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Engpässe in der Industrie Vorstand von Mercedes: "Bremen ist da ein leuchtendes Beispiel"

Seit der Pandemie belasten Materialengpässe die Industrie. Wie sieht es bei Mercedes aus – auch im Bremer Werk? Ein Interview mit Jörg Burzer und Michael Frieß über Halbleiter, Solarenergie und China.
07.12.2022, 05:00 Uhr
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Vorstand von Mercedes:
Von Lisa Schröder

Herr Burzer, Herr Frieß, immer wieder mussten Sie die Autoproduktion drosseln, weil vor allem Halbleiter fehlten – auch in Bremen. Wie ist die Lage derzeit?

Jörg Burzer: Die Engpässe beschäftigen uns immer noch sehr. Im nächsten Jahr werden wir weiter auf Sicht fahren: Wie ist die Versorgungslage? Und wie können wir das entsprechend in den Prozessen abbilden? Aufgrund der Flexibilität in unserem Produktionsnetzwerk bekommen wir das gut hin. Das ist eine klasse Teamarbeit der Kolleginnen und Kollegen. Bremen ist da ein leuchtendes Beispiel.

Wie sieht es hier konkret aus? Schaffen Sie es bis Weihnachten ohne Kurzarbeit? Und im nächsten halben Jahr?

Michael Frieß: Wenn wir eine Glaskugel hätten, dann könnten wir es genau wissen. Wie Jörg es gesagt hat, ist es derzeit aber ein Fahren auf Sicht. Im Moment ist die Perspektive mit Blick auf die nächsten Wochen positiv. Wir haben zusammen mit unserer Arbeitnehmervertretung immer wieder schnell gute Lösungen gefunden, um auf die Engpässe zu reagieren. Das ist toll und hat uns die Zeit über getragen. Die hohe Flexibilität geht nur gemeinsam.

Burzer: Wir haben außerdem viel gelernt in den vergangenen beiden Jahren. Die Transparenz in der gesamten Versorgungskette konnten wir über die Digitalisierung erhöhen. Jede Herausforderung hat auch etwas Gutes. Man entwickelt sich weiter.

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Woher beziehen Sie Halbleiter?

Burzer: Wir bauen eigentlich nie selbst Halbleiter direkt ins Auto ein. Die Komponente ist zum Beispiel in Steuergeräten verbaut, die uns über unsere Lieferanten erreichen – etwa in einem Türmodul.

Die Chips werden also in der Regel von den Lieferanten eingekauft.

Burzer: Genau. Wir gehen natürlich aber auch in den direkten Kontakt mit den Halbleiterlieferanten, um Vereinbarungen mit ihnen abzuschließen. Das ist ein großer Stellhebel, um die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Die Halbleiter stammen von Lieferanten weltweit.

Grundsätzlich klagt die Industrie über Engpässe beim Material. Wo sieht es in Bremen noch eng aus?

Frieß: Es gibt kein spezifisches Bauteil, über das man sagen kann, das ist es! Es geht eher um die Gesamtsituation. Verschiedene Faktoren können derzeit die Lieferkette stören – beginnend bei fehlenden Rohstoffen bei unseren Zulieferern zum Beispiel – was dann wieder für Unruhe im gesamten Netz sorgt und Auswirkungen auf unsere Fahrweisen haben kann.

Burzer: Es ist sicherlich ein Sammelsurium von vielen Faktoren. Die Logistikketten sind eine Herausforderung. Im vergangenen Jahr waren beispielsweise ausgelöst durch die Pandemie Containerverkehre gestört. Die Anzahl der Komponenten in der Lieferkette hat sich dadurch temporär minimiert und die Lieferzeiten haben sich verlängert. Teile mussten dann teils auf anderen Wegen wie etwa mit dem Flieger geliefert werden. Jede Verspätung schlägt sich wegen der Knappheit dann auch bei der Versorgung des Endverbrauchers nieder. Das ist die große Herausforderung, die jeder in der Industrie gerade hat.

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Lösen die Engpässe sich wieder auf? Oder müssen wir von einer neuen Normalität sprechen?

Burzer: Ich bin sicher, dass die Situation mittelfristig stabiler wird, und wir haben aus der Krise auch gelernt. Natürlich werden in den nächsten Jahren aufgrund der Nachfrage am Markt Zusatzkapazitäten geschaffen. Das dauert aber. Durch die Digitalisierung ist es uns jedoch besser möglich, zu jedem Zeitpunkt zu wissen, wo die Teile gerade sind. Auf ein Problem in der Lieferkette können wir so viel schneller reagieren als früher. In der Logistik ist Zeit alles.

Die Belegschaft in Bremen musste Einbußen durch die Kurzarbeit hinnehmen. Mancher denkt vielleicht auch: Warum kriegen die das nicht hin? Wie ist die Stimmung?

Frieß: Klar. Diese Fragen werden uns regelmäßig gestellt. Der Schlüssel ist die Kommunikation. Wir müssen drüber reden, welche Schritte wir einleiten. Daran werden wir dann gemessen. Ich glaube, das gelingt uns ganz gut. In den vergangenen Jahren kamen gleich mehrere Krisen auf uns zu – zuletzt der Krieg in der Ukraine.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat eine Diskussion ausgelöst. Wie gehen wir mit Handelspartnern in der Welt um? Der Absatz in China ist sehr wichtig für die Autohersteller in Deutschland. Wie sieht es bei den Lieferteilen aus?

Burzer: China ist ein wichtiger Partner und wichtiger Markt. Nicht zuletzt aufgrund der vielen Instabilitäten, die wir in den globalen Lieferketten jetzt haben, setzen wir darauf, immer mehr Teile aus der Region zu beziehen, in der wir produzieren. Das werden wir intensivieren. Wir favorisieren natürlich globale Wirtschaftsbeziehungen. Genau das hat uns bisher sehr erfolgreich gemacht in Deutschland.

Welche Teile kommen aus China?

Burzer: In China werden sehr viele verschiedene Unterkomponenten produziert. Aber auch Batteriezellen. Das ist eine der wichtigsten Komponenten, die heute noch mehrheitlich aus China kommt. Wir sind auf ­diesem Feld selbst aktiv geworden. Wir gehören dem Joint Venture ACC mit Stellantis und Saft an. Gemeinsam wollen wir einen europäischen Batteriezellenchampion aufbauen, der unsere Werke hier versorgen soll.

Verstehen Sie die Stimmen, die einen kritischeren Umgang mit China einfordern?

Burzer: Die Leitlinien für die weltweiten Wirtschaftsbeziehungen bestimmt die Politik. Wir bauen Autos, die tollsten Autos, die ich mir vorstellen kann. Und wir verkaufen sie auch in China. Ich habe selbst drei Jahre dort gelebt. Ich kann nur sagen, dass es ein beeindruckendes Land ist. Wir sind für einen freien Austausch von Gütern in der ganzen Welt. Das ist es, was uns weiterbringt – und nicht Abschottung.

Welchen Stellenwert hat das Werk Bremen im globalen Produktionsnetzwerk und gegenüber China?

Burzer: Bremen hat einen unglaublich hohen Stellenwert im Produktionsnetzwerk – insbesondere aufgrund der hohen Fähigkeit, neue Anläufe sehr reibungslos zu gestalten. Darum haben wir hier vor einigen Jahren schon mit dem EQC unser allererstes Elektrofahrzeug anlaufen lassen. Bremen ist wirklich ein Vorbild für alle Werke – auch für die Kollegen in China und den USA. So, wie das hier läuft, stelle ich mir das überall vor.

Welches nächste Elektroauto geht an die Weser?

Frieß: Mitte des Jahrzehnts wird hier ein weiteres Elektromodell anlaufen. Das ist eine Bestätigung unserer Arbeit beim EQC und EQE. Wir sind gut unterwegs bei der Transformation hin zur Elektromobilität. Es ist der gesamten Mannschaft klar, dass wir diesen Weg gehen.

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Zuletzt konnten Sie in Bremen 215.000 Autos bauen. Wie sieht die Bilanz für dieses Jahr aus?

Frieß: Es werden auf jeden Fall mehr Autos sein als im letzten Jahr.

Die Autolieferanten stehen ebenfalls unter Druck. Was nehmen Sie aus der Branche wahr?

Burzer: Insgesamt ist es sicherlich eine wirtschaftlich herausfordernde Situation für uns alle. Die Inflation und speziell die Energiepreise belasten alle Industriezweige. Das muss man sehr genau beobachten. Ich wünsche mir eine noch engere Zusammenarbeit der Zulieferer mit der Automobilindustrie, wenn es um das Hochfahren neuer Projekte geht.

Wie kommen Sie dabei voran, Ihre Produktion klimaneutral aufzustellen?

Burzer: Sehr gut. Das Thema liegt mir persönlich am Herzen. Wir haben Riesenfortschritte gemacht. Ein Grünstromvertrag liefert seit Anfang dieses Jahres schon die komplette Elektrizität für die Werke in Deutschland. Zudem produzieren wir nicht mehr nur Fahrzeuge, sondern auch eigenen grünen Strom. Wir haben beispielsweise ein 1000-Dächer-Programm ins Leben gerufen. Jedes Dach, das es uns möglich macht, wollen wir mit Fotovoltaik bestücken – auch in Bremen. Auf unserem Testgelände in Papenburg wollen wir mit einem Partner einen Windpark bauen.

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Wie sieht es weltweit aus?

Burzer: Wir produzieren seit diesem Jahr in allen eigenen Werken auf der Welt CO2-neutral und beziehen dabei Strom, der aus ­erneuerbaren Energien stammt. In Peking, Tuscaloosa und Südafrika kommt ebenfalls Fotovoltaik aufs Dach. Die Schritte helfen uns derzeit auch, hohe Einsparpotenziale beim Gas zu realisieren von bis zu 50 Prozent. Das hat uns in den vergangenen Monaten beruhigter in den Winter schauen lassen.

Wenn wir hier in fünf Jahren wieder sitzen, werden die Dächer des Bremer Werks also anders ausschauen.

Frieß: Eins schon ganz konkret. Auf dem Dach der Halle 70, eine der großen Rohbauhallen, wird eine Solaranlage gerade installiert. Ansonsten sind alle Dächer momentan in der Prüfung, ob sie sich aufgrund der Statik eignen. Neben dem Erzeugen von Energie ist das Energiesparen uns ganz wichtig. Das ist hier in den letzten Jahren zur Kultur geworden.

Das Gespräch führte Lisa Schröder.

Zur Person

Jörg Burzer

ist als Vorstand bei Mercedes für die Produktion und das Lieferkettenmanagement verantwortlich. Der 1970 in Nürnberg geborene Manager steuert das globale Produktionsnetzwerk des Autoherstellers mit rund 30 Standorten. Unter anderem war er auch im Werk in Peking tätig.

Michael Frieß

ist Leiter des Bremer Werk von Mercedes und übernahm hier bereits verschiedene Funktionen. Seit 25 Jahren lebt der Manager in der Stadt. Frieß übernahm zeitweise auch in Sindelfingen die Projektleitung für den Aufbau des neuen Produktionswerks in Kecskemét in Ungarn.

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