Einzelhändler in Bremen und der Region sorgen sich vor einer Verödung der Innenstädte. Das zeigt eine Umfrage der Commerzbank zu den Auswirkungen von Corona auf den Einzelhandel. Demnach befürchten knapp 80 Prozent der Befragten in Bremen, dass die Zentren leiden werden, weil kleinere Läden, Bars, Restaurants und Kultureinrichtungen schließen werden. Gefragt wurde nach der Entwicklung des Stadtbilds in den kommenden fünf Jahren. "Ich kann die Ängste der Bremer total nachempfinden", sagte Martin Wittkopp, Leiter des Bereichs Unternehmerkunden bei der Commerzbank in Bremen, bei der Vorstellung der Untersuchung. Wittkopp verwies dabei auf den Leerstand in der Stadt und die Schließung des Frequenzbringers Kaufhof. "Wir müssen in Bremen aufpassen, dass wir diese Lücken schnellstmöglich geschlossen bekommen. Sonst hat man hier einen Trend, der sich verselbstständigt."
Im Bundesdurchschnitt sorgen sich mit 68 Prozent zwar etwas weniger Geschäftsleute vor einem Ausbluten der Zentren, aber ebenfalls ein Großteil. "Das ist schon beängstigend", sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Niedersachsen und Bremen Mark Alexander Krack zum höheren Wert für den Norden. Der sei aber kein Grund, zu verzweifeln, sondern zu handeln: "Wir müssen die Herausforderung angehen, zu überlegen, wie wir eine lebenswerte Stadt gestalten wollen."
Für die Untersuchung der Commerzbank wurden zwischen Juni und August 3500 Unternehmen befragt. 100 Gespräche führte das Meinungsforschungsinstitut Ipsos davon in der Metropolregion Bremen. Geht es um die eigenen Aussichten, zeigt sich trotz der Sorgen ein überwiegend positives Bild: Die Zukunft ihres Unternehmens in den nächsten drei Jahren beurteilen vier von fünf Einzelhändlern in Bremen und der Region sehr oder eher optimistisch.
Die Pandemie sei ein "Beschleuniger des Strukturwandels" in den Innenstädten, sagt die Geschäftsführerin der City-Initiative Carolin Reuther. Die Auswirkungen von Corona seien sicherlich noch einige Zeit zu spüren. "Allerdings wurde in Bremen sehr schnell gehandelt und es gibt mehr Konzepte und Programme mit innovativen Ansätzen als in anderen Städten", findet Reuther. Diese könnten eine negative Entwicklung aufhalten und die Stadt im Allgemeinen stärken. Bremen setzt etwa auf Pop-up-Stores. Wo Geschäfte ausgezogen sind, dürfen sich neue Konzepte ausprobieren. So wird Leerstand verhindert. Reuther weist zugleich auf die Investoren hin, die sich in der Stadt trotz der schwierigen Lage engagierten: ob beim Wallkontor, dem Balgequartier oder dem Lebendigen Haus. Außerdem verspricht sich die Chefin der Handelsvertretung Impulse vom jüngst beschlossenen Innenstadtkonzept für Bremen.
Einzelhandelsexperte Karsten Nowak, der zur Vorstellung der Untersuchung kam, verwies auf die historische Bedeutung des Handels. Jahrhunderte hätten Städte sich nach dem Handel entwickelt. Aktuell werde seine künftige Bedeutung aber hinterfragt. "Wir fürchten tatsächlich – nicht nur in Bremen, sondern ganz generell – um das Leitbild der europäischen Stadt, die sich traditionell um einen Marktplatz herum entwickelt hat", sagt Nowak vor diesem Hintergrund. Es müsse aber, wenn dieses Leitbild zur Debatte stehe, eine Alternative gefunden werden.
Positiv bewertet Krack vom Handelsverband etwa Ansätze, mehr Wohnen in den Zentren zu etablieren und somit für Lebendigkeit zu sorgen. Selbst für kleine Läden sei die Nachfrage da, wenn es ein stimmiges Konzept gebe. "Erst recht, wenn Wohnen stärker angenommen wird."
Die Umfrage der Commerzbank zeigt auch, wie die Krise das Geschäft der Händler bisher belastete. Starke Umsatzeinbußen verzeichneten 40 Prozent der Befragten. Annähernd die Hälfte gab als größte Herausforderung während der Pandemie an, dass die Kundenfrequenz rückläufig gewesen sei. Stammkunden seien verloren gegangen. Rund jeder zehnte Einzelhändler sah oder sieht zudem seine Existenz bedroht – weniger als im Bundesschnitt. Die anderen 40 Prozent der Händler im Nordwesten waren dagegen gar nicht betroffen, sondern erzielten gleichbleibende oder angestiegene Erlöse.
Wie es dem Einzelhandel heute geht? Das hängt laut Carolin Reuther sehr vom Segment und der Branche sowie der Lage ab. "Es gibt viele ansässige Einzelhändler, die uns zurückgemeldet haben, dass sie an Umsätzen bereits wieder auf dem Niveau von 2019 liegen, was ein sehr gutes Signal ist." Doch es gebe auch Ausschläge in die andere Richtung, einige wenige Geschäfte, die noch nicht an das vergangene Jahr anschließen könnten. "Grundsätzlich befinden wir uns aber nach wie vor in der Erholungsphase." Für den Textilhandel bestehe dabei der größte Nachholbedarf. Die Unternehmen hofften insgesamt auf das Weihnachtsgeschäft.
Hier allerdings wartet ein nächstes Problem, denn Lieferungsverzögerungen bremsen die Euphorie. Martin Wittkopp hat von Kunden gehört, die sich sorgen, dass Waren rechtzeitig ankommen.