende Infrastruktur auch gibt. Genau da ist die Regierung gefragt. Das passiert nicht von selbst. Jetzt klappt es offensichtlich mit der Wasserstoffproduktion nicht ganz so schnell. Das macht es für die Unternehmen schwer, selber schon stark zu investieren.
Was kann die Politik noch machen in einem Fall wie beim Bremer Stahlwerk?
Wir haben mit Arcelor-Mittal ein Unternehmen mit mehreren Standorten – nicht nur in Deutschland. Offensichtlich scheinen sie sich momentan bei der Dekarbonisierung auf wenige Standorte fokussieren zu wollen. Ich schließe nicht aus, dass sie in Zukunft den Schritt in Bremen machen werden. Das scheint aber derzeit nicht die Strategie zu sein – trotz der versprochenen Unterstützung. Heißt das, dass wir jetzt noch mehr unterstützen müssen? Ich glaube nicht. Das Unternehmen muss sich erst selbst sortieren, wo die Prioritäten für die Standorte liegen. Das können wir nur begrenzt beeinflussen. Also jedenfalls nicht, indem wir noch viel mehr Geld drauf werfen.
Andere Stahlhersteller halten zudem an ihren Vorhaben fest.
Ich rechne auch damit, dass sie ihre Pläne umsetzen werden. Das hilft natürlich Bremen nicht. Die Transformation ist teurer und zieht sich länger hin. Das heißt aber nicht, dass die Strategie an sich verkehrt ist. Es ist mehr Geduld gefragt. Wir sollten uns jetzt auf keinen Fall zurückziehen: Ja dann eben nicht! Das wäre ganz falsch. Jetzt noch lange auf fossile Treibstoffe zu setzen, wird uns massive Probleme verschaffen. Da versündigen wir uns an nachfolgenden Generationen und an all den Ländern, die noch viel schlimmer vom Klimawandel betroffen sein werden als wir.
Die Weltordnung hat sich verändert. Was beobachten Sie mit Blick auf die Wirtschaft?
Wir haben über die letzten Jahrzehnte enorm von der Globalisierung und der internationalen Arbeitsteilung profitiert. Es konnte abgesehen vom Transport zu Nullkosten gehandelt werden mit der ganzen Welt. Und zwar nicht nur T-Shirts und iPhones, sondern auch ganz viele Zwischenprodukte. Wenn heute in Deutschland ein Auto gebaut wird, kommen viele der Teile aus anderen Ländern. Das wird durch die Zollpolitik von Trump massiv infrage gestellt. Es ist ein Schritt zurück. Wenn Handelsströme zurückgebaut werden, hat das für die Welt enorme Folgen: Es wird uns alle ärmer machen.
Was uns die Amerikaner oft voraushaben, ist ein gewisser Grundoptimismus. Der fällt uns hierzulande schwer – gerade jetzt in der Krise. Wir brauchen aber trotz aller Probleme mehr Zuversicht oder?
Das glaube ich tatsächlich. Viele gerade in der Forschung oder Wirtschaftswelt in den USA zeichnet aus, dass sie nach vorne schauen: Wie geht es weiter? Was gibt es für neue Entwicklungen und Möglichkeiten? Das sehe ich bei uns nicht so sehr. Es geht bei uns viel ums Bewahren – etwa um den Erhalt der aktuellen Arbeitsplätze in der Industrie. Wir diskutieren zu wenig, wie wir neue Technologien wirklich nutzen können. Uns fehlt die Vision. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir uns in Zeiten von Krisen zusammenreißen können. Und wir sind jetzt in einer Krise. Wir sind nicht nur mit den Herausforderungen aus den USA konfrontiert. In China ist uns ein sehr großer Konkurrent erwachsen – gerade in der Automobilbranche und dem Maschinenbau. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als uns selbst neu zu erfinden. Das ist jetzt hoffentlich überall angekommen. Es ist nicht so, dass uns das Schicksal einfach passiert. Wir müssen es selbst in die Hand nehmen.