Viele Leute sagen: „Ich habe nichts zu verheimlichen“. Warum sollte uns Datenschutz dennoch interessieren?
Imke Sommer: Die Debatte um Google Street-View hat gezeigt, dass es uns stört, wenn Informationen öffentlich sind, die wir für unsensibel gehalten haben mögen. Viele, die meinten, nichts verbergen zu haben, wollten dann doch nicht, dass die ganze Welt weiß, wie ihr Vorgarten aussieht. Wir dürfen bestimmen, wer welche Informationen über uns erhält. Dazu gehört eben auch die Frage, ob wir unseren Vorgarten pflegen. Es ist unser Grundrecht, über unsere Daten selbst zu entscheiden. Verbraucher sollten auf die Umsetzung dieses Rechts pochen.
Können wir angesichts der fortschreitenden Technik überhaupt wissen, wozu unsere Daten mal genutzt werden?
Nein. Deshalb sollten wir möglichst wenig preisgeben und lieber noch etwas abwarten, bis wir genauer abschätzen können, was möglich werden wird. Die meisten Menschen vertrauen dem Internet nicht – und das völlig zu Recht.
Trotzdem nutzen wir es.
Das ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Viele Menschen machen dies eher widerwillig und nur deshalb, weil sie keine Alternative dazu sehen. Jetzt gilt es, das fehlende Vertrauen wiederherzustellen. Die Idee der Datenschutzgrundverordnung ist, dass wir ein so gutes Datenschutzniveau haben, dass Verbraucherinnen und Verbraucher sich gerne im Internet bewegen und dort geschäftliche Transaktionen durchführen.
Was ist an der Datenschutzgrundverordnung wirklich neu?
Die Rechte der Betroffenen werden nochmal auf den Punkt gebracht. Aber auch vorher schon mussten Unternehmen oder andere Verarbeiter Anforderungen des Datenschutzes erfüllen. Wirklich neu ist das Recht, informiert zu werden. Verbraucher müssen, ohne sich selbst zu kümmern, darüber informiert werden, welche Angaben zu welchem Zweck gespeichert werden sollen. Auch neu ist, dass Unternehmen unabhängig von ihrem Standort Verbrauchern in Europa diese Informationen in präziser, klarer Sprache übermitteln müssen. Wer sich einmal die alten allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook durchgelesen hat, weiß: Die versteht man einfach nicht.
Viele Unternehmen klagen über die DSGVO…
Ich nehme wahr, dass diejenigen, die über die Verordnung jammern, eine riesige Lobby haben. Diejenigen, um deren Rechte es geht, fühlen sich ja fast schon schlecht, weil sie von überall hören, dass es so schwierig sei, die Regeln umzusetzen. Da geht der Fokus in die falsche Richtung. Vieles, was die DSGVO vorschreibt, ist in Deutschland nicht neu. Es ist vielleicht jetzt ein bisschen anders sortiert. Dass sie nicht in aller Bewusstsein waren, heißt nicht, dass die Anforderungen nun plötzlich unzumutbar sind.
Ist die Aufregung übertrieben?
Die DSGVO hat zu einer Art Goldgräber-Stimmung bei Beratern geführt, die wohl nicht gerade dazu beiträgt, die Panik zu besänftigen. Es ist natürlich schön, wenn Unternehmen das Thema so wichtig finden, dass sie sich externe Berater holen. Oft ist das aber vielleicht gar nicht notwendig.
Warum haben viele den Eindruck, dass die DSGVO völlig neue Rechte mit sich bringt?
Rechte sind immer nur so stark, wie sie auch ausgeübt werden. Ich freue mich, dass nun das Bewusstsein gestärkt wird, wie wichtig es ist, Daten löschen lassen zu können.
In welchem Bereich bieten die neuen Regeln nicht genügend Schutz?
Wir Datenschutzbehörden hätten uns in vielerlei Hinsicht mehr gewünscht. Ich hätte mir gewünscht, dass die Verordnung auch das Bilden von Profilen, wie es Auskunfteien wie die Schufa machen, regelt. Das ist nicht der Fall. Aber die Verordnung ist eine sehr gute Basis. Sie gibt uns das Recht, zu erfahren, wie Anbieter Daten interpretieren. In Zukunft wird es noch weitgehender um die Offenlegung von Algorithmen gehen. Angesichts der Skandale um Facebook und Cambridge Analytica ist zu erwarten, dass sich die EU bald auch darum kümmert.
Das Interview führte Carolin Henkenberens.
Imke Sommer ist Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit in Bremen und somit Leiterin der Aufsichtsbehörde, die für Datenschutz zuständig ist. Die Juristin übt dieses Amt seit 2009 aus.