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Bundesgerichtshof entscheidet Encrochat-Daten dürfen vor Gericht verwertet werden

Fast alle Angeklagten in den Bremer Encrochat-Verfahren wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Eine Hoffnung blieb ihnen noch, doch der versetzte der Bundesgerichtshof einen herben Dämpfer.
30.07.2022, 05:01 Uhr
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Encrochat-Daten dürfen vor Gericht verwertet werden
Von Ralf Michel

Kaum eines der bisherigen Urteile in den Encrochat-Verfahren am Landgericht Bremen ist rechtskräftig. In fast allen Fällen wurde Revision eingelegt. Die Anwälte halten die Verwertung der aus Frankreich übermittelten Daten, die zur Verurteilung ihre Mandanten führten, an deutschen Gerichten für nicht verwertbar. Das sieht der Bundesgerichtshof (BGH) anders: "Zur Aufklärung schwerer Straftaten sind die Encrochat-Daten verwertbar", heißt es in einer Entscheidung vom März dieses Jahres. 

Nach Hinweisen auf Verbindungen zum internationalen Drogenhandel genehmigte ein Gericht der französischen Polizei ab April 2020, den Server des holländischen Software-Unternehmens Encrochat zu infiltrieren. Als Encrochat dies nach drei Monaten bemerkte und seine Nutzer warnte, hatten die französischen Sicherheitsbehörden rund 20 Millionen Datensätze gesichert. Über Europol gelangten die Daten mit Deutschlandbezug an deutsche Ermittlungsbehörden und sorgten vor Gericht für eine erdrückende Beweislast gegen die Angeklagten.

Verteidiger von Encrochat-Nutzern kritisieren "staatlichen Datenraubzug"

Doch die Daten hätten nie verwertet werden dürfen, sagen die Verteidiger der Angeklagten. Seien sie doch auf eine in Deutschland rechtswidrige Art und Weise erlangt worden. Die französische Polizei habe ohne konkreten Verdacht, quasi wahllos ins Blaue hinein, Tausende von Telefonen angezapft, argumentierten die Anwälte, die von "staatlichem Datenraubzug“ und „digitalem Faschismus“ sprachen. Kein Richter in Deutschland hätte diese Massenüberwachung genehmigt. Außerdem würden hier Grundrechte der Beschuldigten ausgehebelt.

Der Bundesgerichtshof sieht das anders. "Wenn sie wie im vorliegenden Fall der Aufklärung schwerer Straftaten dienen", seien die aus Frankreich übermittelten Daten als Beweismittel verwertbar, entschied der 5. Strafsenat in Leipzig. "Das geltend gemachte Beweisverwertungsverbot besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt." 

Es komme nicht entscheidend darauf an, ob eine wie in Frankreich allein nach französischem Recht durchgeführte Maßnahme auch in Deutschland hätte angeordnet werden können. Dies sei nicht Voraussetzung für einen Transfer der nach französischem Recht von französischen Behörden erlangten Beweise in ein deutsches Strafverfahren. Im Rechtshilfeverkehr sei es geboten, Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen zu achten, dies gebiete auch der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in der Europäischen Union.

Auch ein Verstoß der Beweiserhebung gegen menschen- oder europarechtliche Grundwerte oder gegen grundlegende Rechtsstaatsanforderungen liegt nach Auffassung der Bundesrichter nicht vor. Es sei bei den Ermittlungen keineswegs um eine anlasslose Massenüberwachung einer Vielzahl auch unverdächtiger Handy-Nutzer gegangen. Vielmehr habe es konkrete Anhaltspunkte gegeben, dass Encrochat ein "von vornherein auf die Unterstützung krimineller Aktivitäten ausgerichtetes und im Verborgenen agierendes Netzwerk" war. 

Die Entscheidung des BGH bezog sich auf die Revision eines Mannes, der im Juli 2021 vom Landgericht Hamburg wegen Drogenhandels zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Das letzte Wort ist damit aber noch nicht gesprochen. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und vor dem Bundesverfassungsgericht sind weitere Verfahren anhängig.

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