Auf Lücken kann man sich nicht vorbereiten. Wie soll ProSieben ohne Stefan Raab funktionieren? Es gibt keine Antwort auf diese Frage.
Im Sommer gab der 49-Jährige bekannt, Ende des Jahres seine „Fernsehschuhe an den Nagel zu hängen“. Total unerwartet kam das nicht. Vielleicht war auch der Moderator seiner vielen Sendungen etwas überdrüssig geworden. Ganz oder gar nicht: Teilzeit-Raab, das schien ihm offenbar vollkommen undenkbar. Klar ist jedoch, dass mit ihm einer der großen Entertainer geht, einer der Alleskönner, einer fürs Millionenpublikum. Nach Harald Schmidt, Thomas Gottschalk und Günther Jauch, der seinen Talk aufgab, verabschiedet sich jetzt auch der Kölsche Jung von seinem Sendeplatz.
Raab gehört in diese Riege der alten Fernseh-Generation. Direkte Nachfolger für die große Showtreppe sucht man vergeblich. Joko Winterscheidt, Klaas Heufer-Umlauf und Florian Silbereisen sind nicht mehrheitsfähig – in die eine oder andere Richtung. In Sachen Waghalsigkeit stehen das Circus-Halligalli -Duo sowie Silbereisen Raab in nichts nach. Doch ein Programm für die ganze Familie gelingt ihnen nicht.
Jan Böhmermann gefällt es dagegen in der Sparte, und er erfüllt seine Aufgabe dort zu gut. Als klassische Sonnabendabendshow würde sein politisch-satirisches Neo Magazin Royale nicht funktionieren. Markus Lanz und Jörg Pilawa wiederum konnten sich nicht derart als Showmaster etablieren. Die Könige der Unterhaltung blieben allein. Vielleicht ist ihre Ära vorbei. Vielleicht wird der Sonnabend die Nation zwischen Castingshow, Quiz, Volksmusik und Streaming spalten – genau so wie an fast jedem Abend.
Einen raabschen Hoffnungsträger können die Programmdirektoren schließlich nicht erfinden. Die Verantwortlichen der öffentlich-rechtlichen Sender schauten reflexartig immer rüber, zum Showmaster im privaten Fernsehen. Er beherrschte Late-Night und Primetime und produzierte ganz nebenbei Hits. Sie wollten Raab, seinen Erfolg beim jungen Publikum – nur ohne Raab. Doch letztlich konnte nur er eines ihrer angestaubtesten Formate retten: den Grand Prix. Welch’ ein Glück, dass er ein Faible dafür hatte. Von „Guildo hat euch lieb“, über die dadaistisch Disco-Nummer „Wadde hadde dudde da“ bis hin zu Max Mutzke prägte Raab den Wettbewerb. Und schließlich gewann Lena Meyer-Landrut den Eurovision Song Contest. Es war ein unglaublicher Coup für Raab – noch größer als die Teilnahme am Kanzlerduell.
Politik und Medien, vor allem das Fernsehen selbst, nahm Raab hoch wie kein anderer. In über 2200 Sendungen zog er Zapping-Bilanz – manchmal albern, manchmal gekonnt. Die besten Clips liefen per Knopfdruck in der Endlosschleife. Das hatte teils Witz. Nicht immer jedoch schützte er in den 16 Jahren „TV total“ seine Protagonisten von der Straße vor sich selbst. Dafür hätte Raab seine „Pfui-Kelle“ manchmal für sich zücken müssen. Unter seinen Sprüchen litt besonders die Schülerin Lisa Loch.
Rabigramme, Ständchen der amüsant-fiesen Sorte, gab es nur für seine Kollegen, die das Spiel beherrschten. Am Klavier hauchte er Harald Schmidt „Ich hab die besseren Quoten“ zu, Rudi Carrell fragte er singend „Wann wirst du endlich wieder witzig?“.
Die Ideen sprudelten nur so. Auf den ersten Blick abstrus wirkende Formate wurden zu grandiosen Erfolgen in Raabs Händen: Stars traten im Turmspringen gegeneinander an oder sausten in überdimensionalen Woks die Bobbahn hinab. Schiefgegangen ist keine Idee. Denn wichtigster Plot der Shows war immer Raab selbst. Und er lieferte. Er nahm sich nicht ernst, war sich nicht zu schade für platte Gags, schonte sich nicht. „Raab in Gefahr“ bracht ihn auf einen Kamelrücken und in den Boxring. Das Publikum sah zu, wie ihm im Kunstflieger die Gesichtszüge entglitten. Der gelernte Metzger spielte unermüdlich ehrgeizig seinen Part in „Schlag den Raab“. Das allein reichte nicht: Raab hatte vor allem Spaß, bei dem was er sich einfallen ließ. Er experimentierte und der Sender ließ das zu. Sein Humor war nicht komplex, aber unterhaltsam.
Am Mittwoch hat Raab das letztes Mal „TV total“ moderiert, um sich am Sonnabend mit einer finalen Ausgabe von „Schlag den Raab“ zu verabschieden. Er und die anderen Entertainer werden nicht vermisst, weil sie allzeit brillant waren, sondern auch, weil man sich an sie gewöhnt hat, weil sie Teil des kollektiven Fernsehgedächtnisses sind – und einer Geschichte, die vorbei ist.