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Studie zum Recycling in Bremen Goldene Zeiten für den Schiffsschrott?

Lassen sich ausrangierte Schiffe umweltfreundlich und gewinnbringend in Deutschland verschrotten? Mit dieser Frage befasste sich ein Workshop in Bremen und fand ein paar interessante Antworten.
10.11.2023, 08:08 Uhr
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Goldene Zeiten für den Schiffsschrott?
Von Christoph Barth

Die Werften im Lande Bremen haben alle Höhen und Tiefen in der Geschichte des Schiffbaus durchgemacht – von glanzvollen Tauffeiern für große Tanker und Passagierschiffe bis zu Pleiten und Werksschließungen. Jetzt könnte ein neues Kapitel hinzukommen: das Verschrotten und Recyceln von ausrangierten Schiffen. Eine Studie, die in dieser Woche bei einem Workshop des Maritimen Clusters Norddeutschland (MCN) in Bremen vorgestellt wurde, sieht dafür "vielversprechende Perspektiven".

Autor der Potenzialanalyse ist der Ökonom Raimund Bleischwitz, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Bremer Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT). Um die Größe der Aufgabe zu beschreiben, greift der Wissenschaftler zu einem Vergleich: In den kommenden zehn Jahren, so rechnet er vor, müssten weltweit rund 15.000 Schiffe verschrottet werden, weil sie zu alt sind und nicht mehr gebraucht würden. Fast 100 Millionen Tonnen Stahlschrott fielen dabei an – "das entspricht etwa der gesamten Pkw-Flotte in den USA", so Bleischwitz. Und der Schrott werde dringend gebraucht, auch in Europa.

Traditionell werden alte Schiffe an den Stränden von Bangladesch, Indien und Pakistan zerlegt – unter oftmals erbärmlichen Bedingungen für die Arbeiter und die Umwelt. 2022 landeten nach Zahlen der Nichtegierungsorganisation Shipbreaking Platform fast 300 Schiffe auf den berüchtigten "Schiffsfriedhöfen" in Südostasien. In EU-Ländern wurden nur 33 Schiffe verschrottet. Dabei schreibt die EU-Schiffsrecycling-Verordnung eigentlich vor, dass Schiffe unter europäischer Flagge nur von einem durch die EU zertifizierten Recyclingbetrieb zerlegt werden dürfen. "Das lässt sich jedoch durch Umflaggen des Schiffes unter eine Nicht-EU-Flagge leicht umgehen", kritisiert Benedetta Mantoan von Shipbreaking Platform.

Mehr Geld fürs schwimmende Altmetall

Hauptgrund für die Schiffseigentümer, ihre Alttonnage lieber nach Indien oder Pakistan zu verkaufen, ist der Preis: "90 Prozent der Reeder gehen hier nur nach ,top dollar', nicht nach der Qualität", schätzt Henning Gramann, Chef des Lüneburger Beratungsunternehmens GSR Services. Südostasiatische Schiffsausschlachter zahlen 450 bis 500 Dollar pro Tonne Leergewicht des Schiffes; in Europa bekommen die Reeder nur 100 bis 150 Dollar für ihr schwimmendes Altmetall.

Trotzdem sieht der Recycling-Experte, der sich seit fast 20 Jahren mit dem Thema befasst, eine "Zeitenwende" nahen, ebenso wie Studienautor Bleischwitz: Das "Nischenthema Schiffsrecycling" steht unversehens auf der Agenda. Denn mit der Hongkong-Konvention tritt 2025 endlich ein Regelwerk in Kraft, auf das sich die Mitgliedsländer der Internationalen Schifffahrtsorganisation IMO bereits 2009 geeinigt hatten. Es schreibt weltweit gültige Mindestanforderungen an das Abwracken von Schiffen vor. Und auch die EU will ihre Schiffsrecycling-Verordnung im kommenden Jahr verschärfen.

"Wir werden sehen, wie sich die Preise dann entwickeln", sagt Bleischwitz. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass etwa Betriebe in Bangladesch weiter Höchstpreise zahlen können, wenn für sie höhere Standards gelten." Er erwartet deshalb eine Annäherung der Preise in Südostasien und Europa– "und bei nur noch zehn bis 20 Prozent Differenz sähe die Sache schon ganz anders aus".

Stahlwerke brauchen mehr Schrott

Einen weiteren Grund für eine mögliche Verlagerung des Recycling-Geschäfts nach Europa sehen die Experten in der wachsenden Nachfrage nach Stahlschrott. Jürgen Fries ist Chef des Stahlwerks der Arcelor-Mittal-Hütte in Bremen. Zurzeit füttert er seine Konverter mit rund 800.000 Tonnen Stahlschrott im Jahr – als Beigabe zu dem Roheisen, das aus den beiden Hochöfen kommt. Doch die koksbefeuerten CO2-Schleudern sollen bis Mitte der 2030er-Jahre abgestellt werden. Stattdessen kommen mit Wasserstoff betriebene Direktreduktionsanlagen und elektrische Schmelzöfen zum Einsatz, die anders befüllt werden als die jetzigen Stahlkonverter. "Wir werden künftig mehr Schrott brauchen", schätzt Fries. Das genaue Mischungsverhältnis zwischen Schrott und Eisen müssen die Stahlwerker noch ermitteln; Schätzungen gehen von fast doppelt so viel Schrott aus wie zurzeit – rund 1,5 Millionen Tonnen im Jahr.

Studienautor Bleischwitz sieht darin eine große Chance für Bremen: Würde man in Bremen oder Bremerhaven jährlich 20 bis 25 Schiffe verschrotten, ließen sich damit zehn bis 15 Prozent des Bedarfs der Hütte decken. Mit dem Start-up-Unternehmen Leviathan gibt es zudem einen ortsansässigen Anbieter, der ausrangierte Schiffe mit Hilfe eines Hochdruck-Wasserstrahlverfahrens zerlegen will – sicher und sauber. Für die Grünen hat Schiffsrecycling "das Potenzial, zu einem großen Zukunftsmarkt für Bremen zu werden", sagt Emanuel Herold, hafen- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen-Bürgerschaftsfraktion. "Kreislaufwirtschaft im industriellen Maßstab, die einen Beitrag zum Klimaschutz und zur strategischen Ressourcensicherheit liefert" - so beschreibt er seine Vision.

Der größere Koalitionspartner SPD ist da noch etwas zurückhaltender: Eine "große Chance" sieht auch der Bürgerschaftsabgeordnete und Haushaltspolitiker Arno Gottschalk in den Plänen. "Aber man muss sicherlich erst mal prüfen: Rechnet sich das?", gibt er zu bedenken. Auch die nötigen Genehmigungsverfahren sind bislang nicht erprobt – Schiffe in Deutschland abzuwracken ist auch für die Behörden Neuland. Die Suche nach einem Standort könnte also schwierig werden. Dass Schiffsrecycling "made in Germany" eine saubere Sache ist, diesen Nachweis muss die Branche noch erbringen.

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