Es leben die Achtziger! Henning Baum ist der Star einer SAT.1-Serie, die das Potenzial zum Kult hat. "Der letzte Bulle" handelt von einem Ruhrpott-Cop, der nach 20 Jahren aus dem Koma erwacht.
Der Typ ist so Achtziger: Mick Brisgau, der Held der neuen SAT.1-Serie "Der letzte Bulle" (ab 12. April immer montags, 20.15 Uhr), lag 20 Jahre im Koma. Jetzt wacht er auf und kennt weder Handys und PC, noch kann er etwas mit der Frau von heute anfangen. Kann ja heiter werden - erst recht, wenn man weiß, dass dieser kernige Ruhrpott-Cop von Henning Baum ("Mit Herz und Handschellen") gespielt wird. Der 37-Jährige ist seit jeher die beste Antwort des deutschen Fernsehens auf all die modernen Lackaffen. Ihm kommt so ein Ermittler mit dem raubeinigen Charme eines Schimanski natürlich gelegen. Im Interview ist Baum erwartungsgemäß kein Star, sondern ein ganz normaler Kerl, der seine Sozialisierung zum guten Teil in den 80-ern erlebte. Denn siehe da: Dieses Jahrzehnt war bei allen geschmacklichen Grenzwertigkeiten wohl doch nicht so kacke, wie es heut gerne gemacht wird.
teleschau: Wie viel Henning Baum steckt im "Don Johnson aus Rüttenscheid"?
Henning Baum: Schon 'ne Menge. Wenn's den wirklich gäbe, ich würde ihn sofort in meinen Freundeskreis aufnehmen. Ich habe Kumpels, die genauso reden und denken. Er würde bei uns nicht auffallen.
teleschau: Haben Sie Mick Brisgau erfunden?
Baum: Die Figur haben andere entwickelt, ehemalige Studenten der Filmhochschule Ludwigsburg, die den SAT.1-Pitch gewannen. Aber, klar, im Laufe des Spielens zieht man so eine Rolle an sich ran. Er ist geradlinig, macht sich nicht so einen Kopf ... Außerdem kommt er auch aus Essen. Ich mag ihn, weil er einen klaren, unverstellten Blick hat. Er ist nicht von Trends und Zeitgeist beeinflusst, agiert sehr aus dem Bauch heraus und hinterfragt all das, was wir heute als normal empfinden, lieber zweimal.
teleschau: Trends und Zeitgeist haben uns Männer in den letzten 20 Jahren ganz schön versaut, nicht wahr?
Baum: Ich glaube schon. Aber natürlich sind die Männer selber schuld, wenn sie sich verunsichern lassen. Sicher hat auch die Medienmaschinerie etwas damit zu tun. Es gibt heute Frauenzeitschriften für Männer! Die locken mit Geschichten der Marke: "In vier Wochen Riesenmuskeln" oder geben Koch- und Kosmetiktipps - für den Mann. Da kann man mitmachen, muss aber nicht.
teleschau: Die Geschlechterrollen haben sich rasant verändert ...
Baum: Absolut. Darauf spielen wir in der Serie auch an - auf humorvolle Weise. Ein Typ aus den 80-ern trifft auf emanzipierte, intelligente Frauen von heute, Frauen, wie seine Psychologin ... Die ihm dennoch imponiert und sehr gefällt! Und sie denkt zwar erst: "Was is'n das eigentlich für ein Dinosaurier?" Aber nach und nach erkennt sie das Wahrhaftige an seinem Wesen.
teleschau: Eigentlich paradox: Die Frauen geben sich jahrelang alle Mühe, den Mann auf metrosexuell zu trimmen, und dann sehnen Sie sich doch nach dem echten Kerl von vorgestern.
Baum: Ja, ich glaube auch, dass viele Frauen lieber wieder mehr so echte Kerle vom alten Schlag hätten. Andererseits: Soll doch jeder nach seiner Fasson glücklich werden. Ich bin da ganz entspannt und finde, dass man sich durch Rollenbilder das Leben nicht verkomplizieren sollte. Wenn der Mann kochen kann und Bock dazu hat, soll er's halt machen.
teleschau: Was macht Mick Brisgau zu einem echten Kerl?
Baum: Dass er eine ehrliche Haut ist, einen geraden Rücken hat. Er nennt die Dinge beim Namen: Eine Fremdgeh-Agentur, also eine Online-Börse, die Seitensprünge vermittelt, ist für ihn nichts anderes als ein Puff. Mick hat klare moralische Parameter, er weiß für sich ganz genau, was Gut und Böse ist, und das gefällt mir. Fremdgehen, klar, kann passieren, sagt er sich - aber nicht mit Vorsatz, das ist scheiße. Natürlich torkelt er unsicher durch die moderne Zeit, aber er macht ein Abenteuer daraus.
teleschau: Was Musik und Kleidung angeht, ist er in den 80-ern verhaftet. Wie fanden Sie die Zeit?
Baum: Eigentlich total in Ordnung. Ich war damals so ein Halbstarker, und meine Kumpels und ich, wir wollten genau so sein wie Mick Brisgau in der Serie: Einen guten Opel Diplomat V8 fahren und der hübschen Büromaus mal einen Klapps auf den Hintern geben - einfach ein bisschen durchs Leben swingen, cool sein.
teleschau: Wovon träumten Sie als Jugendlicher? Schon von der Schauspielerei?
Baum: Das kam ungefähr mit 17, aber eigentlich hatte ich keine konkreten Vorstellungen. Ich wollte die Welt sehen, wollte das Leben begreifen, wollte mich mit der Welt verbinden, war neugierig. Ich wollte meine Identität finden. Wobei die Jahre auch von viel Blödsinn geprägt waren. Es war echt 'ne gute Zeit.
teleschau: Aber auch eine ziemlich planlose, oder?
Baum: Naja. Ich wusste zumindest, was ich nicht wollte: Ich wollte mich keinen Konventionen unterordnen, kein Leben führen, das schematisch abläuft. Wollte kreativ und frei sein.
teleschau: In den 80-ern ging es viel um materielle Werte.
Baum: Aber mich interessierten die nicht sehr. Heute würde ich sagen: Ich wollte keinen materiellen, sondern wohl eher einen inneren, einen seelischen Wohlstand erlangen.
teleschau: Alle Jugendlichen hatten Ihr Idol. Von wem waren Sie Fan?
Baum: Bei mir hingen keine Rockstarposter an der Wand. Musikalisch war ich so querbeet unterwegs: Als Zehnjähriger fing ich mit den Beatles an, es ging mit den Stones weiter, dann AC/DC, klar ... Aber ich fand als Jugendlicher auch Bach sehr geil.
teleschau: Bach?
Baum: Ja, klar. Ich habe in meinem Zimmer Bach aufgelegt. Das konnte ich zwar nicht mit jedem teilen, aber umso mehr fand ich es okay. Ich hörte mir in irgendeiner stillen Ecke Barockmusik an und begeisterte mich daran. Genau wie an Motörhead ...
teleschau: Die gibt's Gott sei Dank immer noch!
Baum: Und Lemmy ist Gott sei Dank noch genauso drauf wie früher. Ein Musterbeispiel für einen, der sich nicht von Trends beeinflussen lässt - weder in seiner Musik, noch im Aussehen, noch in seinen Ansichten. Er ist seit jeher der englische Hardcore-Rock-Prolet. Und er ist gerade deswegen so erfolgreich. Schöne Geschichte.
teleschau: Wie steht's mit Madonna oder Michael Jackson?
Baum: Pfffft. Ja, okay. Die fanden alle toll. Ich nicht. Das eine oder andere Lied war okay, aber dieser Kult, dieser Herdentrieb, war einfach nicht mein Ding.
teleschau: Sie standen gewiss nie in Gefahr, mit Buntfaltenhose und Schulterpolster-Sakko als Popper verschrien zu sein?
Baum: Nee. Ich war eh zu jung, als die Popper ihre Hoch-Zeit hatten. Später erschienen mir diese Typen einfach zu geleckt, zu viel Fassade. Mir sind sowieso schon immer Gruppen suspekt, die sich äußeren und inneren Etiketten unterwerfen. Mit Leuten, die extrem auf Punk gebürstet waren, irgendwie alles scheiße fanden und unseren Staat für faschistisch hielten, konnte ich genauso wenig anfangen wie mit geschniegelten, konservativen Siegelringträgern. Da fehlte mir die geistige Freiheit, es langweilte mich total. Also gehörte ich zu gar keiner Gruppe. Das halte ich bis heute so. Ich versuche, mich keiner eindeutigen Denkrichtung anzuschließen - auch keiner geschmacklichen.
teleschau: Mindestens eine Modesünde aus den 80-ern können Sie uns sicher nennen!
Baum: (lacht) Ja, ich hatte schon einige grenzwertige Sachen im Schrank - aber die konnte man eigentlich nicht den 80er-Jahren zuordnen. Ich trug zum Beispiel mit Stolz die alten Ledershorts meines Vaters auf, so kurze Hosen, wie sie eigentlich kleine Kinder tragen.
teleschau: Klingt echt schräg ...
Baum: Ja, ich weiß. Aber ich war viel mit dem Fahrrad unterwegs - ein Mofa konnten wir uns nicht leisten. Und so strampelte ich als Jugendlicher mit Leder-Shorts und Motörhead-Shirt durch den Ruhrpott. Immerhin wurde ich so ziemlich fit.
teleschau: Die 80-er waren auch die Zeit der großen Feten. Irgendetwas, das Ihnen in reuiger Erinnerung geblieben ist?
Baum: Nun, es kam schon vor, dass einem die Sache mal ein bisschen entglitten ist ... Ich erinnere mich da an eine Nacht mit einem griechischen Cognac. Eigentlich ein edles Getränk, aber damals lernte ich, dass die Wahl der richtigen Glasgröße beim Cognactrinken entscheidend ist. Ich hatte ein sehr großes Glas ... Jedenfalls habe ich das Zeug nie wieder angerührt.
teleschau: Sie waren erst an einer Waldorfschule und gingen mit 17 Jahren an ein englisches College. Ein Kulturschock?
Baum: Absolut! Eine völlig andere Welt - ein Klostergebäude wie im Film "Der Club der toten Dichter". Diese englischen Boarding Schools sind total traditionell mit ihren Uniformen und Regeln - völlig diametral zu allem, was in Deutschland Usus war. Damals stand bei uns ja alles, was auch nur ansatzweise restriktiv und reglementiert war, unter Generalverdacht. Und dann England: Jeden Abend dasselbe Ritual: Einer kommt ins Zimmer und fragt: "Are you working?" Yes Sir! Ich erschien mit Hemd und Krawatte zum Unterricht und wurde als "Mister Baum" angeredet. Und dann benimmt man sich irgendwann auch wie "Mister Baum". Mir hat das gefallen.
teleschau: Verklären Sie das nicht ein wenig?
Baum: Nein, ich muss wirklich sagen, dass das Umfeld damals für mich wichtig und entscheidend war, um strukturiertes Arbeiten zu erlernen. Ich hatte auch gute Noten.
teleschau: Dabei räumen Sie ein, dass Sie vorher ein durchaus rebellischer Jugendlicher waren, mit allem was dazugehört ...
Baum: Ja, und klar machte ich auch in England viel Blödsinn. Wir hingen heimlich in den Pubs herum und feierten - obwohl das strengstens verboten war. Wäre ich beim Biertrinken entdeckt worden, wäre ich sofort von der Schule geflogen. Fand ich damals natürlich cool.
teleschau: In Deutschland wird wieder vermehrt über das Schulsystem diskutiert. Sollte es auch an deutschen Schulen strenger zugehen?
Baum: Schwer, es so pauschal zu sagen. Wichtig ist für mich, dass man die Jugendlichen an der Schule dazu motiviert, einen kritischen Geist zu entwickeln. Dass der Verstand und die Seele herausgebildet werden, erscheint mir wichtiger als der eigentliche Unterrichtsstoff. Das strenge College in England, meine Schwerpunktfächer waren Politik und Geschichte, war in dieser Hinsicht für mich nur hilfreich - mein Denken hat es in keiner Weise eingeschränkt. Diese Schulen zielen darauf ab, die Schüler reifer und mündiger zu machen, bei mir hatte das Erfolg.
teleschau: Mick Brisgau kennt weder Handy noch Internet. In den 80-ern wäre man nie auf die Idee gekommen, dass ohne die kommunikationstechnischen Errungenschaften etwas gefehlt hätte ...
Baum: Stimmt, früher ging es auch ohne Internet, und ich denke, ich könnte heute noch ohne leben. Ich versuche auch bewusst, mich nicht zu abhängig zu machen ... Viele Bekannte sind in Foren wie Facebook oder so, also habe ich das auch ausprobiert. Aber es hat mich tierisch genervt. Ständig irgendwelche Anfragen von vermeintlichen Freunden, und man hat den Eindruck, man müsste nun eine virtuelle Freundschaftspflege betreiben - völlig unübersichtlich das Ganze. Klar, das kann man organisieren, aber warum? Ich bin auch völlig misstrauisch, was die Datensammlung im Internet angeht.
teleschau: In den 80-ern gingen die Leute für den Datenschutz auf die Straße. Heute preist sich jeder im Web 2.0 an ...
Baum: Ja. Offenbar ist eine narzisstische Strömung in Gang gesetzt worden, auf der sich die Menschen gerne treiben lassen. Sie scheint die Sehnsucht vieler zu bedienen - aber ich brauche das nicht, um glücklich zu sein. Ich glaube, dass wir vor einer Art zweiten technischen Revolution stehen, und das Schlimme ist: Die Politik ist darauf überhaupt nicht eingestellt. Jeder erzählt zum Thema Internet und Datenschutz etwas anderes ... Ich sehe keine bürgerliche Bewegung, die sich um die persönlichen Freiheitsrechte sorgt, keinen Politiker, der in der Lage ist, fünf oder zehn Jahre vorauszudenken. Man muss aufpassen, dass nicht alles irgendwelchen Konzernen überlassen wird. Google arbeitet zum Beispiel an Programmen, die es jedermann möglich machen sollen, Menschen per Foto zu erkennen. So etwas verändert eine Gesellschaft! Und mitunter lässt die neuartige Kommunikation auch zwischenmenschliche Gepflogenheiten und Manieren degenerieren.
teleschau: Sie haben drei Kinder. Wie gewöhnt man sie an eine virtuelle Welt?
Baum: Solange sie klein sind, muss man das gar nicht. Tendenziell würde ich sagen: Weder Computerspiele noch Online-Foren sind eine solche Bereicherung für eine Kindheit, dass man das erlauben sollte. Ich bin altmodisch. Die Kinder sollen raus, sollen auf der Straße oder im Wald spielen, Lagerfeuer machen und ein Baumhaus bauen oder so was - aber nicht am Computer rumhängen. Das macht nur 'nen krummen Rücken und blasse Haut. Das Totschlagargument, dass Kinder sonst den Anschluss verpassen, zählt überhaupt nicht. Was sie am Computer können müssen, können kluge Kinder irgendwann ruckzuck erlernen. Drei Tage, und gut is'.