Heiraten? Nein. „Das wäre eine Zumutung für jeden“, sagt Arne Frankenstein. Nicht, weil er im Rollstuhl sitzt und Pflegestufe III hat, die höchste von allen. Sondern, weil wer ihn heiratet, kein eigenes Vermögen besitzen darf.
Nichts fürs Alter sparen, nichts für die lange Reise, die man irgendwann mal machen will. Nichts für das Auto, von dem man schon so lange träumt. So war es jahrelang, immer wieder kritisierten Behindertenverbände das.
Mit einem neuen Gesetz soll alles besser werden. Das glaubt zumindest die Bundesregierung. Wird es aber nicht, sagt Arne Frankenstein. „Das Gesetz bleibt hinter dem zurück, was ich mir als Betroffener wünsche.“ Das findet auch Bremens Landesbehindertenbeauftragter Joachim Steinbrück.
Mehrere Verbände fordern Nachbesserungen des Bundesteilhabegesetzes
Ende Juni hat das Bundeskabinett den Referentenentwurf des Bundesteilhabegesetzes beschlossen. Nach der Sommerpause wird das Parlament darüber beraten. Mehrere Verbände fordern Nachbesserungen. Und die fordert auch Arne Frankenstein. Der 29-Jährige hat in Hamburg Jura studiert, zum Referendariat kam er nach Bremen.
Im vergangenen Jahr hat er sein zweites Staatsexamen bestanden, gerade ein Stipendium. Er wird zum Thema UN-Behindertenrechtskonvention promovieren. Außerdem ist er seit April Vorsitzender des Bremer Landesverbands des Vereins „Selbstbestimmt leben“. Er sagt: „Das Gesetz sieht Verbesserungen vor. Manches geht in die richtige Richtung. Aber das Gesetz ist in sich nicht schlüssig.“
Nicht alle Lokalitäten in Bremen sind barrierefrei
Arne Frankenstein braucht jeden Tag Hilfe, eigentlich rund um die Uhr. Ein Assistent ist fast immer bei ihm, in seiner Wohnung gibt es ein Zimmer, in dem der Assistent, der Nachtschicht hat, schläft. Auch zu dem Gespräch im Weincafé Engel hat ihn sein Assistent begleitet.
Arne Frankenstein hat den Ort des Treffens bewusst gewählt: Der Eingang ist ebenerdig, als Rollstuhlfahrer kommt er problemlos hier herein. So ist das nicht bei allen Cafés, nicht überall gibt es Rampen, längst nicht alle Bars und Restaurants in Bremen sind barrierefrei.
Das Bundesteilhabegesetz soll Menschen mit Behinderung die Teilhabe an der Gesellschaft erleichtern, die Leistungen für Menschen mit Behinderung sollen neu geregelt werden. Unter anderem die Eingliederungshilfe und die Hilfe zur Pflege. Die Eingliederungshilfe bekommt ein Mensch mit Behinderung, damit er studieren, ins Theater oder ins Fußballstadion gehen kann.
Privates Vermögen muss für Sozialhilfe zum Teil aufgebraucht sein
Die Hilfe zur Pflege ist das Geld, mit dem die Assistenzkräfte bezahlt werden, die Menschen mit Behinderung pflegen. Dieses Geld gibt es, wenn die Leistungen der Pflegeversicherung dafür nicht ausreichen.
Beides sind Leistungen der Sozialhilfe und deshalb muss, wer sie bezieht, erst sein privates Vermögen bis zu einer gewissen Grenze, einem Freibetrag, aufbrauchen, bevor er Sozialhilfe bekommt. Und wenn man ein Einkommen hat, muss man davon etwas dazugeben. Um die 1300 Euro sind frei, wer mehr verdient, muss bis zu 40 Prozent abgeben.
Arne Frankenstein bekommt solche Leistungen, und das bedeutet, dass er nur 2600 Euro Vermögen auf seinem Konto haben darf. „Das ist eine ziemliche Katastrophe“, sagt er. Urlaub, Auto, Altersvorsorge? „Ohne Zuschüsse von meinen Eltern wäre es schwierig.“ Arne Frankenstein macht das wütend.
Arne Frankenstein will vollständig unabhängig sein
„Ich bin selbstständig und unabhängig, führe mein eigenes Leben. Aber in diesen Bereichen bin ich weiter von meinen Eltern abhängig.“ Mit dem Bundesteilhabegesetz soll das besser werden. Doch das ist die Theorie, denn für Arne Frankenstein würde mit dem neuen Gesetz in dieser Hinsicht nichts besser.
Joachim Steinbrück ist der Landesbehindertenbeauftragte für Bremen. Auch er findet, dass beim Bundesteilhabegesetz nachgebessert werden muss. „Das Thema ist mir wichtig, denn es wird Tausende Menschen in Bremen betreffen“, sagt Steinbrück.
Er sucht nun das Gespräch mit den Bremer Bundestagsabgeordneten, berät mit Politikern, wie sich Bremen im Bundesrat positionieren kann, tauscht sich mit anderen Landesbehindertenbeauftragten aus. Am Ende, glaubt er, könnte nachgebessert werden. „Es ist noch ein Stück Arbeit. Aber ich bin gedämpft optimistisch.“
Menschen mit Behinderung sollen nichts von Vermögen abgeben müssen
Die Verbände fordern, dass Menschen mit Behinderung von ihrem Vermögen und ihrem Einkommen gar nichts abgeben müssen. Auch Arne Frankenstein sieht das grundsätzlich so. „Ich finde, eine Gesellschaft wie die unsere sollte Menschen mit Behinderung nicht bestrafen, sondern ihnen die gleichen Chancen ermöglichen, wie allen anderen auch.“
Er findet: Wer lange studiert und in seine Ausbildung investiert, der sollte später etwas davon haben, auch finanziell – und nicht einen Großteil abgeben müssen.
Arne Frankenstein versteht, dass andere der Meinung sind, er müsse von seinem Geld einen Beitrag leisten. Dafür, dass der Staat ihm jeden Monat viel Geld überweist, von dem er seine Assistenzkräfte bezahlt. Er ist bereit, so einen Beitrag zu leisten. Aber er findet es unfair, dass dies auch Ehepartner tun müssen. Bis jetzt dürfen Verheiratete ein gemeinsames Vermögen von rund 3500 Euro haben, alles darüber muss für die Assistenz aufgewendet werden.
Freibetrag soll bis 2017 auf 25.000 Euro angehoben werden
Dieser Freibetrag soll angehoben werden, das sieht der aktuelle Referentenentwurf zum Bundesteilhabegesetz vor. Ab 2017 soll der Freibetrag für das Vermögen von Menschen mit Behinderung bei 25.000 Euro liegen, ab 2020 bei 50.000 Euro. Das gilt aber nur, wenn jemand sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist oder Arbeitslosengeld I bezieht. Auf wen das nicht zutrifft, der darf auch nach dem aktuellen Entwurf kein Vermögen haben, das größer als 2600 Euro ist.
„Für einen großen Teil der Menschen mit Behinderung würde sich so nichts ändern“, kritisiert Arne Frankenstein. Für ihn auch nicht, denn ein Stipendium zählt nicht als sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Er darf also weiterhin nicht mehr als 2600 Euro sparen.
Arne Frankenstein sagt, die Regelungen im Gesetzentwurf bedeuteten außerdem ein großes Risiko für Ehepartner, auch wenn der Gesetzentwurf eigentlich vorsieht, dass sie nicht mit ihrem Vermögen einstehen müssen.
"Völlig unverständlich."
„Der Entwurf ist in sich nicht schlüssig“, kritisiert Frankenstein. Denn wenn ein Mensch mit Behinderung arbeitslos wird und irgendwann nicht mehr Arbeitslosengeld I, sondern Hartz IV bekommt, muss sein Ehepartner die Assistenz von seinen Ersparnissen bezahlen.
Wenn der andere nicht arbeitslos wird, muss der Ehepartner spätestens dann einspringen, wenn der behinderte Partner Rentner wird. „Völlig unverständlich“, nennt Arne Frankenstein das.
Es gibt weitere Punkte, die er an dem Gesetzentwurf kritisiert. Deshalb, sagt er, muss sich etwas ändern, bevor das Parlament das Gesetz verabschiedet. Er habe aber den Eindruck, dass auch viele Abgeordnete vor dem Thema zurückschrecken, weil die Materie so kompliziert ist. „Ich will mehr Bewusstsein dafür schaffen, was das Gesetz bewirkt. Und was nicht“, so Frankenstein.
Private Einrichtungen entscheiden selbst über Barrierefreiheit
In seinem Verein setzt er sich dafür ein, dass Menschen mit Behinderung selbstbestimmt leben können. In vielen Bereichen klappt das nicht, das fängt beim Alltag an: Bundesbehörden müssen zwar barrierefrei sein. Private Einrichtungen, also auch Cafés oder Restaurants, entscheiden aber selbst, ob sie zum Beispiel eine Rampe bauen oder nicht.
Hier, im Weincafé Engel, kommt er zwar ins Café. Auf die Toilette kann aber er nicht. Die ist im Keller – und dorthin führt nur eine Treppe.