Die Kirche ist für alle da. Ein jeder darf dort hingehen, wird beschützt und findet Trost. Da kann es niemanden wundern, wenn sich unter den vielen Schäfchen in den Sitzreihen der Bremer Gotteshäuser auch so mancher Wolf befindet. Auch solche Geschöpfe sind dort willkommen, das ist das Selbstverständnis der Kirche.
Mitunter stehen die Wölfe aber auch auf der Kanzel. Der Bremer Pastor Olaf Latzel hat sich in der Vergangenheit schon mehrfach als bissiger Vertreter seiner Zunft erwiesen: Mal ging es um Frauen auf der Kanzel, mal um Gebühren für die Nutzung der Martini-Kirche und mal um die Auslegung der Bibel. Nun bringt ihm seine Haltung gegenüber anderen Religionen abermals Schwierigkeiten ein.
So schräg die Äußerungen Latzels auch sind – die Debatte darüber ist Ausdruck unserer Zeit. Sie zeigt, wie sensibel die Menschen mittlerweile auf Äußerungen über Glaubensgrenzen reagieren, den Umgang mit Identitäten und dem anderen, vermeintlich Fremden. Das Gute daran: Die Menschen regen sich nicht nur dann auf, wenn ein hasserfüllter Islamist den Untergang des Abendlandes in Aussicht stellt. Sie empören sich auch, wenn ein waschechter Christ die Grenzen des guten Geschmacks verletzt, und damit ein Vertreter jener Religion, die dieses Land und seine Gesellschaft geprägt hat.
Den Schwarzen Peter hält nun die Bremische Evangelische Kirche in der Hand. Sie kann sich auf ihre Verfassung berufen, auf die Autonomie der Gemeinde – und abwarten, bis sich der Sturm gelegt hat. Der Schaden, den Latzel mit seiner Predigt angerichtet hat, wird dann aber auch ihr Schaden sein. Für eine wirkliche Distanzierung bedarf es schon der Trennung von Latzel oder gleich der ganzen Martini-Gemeinde. Nur wäre das ein Schritt, der die so pluralistisch aufgestellte Landeskirche in ihren Grundfesten erschüttern würde.
Was viele ärgern wird: Latzel selbst könnte aus dem Skandal gestärkt hervorgehen. Wie man hört, hat er seine Fans; die Martinikirche soll stets gut gefüllt sein. Und es ist nicht auszuschließen, dass er sich mit seiner Predigt in den Reihen der konservativen Gläubigen noch weitere Anhänger erschlossen hat.