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200. Geburtstag der Pflegepionierin Welche Spuren Florence Nightingale hinterlassen hat

Die Pflegepionierin Florence Nightingale wurde vor 200 Jahren, am 12. Mai, geboren. Welche Spuren sie in der modernen Pflege hinterlassen hat und wie Fürsorge am Krankenbett aussieht, erzählt eine Pflegerin.
12.05.2020, 13:17 Uhr
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Welche Spuren Florence Nightingale hinterlassen hat
Von Lisa-Maria Röhling

Für Bettina Minder stand am ersten Tag ihrer Ausbildung fest, ihren Traumberuf gewählt zu haben. Da sei dieses Gefühl gewesen, als sie umgeben von anderen angehenden Pflegekräften im Klassenzimmer saß, dass sie nun eine Arbeit aufnehmen würde, in der sie allein mit ihrer Haltung eine Atmosphäre schaffen kann, in der es Menschen besser geht. Wenn die 35-Jährige das heute erzählt, schüttelt sie ein bisschen ungläubig mit dem Kopf, ganz, als überwältige sie ihre eigene Begeisterung ein bisschen. „Der Zustand eines Patienten steht und fällt mit der Pflegekraft“, erklärt sie. „Und wenn ich es schaffe, gute Laune zu transportieren und damit den Patienten zu helfen, ist das unbeschreiblich.“

Fürsorge über die medizinische Versorgung hinaus, das ist in Zeiten des Fachkräftemangels und von Personalengpässen oft kaum zu leisten. Doch dass die moderne Pflege nicht nur einen heilenden, sondern auch einen zwischenmenschlichen Auftrag hat, daran hatte die britische Pflegerin Florence Nightingale einen erheblichen Anteil. Geboren wurde sie vor 200 Jahren, am 12. Mai 1820, und sollte mit ihrem Lebenswerk schließlich zur Mutter der modernen Krankenpflege werden. Nightingale revolutionierte den Beruf, baute die erste säkulare Pflegeschule weltweit auf, standardisierte heute gängige Hygieneregeln wie das regelmäßige Händewaschen, modernisierte die Stationsverwaltung, setzte auf Achtung und Zuwendung mit den Erkrankten. Und dass diese die pflegerische Behandlung genauso dringend brauchen wie die ärztliche, davon war sie schon Mitte des 19. Jahrhunderts überzeugt. Nightingale, eine junge Frau aus gutem Hause, wusste schon in jungen Jahren, dass sie für Menschen sorgen wollte und widersetzte sich damit dem Wunsch ihrer Eltern, ihrem Leben als Ehefrau und Mutter einen Sinn zu geben.

Zwei Jahrzehnte später sitzt Bettina Minder im Park des Klinikums Bremen-Ost, ihren Regenmantel hat sie hoch geschlossen gegen den kalten Wind, die blonden, langen Haare muss sie immer wieder hinter die Ohren streichen. Natürlich kenne sie Florence Nightingale, sagt sie, jede Pflegekraft komme mit ihr in der Ausbildung in Berührung, eben als diese Urmutter der Pflege. Tatsächlich verbindet die 35-Jährige etwas Entscheidendes mit der Britin, ohne sich dessen bewusst zu sein: Auch Minder wollte nie etwas anderes als Pflegerin werden. „Ich habe meiner Oma schon als Kind immer den Fuß verbunden, obwohl sie kerngesund war“, erzählt sie. Menschen helfen, das sei von Anfang an ihre Motivation gewesen. „Ich mag es, Leute für etwas Gutes zu vertreten.“ Minder strahlt, wenn sie von ihrem Beruf erzählt, ihren Elan und ihre Freude glaubt man ihr sofort.

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Am Bett, wie sie die Pflegetätigkeit nennt, arbeitet Minder seit knapp zwei Jahren nicht mehr, inzwischen ist sie Klinikpflegeleitung für Bereiche wie die Geriatrie, Innere Medizin oder die Allgemein- und Unfallchirurgie. „Ich mag keinen Stillstand“, erklärt sie den Schritt. Manchmal vermisse sie die Patienten, sagt sie, die Tage seien manchmal lang, der Job auch anstrengend und fordernd. Gerade wegen des Fachkräftemangels sei ihre Arbeit oft herausfordernd. „Aber ich komme jeden Tag gerne hierher und gehe zufrieden wieder nach Hause“, sagt Minder. „Und wenn ich selber besser werde, wird auch die Situation für meine Berufsgruppe irgendwann besser.“ Nach ihrer Ausbildung in einer Hamburger Klinik hat die 35-Jährige noch einen Bachelor an der Hochschule Bremen angeschlossen, verbrachte ein halbes Jahr im schottischen Edinburgh, ein Master an der Hochschule Münster folgte dann berufsbegleitend, als sie schon Stationsleitung war. Das Studium sei eine bewusste Entscheidung gewesen, weil sie ins Pflegemanagement wollte. Aber für ihren Berufsstand habe diese Art der Akademisierung des Pflegepersonals eine starke Wirkung. „Mit den Uni-Abschlüssen steigt das Ansehen in der Gesellschaft“, sagt sie. Dann fügt sie nach kurzer Pause hinzu: „Aber es ist traurig, dass es erst das braucht, damit wir als relevante, eigenständige Berufsgruppe anerkannt werden.“

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Minder hat in der Zeit, in der sie noch „am Bett“ war, oft erfahren müssen, wie wenig Anerkennung ihrer Arbeit entgegengebracht wird: Ungehaltene Reaktionen beim falschen Tee auf dem Tablett, wegen Verspätungen nach Stationsnotfällen, wegen ungehörtem Klingeln, das erlebe jede Pflegekraft. „Man kriegt viel ab.“ Sie habe oft den Eindruck gehabt, dass Patienten und Angehörige die Ärzte loben, die Kritik aber an das Pflegepersonal richten. Ausgerechnet die Corona-Krise bewirke gerade, dass die Menschen die Pflegenden anders sehen. „Wir reichen nicht nur Essen an, sondern wir bedienen wichtige Maschinen, wir bringen uns bei Behandlungsmethoden ein, wir haben medizinische Expertise, wir retten Leben“, sagt Minder. Deshalb erhofft sie sich auch, dass Pflegekräfte ihre Leistungen selber mehr schätzen. „Selbstbewusst auftreten, das ist meine Devise.“

Auch Nightingales Umgang am Krankenbett hatte sie in der britischen Öffentlichkeit schließlich zu der Ikone gemacht, die sie heute ist: 1854 führte sie eine Gruppe von 38 Krankenpflegerinnen an und machte sich mit ihnen im Auftrag des britischen Kriegsministers auf den Weg an die Front der Krimkrieges (1853-1856), um die Verwundeten zu versorgen. Im Lazarett von Scutari, was heute ein Teil Istanbuls ist, herrschten schreckliche Zustände: Es mangelte an sauberen Laken, Verbänden, die Räume waren schlecht belüftet, es wimmelte vor Ratten und Ungeziefer, die Soldaten verendeten meist nicht an ihren Verletzungen sondern an Infektionen und Folgeerkrankungen. „Nightingales Aufgabe war keine geringere als die britische Armee zu retten“, erklärte ein Journalist des „Guardian“ viele Jahre später in ihrem Nachruf. Nightingale krempelte das gesamte Lazarett um, forderte beim Kriegsministerium mehr Material an und reduzierte letztlich erheblich die Zahl der Todesfälle in den Lazaretten. Allerdings war es ihr Umgang mit den Patienten, die Gespräche, die Kontrollgänge am Tag und besonders in der Nacht, die sie als sorgende „Lady mit der Lampe“ in die britische Folklore eingehen ließen.

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200 Jahre später sind die Verhältnisse andere, die Fürsorge in der medizinischen Versorgung bleibt aber eine schwer zu bewältigende Aufgabe. Sie habe unzählige Male ihren Dienst beenden müssen, sagt Minder, ohne ihren Patienten annähernd die Aufmerksamkeit schenken zu können, die ihre Ausbildung vorgibt: aktives Zuhören, Trost spenden, den Patientenwillen berücksichtigen, sie fragen, wie es ihnen abgesehen von der Erkrankung geht, Gespräche über Sterben und Tod. Zum Personalengpass kommen inzwischen auch unzählige administrative Aufgaben wie umfangreiche Dokumentationen, die die Pflegekräfte erledigen müssen. Es gebe da einen zynischen Scherz in ihrem Fach, sagt Minder: Schreibst du noch oder pflegst du schon? „Ich bin oft unzufrieden nach Hause, wenn ich nicht mal die Zeit hatte, mit den Patienten zu sprechen“, sagt sie. Das Problem sei, dass bundesweit oft auf eine Pflegekraft zehn Patienten kommen, damit sei Deutschland in ganz Europa auf dem letzten Platz. „Es ist jeden Tag ein Wettkampf“, sagt die 35-Jährige.

Was ihr helfe, sagt Minder, sei gute Teamarbeit, ein sinnvolles und respektvolles Zusammenspiel von Ärzten, Pflegepersonal und Hilfskräften. Und eben diese positive Haltung, von der sie immer wieder spricht. Die Menschen mit einem „Guten Tag, wir haben jetzt acht Stunden das Vergnügen miteinander“ zu Schichtbeginn zu begrüßen, so etwas. Minder ist überzeugt, dass sich die Pflege nach Corona verändern wird, dass sie und ihre Kollegen mehr Mitsprache bekommen, mehr gestalten können. „Die Menschen sehen jetzt, was systemrelevant bedeutet.“

Was gute und moderne Pflege bewirken kann verbindet Minder mit einem Erlebnis: Sie habe mal einen älteren Patienten drei ­Wochen auf Station gehabt, ein Mann mit beginnender Demenz, nach der Entlassung sei er in eine andere Pflegeeinrichtung verlegt worden. Wenige Tage danach habe das Stationstelefon geklingelt, der ältere Herr habe sich gemeldet: „Hallo, kannst Du mir ein Taxi schicken und mich wieder zu euch zurückholen?“ habe er gefragt, erinnert sich Minder. Und dann setzt sie wieder dieses etwas ungläubige Lächeln auf.

Zur Person

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Britische Heldin
Als Florence Nightingale am 13. August 1910 starb, war der Beruf der Krankenpflegerin ein anderer geworden: Die erste säkulare, nach ihr benannte Pflegeschule, neue Hygienevorgaben in den Kliniken, mehr Anerkennung für die Arbeit von Krankenschwestern, all das lässt sich auf die Gründerin der modernen Pflege zurückführen. Noch heute ist ihr Geburtstag der Internationale Tag der Pflege.

Benannt nach ihrer Geburtsstadt Florenz war Nightingale in eine wohlhabende britische Familie hineingeboren worden und hatte schon als junges Mädchen erklärt, einen Ruf Gottes erhalten zu haben, ihr Leben der Sorge anderer zu widmen. Obwohl die Eltern relativ liberal waren, konnten sie mit Nightingales Berufswunsch wenig anfangen. Sie wollten die Tochter verheiraten; Nightingale sah das als Hindernis für ihre Berufung an.

Nightingale bildete sich selbst in der Krankenpflege fort, reiste durch Europa, um unter anderem im deutschen Kaiserswerth Armen- und Pflegeeinrichtungen zu studieren und dort zu hospitieren. Schließlich eröffnete sie in London ihr eigenes „Institute for the Care of Sick Gentlewomen“. Letztlich war es aber ihr Einsatz im Krimkrieg und die damit verbundene Neuorganisation der Lazarette, die sie zur britischen Heldin machte.

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