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Essay Verstehen wir keinen Spaß mehr?

Über sich selbst lachen zu können, ist wichtig für ein friedliches Zusammenleben. Warum Humor eigentlich in unserer Verfassung stehen müsste und wie Urbremer Humor auf Zugezogene wirkt. Ein Essay.
08.01.2023, 16:30 Uhr
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Verstehen wir keinen Spaß mehr?
Von Monika Felsing

Semikolon, Klammer zu: „Bitte lächeln!“ Zwinkernde Smileys haben was von Marienkäfern. Einzeln niedlich, in Massen eine Plage. Jede Form von Ironie wird in Mails mittlerweile von drei bis fünf Emojis begleitet. Eine SMS ohne Grinsgesichter ist wie Karneval ohne Tätä-tätä-tätä. Es wird vorgelacht, damit wir mitlachen. Aber brauchen wir wirklich Nachhilfe, um einen Kalauer zu erkennen? Verstehen wir keinen Spaß mehr? Das wäre tragisch, denn echter, nicht nur zur Schau gestellter Humor ist krisenfester als jede Hoffnung. Zu schade, dass er nicht in unserer Verfassung steht. Ein Geburtsfehler der Demokratie, denn anders als die Diktatur muss sie nicht den Humor fürchten, sondern sein Verschwinden.

Kaum etwas nimmt einen so spontan für oder gegen jemanden ein wie ein Lachen und der Sinn für Humor. Worüber wer wann wie wo und mit wem ungestraft lacht, sagt viel über ein Land aus. Vor allem über die Verteilung der Macht, über das Menschenbild einer Zeit oder einer Regierung. Politische Witze können in der Türkei, Ägypten oder Thailand ins Gefängnis führen. In der Nazizeit war das deutsche Kabarett entweder im Exil oder im KZ.

Wunderbarer Widersinn

Humor ist wunderbarer Widersinn, ob bei Astrid Lindgren, Immanuel Kant oder Sigmund Freud. Auf Pointen zu deuten, heißt letztlich, ihnen zu misstrauen, der eigenen Menschenkenntnis oder dem Feingefühl des Gegenübers. Und dabei bringt uns kaum etwas einer anderen Kultur näher, als miteinander lachen zu können. Humor verbindet ungemein.

Trotzdem müssen wir uns nicht alle über das Gleiche amüsieren. Im Gegenteil: Das Komische lebt von Unterschieden und Überraschungen, von der riskanten Gratwanderung zwischen schön und schrecklich, vom Spiel mit Fettnäpfchen, Missverständnissen, Ängsten und Klischees. Filterblasenhumor wiederum kann eine Gemeinschaft spalten. Fast so brutal wie Häme.

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Schon beim Umzug innerhalb eines Landes kann man das Gefühl haben, eine Humorgrenze zu überschreiten. Allen, die von weiter her kommen, zum Trost: Auch Hessinnen kann der Urbremer Humor fremd sein. Rheinländer halten seine Existenz für nicht ausreichend bewiesen. Tolerante behaupten, er sei weltoffen, andere, er schmecke  nach Knipp.

Von Sternstunden des Kabaretts

Es braucht schon Komiker wie Holger Ernst Riekers, um ihn aus der Reserve zu locken. Ernst hat die Kunst beherrscht, andere vorzuführen, ohne sie bloßzustellen. Kein Auge blieb trocken und niemand ungeschoren. Wie bei „Eins, zwei drei“ von Billy Wilder. „Ich möchte einmal wenigstens für meinen Teil die ideologischen Nebel vertreiben, die unsere Welt vergiften. Und ich möchte zeigen, was sie verbergen: Komödienfiguren“, hat der Regisseur, der seine Familie im Holocaust verloren hatte, zu Drehbeginn gesagt.

Es sind Sternstunden des Kabaretts, wenn uns das Lachen im Hals stecken bleibt. Unvergessen, wie Volker Pispers erst über Steuern lamentierte und dann in den Saal feixte: „Haben Sie das dumme Schwein schon mal gesehen, für das Sie so viel arbeiten? Nee? Dann gucken Sie morgens mal in den Spiegel!“

Lange her, dass Loriot und Evelyn Hamann die Deutschen zum Schmunzeln gebracht haben, ohne selbst eine Miene zu verziehen, noch länger, dass Claire Schlichting im „Astoria“ die Wände wackeln ließ und die Diseuse Olga Irén Fröhlich ihrem Radio-Bremen-Publikum feinsinnig die Leviten las.

Zeiten ändern sich

Sprache verändert sich, unser Blick auf die Welt und der Humor. Worüber andere früher wiehernd gelacht haben, erntet heute nur noch ein gequältes Lächeln – oder hat ein juristisches Nachspiel. Sexistische, antisemitische und homophobe, ausländer- und  behindertenfeindliche Witze sind nicht aus der Welt, fallen aber auf ihre Urheber zurück.

Als Vorgänger des Emojis gilt der „Setzerscherz“ des 19. Jahrhunderts. Eine Zeitung für den Kreis Malmedy erklärte ihrer Leserschaft, wie sich „mit einfachen Linien und Klammern das Bild eines menschlichen Gesichtes“ und sogar Gefühle ausdrücken lassen.

Lächelnde Smileys  sollen aufmuntern, besänftigen oder sind ein Wink mit dem Zaunpfahl. Ein wenig erinnern sie an eine Zeit, als es üblich war, „ich sag mal“ zu sagen und  Gänsefüßchen in die Luft zu malen. „Ich sach ma …“ konnte noch so schlimm enden – es war nicht so gemeint. Wenn’s hart auf hart kam, witzig. Und wer nicht mitlachte, eine Spaßbremse, eine Spielverderberin, schwer von Kapee. Fehlte nur noch, dass irgendein Witzbold „Sche-herz!“ rief. Es gibt Situationen, vor Gericht wie in der Partnerschaft, da empfiehlt sich auch das nicht. Das Recht an sich ist humorlos. Vor allem, wenn es andere haben. 

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Wie bierernst die Lage ist, zeigt sich in Bayern: In München hat im November der „Zentralrat des deutschen Humors“ getagt. Die Forderung, das „Recht auf selbstbestimmten Humor“ ins Grundgesetz aufzunehmen, stand im Raum. Erst einmal aber wollen die „Lach- und Schießgesellschaft“, das Forum Humor und komische Kunst und die Ludwig-Maximilians-Universität „den Zustand des deutschen Humors und seine aktuellen Erscheinungen beschreiben und untersuchen“. Jedes Jahr soll es einen neuen Schwerpunkt geben, etwa Humor und Politik, Humor und Glauben, Wirtschaft, Umwelt oder Gender. Höchste Zeit, noch einmal „Das Gelächter der Geschlechter“ zu lesen, vor 20 Jahren herausgegeben von Helga Kotthoff: „Humor und Macht in den Gesprächen von Frauen und Männern.“

Apropos Macht: Über Humor im Bundestag gibt es spätestens seit den Fünfzigern Bücher, Kabarettprogramme und Studien. Die Soziologieprofessorin Ludgera Vogt und der Medienwissenschaftler Andreas Dörner haben die „Selbst- und Fremdinszenierung politischer Akteure in Satiretalks des deutschen Fernsehens“ untersucht und ein Buch darüber geschrieben: „Wahlkampf mit Humor und Komik“. Ganz glattes Parkett. Der chauvinistische Witz, den Christian Lindner (FDP) vor Jahren auf Kosten einer Parteikollegin gemacht hat, wird in Workshops für Führungskräfte heute noch als Beispiel dafür genutzt, dass der Spaß manchmal enden sollte, noch bevor er begonnen hat.

Trolle werden Witzfiguren

Das Volk aber will bei Laune gehalten werden. „Es muss auch Spaß machen“, hat der Bremer Pazifist Ernst Busche gewusst und Reime gegen Raketen geschrieben. Ohne friesischen Humor und einen Fisch mit komischem Namen hätte Gerold Janssen weniger Natur gerettet. Und Leute, mit denen nicht zu spaßen ist, sind bekanntlich zum Fürchten.

Sogar in der Bundeszentrale für politische Bildung ist der Humor längst angekommen: Der Comedian Abdelkarim durfte im pädagogischen Auftrag Gags über das Grundgesetz drehen. Auf eigenes Risiko hat Florian Schroeder auf einer „Querdenker“-Demo dem Publikum gezeigt, was Dialektik und was eine Harke ist: „Wollt ihr die totale Meinungsfreiheit?“, fragte er, nur um dann für Maske und Abstand zu werben.

Der Journalist Hasnain Kazim („Post von Karl-Heinz“, „Auf sie mit Gebrüll“) blamiert selbst ernannte Verteidiger des Abendlandes, indem er den Spieß umdreht. So werden Trolle, was sie immer waren: Witzfiguren. Und die Komikerin Sarah Bosetti? Kontert Hasskommentare mit ebenso klugen wie krassen Versen. Beim NDR ist sie im „extra drei“-Podcast („Bosettis Woche“) zu hören, im ZDF in „Bosetti will reden“ zu sehen. Für März ist ihre neueste Schmähschrift angekündigt: „Poesie gegen Populismus“.

Humor ist überlebenswichtig. Auch für die Demokratie. Das dürfte Yves Bossart ähnlich sehen. Sein Buch „Trotzdem lachen“ ist eine kurze Philosophie des Humors. Denken und Lachen versteht er als Strategien, „mit der Welt zurande zu kommen, sie auf Distanz zu halten“, sich zu hinterfragen, souveräner zu werden und Ängste zu überwinden. Über sich selbst lachen zu können, hilft in Krisen und sichert den sozialen Frieden. Dass Gott Humor hat, ist etwa in der jüdischen Kultur keine Frage: „Der Mensch tracht, Gott lacht“ ist ein altes Sprichwort. Wer zuletzt lacht, hat die Pointe überlebt.

Und eingedenk der Eiswette sei verraten: Es ist gar nicht so schwer, Urbremer Humor zu erklären. Mal geiht er, mal steiht er. Wie die Weser. Nur mit etwas weniger Tidenhub. Semikolon. Klammer zu.

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