Ümit, Ylenia, Daniel und Ignatz haben eines gemeinsam: Sie zählen allesamt zu den Tiefdruckgebieten, und sie alle lösten in den vergangenen vier Monaten Sturmfluten an der Nordseeküste aus. Bis zur Windstärke 10 wuchsen die Böen an, erreichten einen Spitzenwert von 105 Kilometer pro Stunde. So mancher mag daher im letzten halben Jahr den Eindruck gehabt haben, dass sich die Unwetterwarnungen derzeit häufen. Aber stimmt das?
Gibt es aktuell mehr Unwetterwarnungen als normalerweise?
"Mit Sicherheit gibt es momentan nicht mehr oder weniger Unwetterwarnungen als sonst auch," sagt Oliver Weiner. Er muss es wissen, denn Weiner ist Meteorologe des Deutschen Wetterdienstes. Den Eindruck, dass Warnapps aktuell häufiger Alarm schlagen, erklärt er sich durch ständige mobile Erreichbarkeit und Nachrichtenschnelle. Das sei aber nur eine "gefühlte Wahrheit".
Häufen sich denn in den vergangenen Jahren die Nordsee-Sturmfluten?
Wer einen Blick auf den Jahresbericht des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) wirft, dem fällt schnell auf, dass die Anzahl von Sturmfluten pro Jahr und Jahrzehnt großen Schwankungen unterliegt. 1990 wurden etwa gleich sechs schwere Sturmfluten mit einem Wasserstand über 2,50 über mittleren Hochwasser an der Nordsee erfasst. Zwischen 1996 und 1998 dafür keine einzige.
Ein Trend hin zu einer deutlichen Häufung von schweren Sturmfluten lässt sich für die vergangenen zwanzig Jahre nicht ablesen. So waren die Neunziger Jahre das bisher am stärksten von schweren oder sehr schweren Sturmfluten betroffene Jahrzehnt (19 Sturmfluten), die Nullerjahre vergleichsweise ruhig (7). In den Zehner-Jahren nahm die Zahl der schweren Sturmfluten wieder etwas zu (10). Der Jahresbericht fasst allerdings nur die Zahlen der letzten fünfzig Jahre zusammen, Schlussfolgerungen sind also mit Vorsicht zu genießen.
Wie entstehen Sturmfluten?
Sturmfluten entwickeln sich, wenn kräftige Winde über dem Meer Wassermassen in Richtung Küste drücken. So können sich unabhängig von Gezeiten und Regenfällen hohe Wasserstände entwickeln. Die Wesermündung an der Küste wirkt dabei wie ein Trichter: Durch den sich verengenden Flusslauf wird das Wasser mit Druck landeinwärts gepresst.
Welche Arten von Sturmfluten gibt es?
Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie unterteilt Sturmfluten je nach Höhe des Wasserstandes in drei Kategorien ein. Bis 2,5 Meter über mittlerem Hochwasser spricht sie von einer Sturmflut, ab 2,5 Meter von einer schweren und ab 3,5 Meter von einer sehr schweren Sturmflut.

Gemäß den Daten des Bundesamtes für Seeschiffahrt und Hydrographie hat die Häufigkeit von Sturmfluten seit 1951 nicht signifikant zugenommen.
Vor 60 Jahren traf der Orkan "Vincette" Hamburg und Bremen empfindlich, infolge von Deichbrüchen starben über 300 Menschen. Kann so etwas heute noch mal passieren?
"Aus meteorologischer Sicht kann sich eine solche Sturmflut sicher wiederholen, aber wir sind besser vorbereitet,“ sagt Oliver Weiner. „Aus der Sturmflut vor 60 Jahren in Hamburg hat man gelernt, Deiche erhöht, Schutzmaßnahmen aufgerüstet. 1967 kam schon die nächste große Sturmflut. Bereits zu dieser gab es wesentlich weniger Schäden in Hamburg, und keine Toten."
Auch in Bremen sehen Experten den Hochwasserschutz auf einem sehr hohen Sicherheitslevel. Sperrwerke, Deiche und Schutzmauern fangen die Wucht der Wassermassen bei Sturmfluten ab. Um flutanfällige Stadtgebiete auch bei steigendem Meeresspiegel schützen zu können, wachsen Deiche und Mauern in die Höhe.
Kommen Extremwetterereignisse – etwa Unwetter, Sturmfluten, Starkregen – durch den Klimawandel häufiger vor?
Es kommt drauf an, sagt Oliver Weiner. Ob Ereignisse wie Orkane ohne den Klimawandel auch passiert wären, dieser Frage geht die sogenannte Attributionsforschung auf den Grund. "Durch den Klimawandel steigt das Risiko, dass bestimmte Unwetter auftreten, oder schwerer ausfallen, etwa die Niederschlagsmenge bei Gewittern größer ist,“ erklärt Weiner.
Es gebe allerdings auch Extremwetterereignisse, bei denen kein Zusammenhang zum Klimawandel festgestellt werden könne. „Der Klassiker sind Stürme, da war es die letzten Jahre eher ruhig, sehr viel ist wahrlich nicht passiert," sagt der Hamburger Meteorologe. "Anders verhält es sich bei Starkniederschlägen und extremen Trockenheiten. Diese kommen in letzter Zeit häufiger vor, als sonst".
Wie verhalte ich mich bei Sturm?
Der Deutsche Wetterdienst empfiehlt, Gegenstände im Freien zu sichern, Fenster und Türen geschlossen zu halten, sowie nach Möglichkeit drinnen zu bleiben. Wer doch das Haus verlässt, sollte Wege durch Parks oder Wälder vermeiden und sich vor herabstürzenden Ziegeln oder umkippenden Bäumen in Acht nehmen.
Wie kann ich mich über Unwetter informieren?
Unwetterwarnungen senden etwa die WarnWetter-App des Deutschen Wetterdienstes oder auch die Notfall-Informations- und Nachrichten-App des Bundes, die NINA-Warnapp.