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Bremen diskutiert Cannabis-Freigabe Zwischen Verklärung und Verteufelung

In den Koalitionsverhandlungen haben sich die Bremer SPD und die Grünen jetzt darauf verständigt, Cannabis zu legalisieren - und damit eine große Debatte ausgelöst.
23.06.2015, 00:01 Uhr
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Zwischen Verklärung und Verteufelung
Von Kathrin Aldenhoff

Alexander B. hätte es in seinem Leben leichter gehabt, wäre Cannabis in seiner Jugend legal gewesen. Mit 16 Jahren rauchte er seinen ersten Joint, aus Neugier. Er wollte ausprobieren, wie es ist, mehr eigentlich nicht. Doch als er mit seinen Eltern darüber reden wollte, stieß er auf Unverständnis. Seine Mutter, „eine echte Hardlinerin“, hält nichts von Drogen, ab und zu nur trinkt sie ein Glas Wein. Der Vater ist einer, der sich an Gesetze hält, der es gut und richtig findet, dass manche Dinge verboten sind. So wie zum Beispiel das Kiffen oder andere Formen von Cannabis-Konsum, die nicht medizinisch begründet sind.

In den Koalitionsverhandlungen haben sich die Bremer SPD und die Grünen jetzt darauf verständigt, Cannabis zu legalisieren. Es könnte zwei Abgabestellen geben, eine in Bremen, eine in Bremerhaven. Der Bremer Strafrechtsprofessor Lorenz Böllinger fordert schon seit Jahren die Legalisierung von Cannabis. Die Strafverfolgung koste viel Geld, das besser in Prävention und Behandlung fließen solle. An einen Erfolg der Bremer Initiative beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn, die den Bremer Antrag genehmigen müssen, glaubt er allerdings nicht.

Und auch viele Kunden im Udopea Head- und Growshop an der Sielwallkreuzung glauben nicht daran, dass nun umgesetzt wird, worüber seit Jahren immer wieder gesprochen wird. Alexander B. arbeitet seit einem Jahr bei Udopea. Auf dem Tresen liegt eine Ausgabe des Hanf-Journals, im vorderen Teil des Ladens gibt es Wasserpfeifen, Kräutermühlen und Blättchen zu kaufen. Im hinteren Teil des Geschäfts berät der 28-Jährige gerade einen jungen Mann.

Die Wände sind grün gestrichen, von der Decke hängen Lampen in verschiedenen Formen und Größen. Anzuchtlampen werden sie genannt, denn unter ihnen gedeihen Pflanzen, zum Beispiel auch Cannabispflanzen. In einer Ecke des Raumes steht eine rechteckige Box aus Kunststoff, 1,60 Meter hoch, außen schwarz, innen mit einer reflektierenden Folie bezogen. Lampen strahlen von oben auf ein paar Pflanzen in schwarzen Plastiktöpfen. Chilipflanzen, erklärt Alexander. Ein Aktivkohlefilter saugt den Geruch aus der Luft. Einsteiger-Set nennt sich das, und ist für 315 Euro zu haben – ohne Pflanzen.

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Immer mehr Kunden wollen selbst anbauen. Ein Grund sei die schlechte Qualität, die das Gras habe, wenn man es auf der Straße kaufe, meint ein Kollege von Alexander. Die Polizei sagt: Züchtungen in Indoor-Plantagen sind ein Grund dafür, warum der Gehalt des sucht- und rauschrelevanten Wirkstoffes THC zuletzt stark angestiegen ist. In den vergangenen 30 Jahren soll er sich nach Angaben der Polizei verzehnfacht haben.

Der heute weitaus stärkere Wirkstoffgehalt von Cannabis ist einer der Gründe, die der Sozialpädagoge Jockel Guba anführt, wenn er von der Gefährlichkeit der Droge spricht. Der 63-Jährige setzt sich seit 40 Jahren mit dem Thema Sucht auseinander. Seit 2010 arbeitet der Sozialpädagoge bei der Jugendsuchtberatungsstelle Escape des Bremer Gesundheitsamtes. Jedes Jahr kommen etwa 150 Jugendliche zur Beratung, kaum einer von ihnen freiwillig. Fast alle werden von ihren Eltern, der Jugendhilfe oder von einem Gericht zu Jockel Guba geschickt. Und die meisten von ihnen wegen Cannabis.

Folgt Cannabis dem Alkohol?

Dass Jugendliche kiffen, sei zunächst einmal nicht dramatisch, solange es nur ein Experimentieren sei, sagt Guba. Problematisch werde es, wenn Jugendliche über einen längeren Zeitraum kiffen und wenn soziale oder psychische Probleme dazukommen. „Lebensschwierigkeiten“, wie der Sozialpädagoge sagt. Dann kann es gefährlich werden, Jugendliche werden allmählich abhängig, ohne es wirklich zu merken. Und sehr sensible Persönlichkeiten könnten daran zerbrechen.

Zu dem Vorhaben in Bremen meint er: „Eine Legalisierungsdebatte ist angezeigt, aber ob das die Lösung ist, weiß ich nicht.“ Auch wenn Cannabis weiterhin für Jugendliche unter 18 Jahren tabu bleiben soll, rechnet er damit, dass das Thema für Jugendliche interessanter wird. Er vergleicht das mit einer anderen Droge, die schon legal ist – dem Alkohol: „Genauso wie Jugendliche an Alkohol herankommen wollen, werden sie an Cannabis herankommen wollen.“

Alexander B. hatte Probleme als Jugendlicher, er igelte sich ein, zog sich zurück. Auch, weil das Kiffen ein Tabu war, er mit seinen Eltern nicht offen darüber sprechen konnte. Ein Arzt verschrieb ihm Psychopharmaka, doch die hätten ihn umgehauen, erzählt er. Als er dann in der Packungsbeilage die Liste der Nebenwirkungen las, beschloss er, das Medikament nicht noch einmal zu nehmen. Mit seinem Arzt habe er ganz offen sprechen können und der habe gesagt, dass mit Cannabis eine Selbsttherapie möglich sei. „Das ist kein Teufelszeug“, sagt Alexander B. Eine Legalisierung fände er vernünftig.

Auch Georg Wurth findet den Bremer Vorstoß gut. Er ist Chef des Deutschen Hanfverbandes (DHV), der sich eine Legalisierung von Cannabis zum Ziel gesetzt hat. Und zwar vom Eigenanbau über die Produktion bis zum Verkauf – natürlich mit Jugendschutzauflagen. Er hofft, dass sich andere Bundesländer zu einem ähnlich konsequenten Umgang mit dem Thema durchringen können. Denn das derzeitige Verbot von Cannabis hält er für sinnlos: „Der Markt ist da. Wir haben die Konsumenten. Das Verbot sorgt nicht einmal für die Reduzierung des Konsums.“ Er gibt zu: Auch wenn Cannabis frei erhältlich sein wird, werde es weiterhin Leute geben, die Probleme mit der Droge haben. „Aber es werden nicht mehr sein als heute.“

Abgabe in Apotheken?

Georg Wurth glaubt, dass die Qualität von Cannabis durch staatliche Kontrollen steigen werde. Streckmittel, Schimmelsporen und Düngerrückstände würden dann der Vergangenheit angehören. Und er glaubt, dass auch die Präventionsarbeit einfacher werde. Weil es das gesellschaftliche Klima dann erlaube, offen über den Konsum zu sprechen.

Bisher ist der Konsum von Cannabis nur für medizinische Zwecke legal. Und jeden einzelnen Fall muss das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn genehmigen. Bisher haben 740 Patienten dort einen Antrag gestellt, um sich mit Cannabis zu therapieren. 449 Patienten haben die Erlaubnis erhalten. Ein Arzt stellt dann ein Rezept aus, die Patienten können sich die Cannabisblüten dann in der Apotheke holen. Bezahlen muss das aber jeder selbst.

Jörg Hermann ist Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen und erklärt, warum das so ist und weshalb das Verschreiben von Cannabisblüten nur die äußerste Ausnahme sein kann: „Cannabis ist kein Medikament, sondern ein Naturprodukt. Es wird den Qualitätsanforderungen an moderne Medikamente niemals gerecht werden. Deshalb wird Cannabis auch nicht von den Krankenkassen bezahlt.“

Eine Legalisierung findet er aus medizinischer Sicht nicht richtig: „Es ist der falsche Weg, Dinge, die schädlich sind, zu legalisieren.“ Auch wenn Cannabis für Jugendliche unter 18 Jahren verboten bleiben soll, sieht er einen großen Unterschied darin, ob etwas legal ist oder nicht. „Kinder und Jugendliche würden nun beispielsweise so leicht und ungehemmt an Cannabis herankommen wie sie heute schon an Alkohol kommen.“

Mögliche Abgabestellen könnten nach den Vorstellungen der Bremer Politiker Apotheken sein. Isabel Justus, Geschäftsführerin der Apothekerkammer Bremen, hält das für keine gute Idee: „Das ist nicht die Aufgabe einer Apotheke“, sagt sie. „Wir verkaufen Arzneimittel, keine Genussmittel. Wir verkaufen ja auch keinen Kaffee.“

Alexander B. geht es heute viel besser, er hat seinen Lebensstil geändert. Er meint, das Problem liege nicht im Konsum von Cannabis. Es sei wichtig, gerade junge Menschen über die Wirkung aufzuklären. Bei einem Schüleraustausch vor vielen Jahren mit einer holländischen Schule habe er gemerkt, dass sich die Jugendlichen dort viel weniger für Cannabis interessierten als in seinem Freundeskreis – wegen des offeneren Umgang dort. In Deutschland müsse man alles selbst herausfinden. „Wenn der Staat vernünftig handeln würde, dann würde er es legalisieren. Es ist doch nur eine Pflanze.“

Drei Fakten über Cannabis

  1. Es ist ein Irrglaube, dass der Besitz einer geringen Menge Cannabis erlaubt ist. Bereits mit 0,1 Gramm Marihuana in der Hosentasche handelt man illegal. Allerdings gibt es eine Toleranz-Regelung für geringe Mengen, bei denen von einem Strafverfahren abgesehen werden kann. Wie hoch diese Toleranzgrenze ausfällt, ist je nach Bundesland verschieden. In Bremen soll diese Toleranz nach Rot-Grün so weit gehen, dass der Besitz von Cannabis gar nicht mehr geahndet wird.
  2. Wer in einem Raum mit kiffenden Menschen sitzt, sollte auf die Autofahrt nach Hause verzichten. Es ist nämlich auch möglich, passiv zu kiffen. In einigen Fällen mussten Autofahrer ihren Führerschein abgeben, obwohl sie sich lediglich in der Nähe von Cannabiskonsumenten aufgehalten hatten. Mit Drogenschnelltests konnten die illegalen Substanzen im Körper nachgewiesen werden. Ob aktiv oder passiv gekifft wurde, ist also völlig egal – die Wirkung ist die gleiche.
  3. Die medizinische Wirksamkeit von Cannabis ist dagegen unbestritten. Und was beim Menschen hilft, wird auch bei Tieren eingesetzt. In den USA gibt es Kapseln und sogar Hundekekse mit THC. Sie sollen besonders bei älteren Tieren Schmerzen lindern.

Sucht in Deutschland

Kernzahlen aus dem Drogen- und Suchtbericht 2015 der Bundesregierung:

  • Alkohol: 74.000 Menschen sterben jedes Jahr an den Folgen von Alkoholkonsum. 9,5 Millionen Menschen konsumieren riskant viel davon.
  • Tabak: 24,5 Prozent der Erwachsenen rauchen – bei den Kindern und Jugendlichen sind es 9,7 Prozent.
  • Medikamente: 2,3 Millionen Menschen sind medikamentenabhängig.
  • Glücksspiel: Ein krankhaftes Glücksspielverhalten sollen 191.000 bis 339.000 Menschen haben.
  • Illegale Drogen: 0,5 Prozent der Menschen in Deutschland sind abhängig von Cannabis, 0,2 Prozent von Kokain, 0,1 von Amphetaminen. Die Gesamtzahl erstauffälliger Konsumenten harter Drogen stieg 2014 im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozent auf insgesamt 20.120. 1032 Menschen starben 2014 aufgrund ihres Drogenkonsums.

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