Halbzeit beim Dialog "Zukunft Bremen 2035": Im Rathaus sind am Freitag Akteure der Stadtgesellschaft und auswärtige Fachleute zur zweiten von insgesamt drei geplanten Klausuren zusammengekommen. Am Ende des Prozesses, der auch unter dem Begriff "Zukunftskommission" bekannt ist, soll im Oktober eine konkret formulierte Entwicklungsperspektive für den Zeithorizont 2035 stehen, die handfeste "Leuchtturmprojekte" für Bremen und Bremerhaven benennt.
Die Veranstaltung am Freitag fand – wie der gesamte bisherige Diskussionsprozess – hinter verschlossenen Türen statt; am Vormittag zunächst in großer Runde, nachmittags dann in den drei sogenannten Perspektivgruppen Infrastruktur, Stadtentwicklung und Qualifizierung/Bildung. Nach übereinstimmender Einschätzung von Teilnehmern, die sich gegenüber dem WESER-KURIER äußerten, kamen die wirklich interessanten Beiträge von den auswärtigen Experten, zum Beispiel von der Berliner Stadtplanerin Elke Pahl-Weber, die sich mit der Zukunft der Innenstadt auseinandersetzte. Pahl-Weber habe die Frage nach dem Preis des Wachstums von Städten aufgeworfen, Stichworte: sozialer Verdrängungswettbewerb, Belastung durch Verkehr, Flächenverbrauch. Nur nachhaltiges Wachstum, das diesen Preis möglichst gering hält, sei verantwortbar.
Durch die Beiträge der externen Fachleute, so ein Teilnehmer, sei zudem deutlich geworden, dass viele Bremer Beteiligte am Zukunftsdialog in zu kurzen Zeiträumen dächten. Etwa im Bildungsbereich. "Da wurde zum Beispiel die Frage aufgeworfen, ob die Nutzung von Smartphones im Unterricht künftig sinnvoll ist. Von den auswärtigen Experten kam dann die Ansage: 2035 gibt es gar keine Smartphones mehr, sondern das nächste große Ding in der Kommunikationstechnologie – was immer das dann konkret sein wird", berichtete ein Mitglied der Perspektivgruppe Qualifizierung/Bildung im Anschluss an die Sitzung.
Der Zukunftsdialog tritt nun in seine interessanteste Phase ein, der Entwicklung konkreter Ideen auf den insgesamt 13 Handlungsfeldern, die zwischenzeitlich abgesteckt worden sind. Sie reichen von einem chancengerechten Bildungssystem über Klimaanpassung/Ressourcenschutz und Gestaltung der Innenstadt bis zur digitalen Infrastruktur. Schon Ende nächster Woche sollen unter Federführung der Senatsressorts erste schriftliche Vorschläge auf den Tisch kommen.
"Ich hatte mit mehr Zukunftsunternehmer am Tisch gewünscht"
Einer der auswärtigen Experten, die mit ihrem Fachwissen die Arbeit von Zukunftsrat und -kommission befruchten, ist Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft. Dieser Verbund von Forschungsinstituten unterschiedlicher Richtungen ist mit Einrichtungen wie dem Deutschen Schifffahrtsmuseum Bremerhaven und dem Bips (Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie) auch im kleinsten Bundesland präsent. "Von daher war es für mich eine Selbstverständlichkeit zuzusagen, als der Bürgermeister mich um meine Mitwirkung bat", sagte der Maschinenbau-Professor, der sich in der Perspektivgruppe Qualifizierung/Bildung engagiert.
Kleiner glaubt, dass Bremen sein Beschäftigungspotenzial im Wissenschaftsbereich bei Weitem noch nicht ausgeschöpft hat. Auf rund 40 000 Menschen beziffert er die Zahl derjenigen, die zurzeit in Bremen und Bremerhaven im akademischen Betrieb sowie in Unternehmen mit Wissenschaftsbezug beschäftigt sind. "Es sollte möglich sein, diesen Wert innerhalb von zehn Jahren zu verdoppeln", ist Kleiner überzeugt.
Der Leibniz-Präsident sieht es als seine Aufgabe, "auch mal provozierende Gedanken in die Debatte einzustreuen". Mit einem Beitrag zur Zukunft der privaten Jacobs University dürfte er das geschafft haben: "Mein Vorschlag wäre, die Jacobs-Uni als eine Art International Department unter das Dach der Universität Bremen zu bringen." Angesichts der anhaltenden Zuschussbedürftigkeit der Grohner Privathochschule finde er einen solchen Schritt konsequent, sagte Kleiner im Gespräch mit dem WESER-KURIER.
Den Bremer Zukunftsdialog findet er im Grundsatz gut aufgebaut, versieht dieses Urteil allerdings mit einer kleinen Einschränkung: "Ich hätte mir mehr Zukunftsunternehmer am Tisch gewünscht, Leute aus der Start-up-Szene, die insbesondere Vorstellungen über die Digitalisierung einbringen." Dieser Themenkomplex sei von ungeheurer Wichtigkeit. "Die Digitalisierung ist nichts, was irgendwie über uns kommt, sondern etwas, das gestaltet werden muss. Da müssen wir sagen, was wir wollen und was wir nicht wollen", mahnte Kleiner.