Im Bundesland Bremen ist der Anteil an tarifgebundenen Betriebe im Vergleich besonders stark zurückgegangen. In zehn Jahren sank er von 39 Prozent im Jahr 2008 auf 17 Prozent im Jahr 2018. Das zeigt eine gemeinsame Studie der Arbeitnehmerkammer Bremen, des Instituts Arbeit und Wirtschaft der Uni Bremen und des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Bremen belegt damit im Ländervergleich den vorletzten Platz vor Sachsen und rangiert deutlich unter dem Bundesdurchschnitt: Insgesamt liegt der Anteil an tarifgebundenen Betrieben bei 27 Prozent.
„Tarifverträge sind eine wesentliche Stütze unserer sozialen Marktwirtschaft“, sagte Ingo Schierenbeck bei der Vorstellung der Untersuchung am Mittwoch. Denn sie sicherten auch eine angemessene Beteiligung der Beschäftigten an der wirtschaftlichen Entwicklung. „Damit stärken Tarifverträge auch den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft.“ Gerade in Krisenzeiten seien Tarife wichtig – etwa in Phasen der Kurzarbeit.
Die sinkende Tarifbindung gehe ganz klar zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, kommentierte Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) die in der Studie aufgezeigte Entwicklung. „Sie trifft insbesondere Geringverdiener und ist eine wesentliche Ursache dafür, dass die Lohnspreizung seit Jahren zunimmt und viele Beschäftigte nicht ihren gerechten Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung erhalten. So kann das nicht weitergehen.“
Die Arbeitgeber sehen im Flächentarifvertrag einen Ansatzpunkt. „Der Flächentarifvertrag muss wieder stärker Mindestbedingungen vorgeben und den Mittelstand in den Fokus der Tarifverhandlungen stellen“, schlägt Cornelius Neumann-Redlin vor, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände im Lande Bremen. Tatsächlich enthalte ein Flächentarifvertrag viele flexible Elemente.
Die Beratungszahlen der Bremer Arbeitnehmerkammer stiegen in der Vergangenheit trotz der guten Wirtschaftsentwicklung vor Corona immer wieder deutlich. „Das ist ungewöhnlich. Normalerweise haben wir in der Krise Konjunktur in der Rechtsberatung“, sagte Schierenbeck. Der Bedarf der Arbeitnehmer ist nach seiner Ansicht wesentlich mit der Tarifflucht zu erklären: „Tarifverträge schaffen eben auch transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen in den Betrieben.“
Bremen plant Gesetzesinitiative
Damit sich etwas ändert, plant die rot-grün-rote Koalition einen Vorstoß auf Bundesebene. Über den Bundesrat soll eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht werden, um die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen zu erleichtern. Genau das fordert auch die Arbeitnehmerkammer. „Bremen stimmt die Initiative derzeit mit anderen Bundesländern ab, um eine möglichst breite Unterstützung für die Initiative zu erhalten“, sagte dazu Bürgermeister Bovenschulte. Die Koalition wolle zudem das bremische Tariftreue- und Vergabegesetz weiterentwickeln. In Zukunft soll auch bei europaweiten Ausschreibungen und bei der Vergabe von Dienstleistungen die Tariftreuepflicht gelten.
Wenngleich immer weniger Betriebe in Bremen und Bremerhaven eine Tarifbindung haben: Insgesamt arbeiten im Bundesland mit 55 Prozent etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigen in tarifgebunden Betrieben. Das liegt ganz leicht über dem Bundesdurchschnitt von insgesamt 54 Prozent.
Diese Differenz zwischen dem Anteil der Beschäftigten und dem Anteil an tarifgebundenen Betrieben hängt mit der Wirtschaftsstruktur in Bremen zusammen, wie Thorsten Schulten vom WSI erklärte: Hier gebe es viele große Arbeitgeber, und die Industrie präge den Standort. Außerdem habe der Öffentliche Dienst in Bremen eine starke Bedeutung, sagt der Verfasser der Studie. Das alles begünstigt eine höhere Tarifbindung. Gerade bei den Dienstleistungen und im Einzelhandel gibt es dagegen seltener Tarifverträge.
In der Untersuchung wird derweil deutlich, dass etablierte Betriebe mit dem Gründungsjahr vor 1990 in Bremen häufiger eine Tarifbindung verzeichnen als jüngere. „Wir haben offensichtlich ein Riesenproblem, dass neugegründete Unternehmen nur noch zu einem sehr geringen Teil bereit sind, Tarifverträge anzuwenden“, sagte Thorsten Schulten und sprach von einem „massiven Missverhältnis“. Die Vorteile der Tarifbindung für die Beschäftigten seien deutlich: Es gebe im Schnitt höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, weniger Lohnungleichheit oder auch häufiger eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes.