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"Das politisch Böse ist schlimmer geworden!" Nina Hagen redet auf "Volksbeat" Klartext

Rock-Ikone Nina Hagen über atomare Bedrohungen, weltweite Verschwörungen, ihr soziales Engagement und das Leben zwischen Deutschland und den USA.
18.11.2011, 00:00 Uhr
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Von Kati Hofacker

Rock-Ikone Nina Hagen über atomare Bedrohungen, weltweite Verschwörungen, ihr soziales Engagement und das Leben zwischen Deutschland und den USA.

Ganz (durchgeknallt) die Alte: Deutschrock-Ikone Nina Hagen knüpft mit ihrem neuen Album "Volksbeat" nicht nur musikalisch an ihre Glanzzeiten der späten 70er- und frühen 80er-Jahre an. Zu einem rauen Rocksound, der sich aus Punk, NDW und Liedermacherischem speist, kommen politisch und gesellschaftlich bewegte Texte. Die alte Wut, sie ist noch da. Vielleicht sogar noch größer als je zuvor. Während des Gesprächs über das globale "Schlachtfeld" redet sich die 56-Jährige auf jeden Fall in Rage, spricht ohne Punkt und Komma, schweift ab. Nur um klarzustellen: Mit ihr ist auch zukünftig noch zu rechnen.

teleschau: Ihr neues Album überrascht nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich: So viel Zorn nach dem friedliebendem "Personal Jesus" - was hat Sie so wütend gemacht?

Nina Hagen: Mehr als an Alben arbeite ich ja auf der Bühne, spiele überall Livekonzerte. Und die sind oft wütend! Schon seit den 80er-Jahren, seit meinem Song "Atomic Flash Deluxe" singe ich gegen Atomkraft und vor allem gegen die nukleare Bewaffnung an. Dieses politische Böse, das viele Staatsmächte schon immer pflegten, diese Unfähigkeit, menschenfreundlich zu agieren, sich an einen runden Tisch zu setzen, ist seither ja immer schlimmer geworden. Ich finde, dass die Bedrohung durch das irrationale Verhalten sämtlicher Staatschefs sogar zugenommen hat.

teleschau: Sie empfinden eine größere Bedrohung als früher?

Hagen: Auf jeden Fall, Sie nicht? Die atomare Bedrohung ist inzwischen so vordergründig geworden, weil wir nicht mehr nur über Atombomben sprechen, sondern über die alltäglichen, extrem schmutzige Bomben, die als Waffen mit "Depleted Uranium" eingesetzt werden (Geschosse, die mit Uran radioaktiv verseucht wurden, d. Red.). Diese Urangeschosse sind extrem gefährlich und sorgen nicht nur dort, wo sie abgeschossen wurden, sondern noch tausende Kilometer weiter für erhebliche Spätfolgen und Jahrhunderte von DNA-Schäden. Es gibt Landstriche im Irak, da sterben 80 Prozent der Babys, auch lange nach dem Krieg, das ist ein Genozid!

teleschau: Und was kann man dagegen tun?

Hagen: Nun ja, ich veranstalte viele Gesprächskreise über dieses Thema. Hier in Berlin habe ich den Filmemacher Frieder Wagner eingeladen, der einen irren Film über das Thema gemacht hat, "Deadly Dust". Er hat für diesen Film einen Grimmepreis bekommen. Aber das Einzige, was ich da sonst machen kann, ist dagegen anzusingen. Das Zeug verbreitet sich isotopisch und sogar die Babys der Kriegs-Heimkehrer kommen behindert auf die Welt.

teleschau: Ein weiterer Song "Soma Koma" thematisiert Genetik, den Handel mit genetisch verändertem Material ...

Hagen: Genau, dieses Thema Handel mit dem Erbmaterial der Natur und die Tatsache, dass wir in einem künstlichen Glückszustand gehalten werden. Ich habe mir die Bambi-Verleihungen angesehen, obwohl ich fast gar nicht mehr TV gucken kann, weil es so furchtbar ist. Ich sah, wie dieser schwer verletzte Soldat, der in Afghanistan einem anderen das Leben gerettet hat, auf die Bühne geschleppt wurde und einen blöden Bambi dafür bebekam, dass er sein Augenlicht verloren hat. Wie zynisch ist das denn, in diesem Ambiente, das ist doppelt unmenschlich! Ich glaube, ich bin schon als Antifaschist auf die Welt gekommen ...

teleschau: Als frühere DDR-Bürgerin haben Sie ja einschlägige Erfahrungen mit der Verletzung von Menschenrechten. Haben Sie damit nie abschließen können?

Hagen: Mir kommt das alles wie aus einem Guss vor. Als ob eine gigantische Blutlinie seit Jahrhunderten durch sämtliche Staaten weht und nicht abreißt. John F. Kennedy warnte damals schon vor der weltweiten Verschwörung durch Geheimbünde, und diese Rede ist aus den Geschichtsbüchern getilgt worden. Oder diese Sache mit dem belgischen Kinderschänder Dutroux, der behauptete, die Kinder, die er gefangennahm, für Leute von ganz oben gesucht zu haben. In diesem Prozess starben 27 Zeugen (das stimmt laut einer ZDF-Reportage und Wikipedia, d. Red.). Alles erscheint mir wie eine große Clique aus lauter Verrückten, die die Welt in Schutt und Asche legen wollen, oftmals sogar unter einem religiösen Deckmäntelchen. Sie verwandeln die Welt in ein Schlachtfeld!

teleschau: Sie engagieren sich normalerweise für viele verschiedene Organisationen, die sich um persönlichere, kleinere Probleme kümmern.

Hagen: Ja, ich bin beispielsweise Schirmherrin bei www.patverfue.de, da geht es um Patientenverfügungen gegen Zwangseinweisungen. Ich bin Schirmherrin der Arche-Schule in Berlin, bei der Organisation Gegen Kinderarmut e.V., da haben wir jetzt vor Weihnachten alle Hände voll zu tun, um Spenden zu sammeln, Benefiz-Konzerte zu geben und so weiter. Dann helfe ich noch bei einem Kinder- und Frauenhaus in Kabul in Afghanistan. Außerdem bin ich dabei, einen Bauernhof für Kinder und Erwachsene aufzubauen, die wenig Geld oder kein Obdach haben, damit sie einen Freizeitort, eine Erholungsoase haben, wo man zusammen genießen und anpacken kann. Es gibt so wenig Hilfe für Menschen, die aus dem sozialen Netz gefallen sind!

teleschau: Dass Sie nun wieder auf Deutsch singen - hat das damit zu tun, dass Sie dieses Engagement so besser ausdrücken können?

Hagen: Nein, es war eine Frage der Gelegenheit. Ich wollte schon lange ein deutsches Album machen, singe auch auf der Bühne viel Deutsch. Aber für uns Künstler ist es ein regelrechtes Klinkenputzen, wenn man einen neuen Vertrag möchte. Mein letztes Album "Personal Jesus" brachte ich letztendlich im Alleingang heraus. Und nur weil es so ein Erfolg war, konnte ich nun wieder ein deutsches Album bei einem Majorlabel herausbringen. Die Plattenfirmen haben ja alle kein Geld mehr, deshalb bin ich doppelt froh, dass ich ein deutschsprachiges Album herausbringen konnte!

teleschau: Ist Deutschland wieder Ihr Lebensmittelpunkt?

Hagen: Ja und nein. Ich bin so richtig zweikontinental. Zum einen bin ich in den USA, Los Angeles, da wohnt mein Sohn Otis. Dort habe ich aber das Haus gerade verkleinert und mein Zeug eingelagert. Otis wohnt ja jetzt mit seiner Freundin zusammen. Aber ich werde auch wieder in den USA sein, dieses Standbein ist nicht weg. Dann gibt es da noch Berlin. Und natürlich Hamburg, wo meine Tochter Cosma Shiva wohnt und ich das Bauernhofprojekt unterstütze. Dazu kommt noch Ibiza. Aber als nächstes gehe ich erst mal wieder auf Deutschlandtour, da freue ich mich tierisch drauf! Letztes Jahr tourte ich ja mit "Personal Jesus" durch ganz tolle Kirchen, wir spielten revolutionäre Friedensmusik. Dieses Mal wird es wieder ganz anders, das werden echte Rockkonzerte!

teleschau: Wo ist denn dann Ihre Seelenheimat?

Hagen: In der Musik, auf der Bühne, auf der ganzen Welt.

teleschau: Zehrt das ewige Bühnendasein nicht inzwischen an Ihren Kräften?

Hagen: Nein! Das gibt mir Energie! Das ist doch das, was mich erfüllt, was ich mache! Icke will singen, bitte schön, danke schön!

teleschau: Gibt es Pläne für die Zeit nach der Tour?

Hagen: Ich darf leben. Ich will nicht in die Politik. Ich will Musik machen ... Ach, ich hab keinen Plan. Was passiert, passiert!

teleschau: Können Sie sich eigentlich überhaupt einen Rückzug aus der Musik vorstellen?

Hagen: Ich! Nein! Nie! Sollen sich doch lieber erst mal Politiker zurückziehen, die an ihren Stühlen kleben! Ich klebe nicht, ich bewege mich ja dauernd. Ich werde auf der Bühne spielen, bis ich heimgeholt werde!

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