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Interview „Letzten Sommer habe ich auf einem Gletscher auf Grönland gezeltet“

Das Forschungsschiff Polarstern aus Bremerhaven ist das Flagschiff der deutschen Forschungsflotte. Wir sprachen mit dem Autor der Neuerscheinung „WAS IST WAS Polarstern“, der an Bord des Eisbrechers war.
20.01.2023, 10:00 Uhr
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„Letzten Sommer habe ich auf einem Gletscher auf Grönland gezeltet“
Von Felicitas Schwanemann

Herr Kalvelage, Sie sind Meeresforscher und Biogeochemiker, was versteht man darunter?
Tim Kalvelage: Biogeochemiker beschäftigen sich mit den Stoffkreisläufen der Erde wie dem Kohlenstoffkreislauf. Sie erforschen, wie Lebewesen, chemische Reaktionen und physikalische Prozesse (z.B. Meeresströmungen) die Verteilung und Umwandlung von Stoffen beeinflussen. Ich habe früher vor allem untersucht, welche Rolle Mikroorganismen für den Stickstoffkreislauf im Ozean spielen. Seit ein paar Jahren forsche ich allerdings nicht mehr selbst, sondern begleite Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Reporter auf ihren Expeditionen, um für Zeitungen und Magazine darüber zu berichten.

Und wie sieht Ihre Arbeit dabei aus?
Tim Kalvelage: Bevor es auf Expedition geht, lese ich sehr viele wissenschaftliche Aufsätze und Berichte. Damit man als Journalist die richtigen Fragen stellt, muss man sich nämlich in dem Thema ein wenig auskennen, über das man berichtet. Wenn ich dann mit Forschenden unterwegs bin – auf einem Schiff oder an Land –,
schaue ich mir genau an, wie sie Daten und Proben sammeln und quetsche sie über ihre Arbeit aus. Manchmal packe ich auch selbst mit an. Zudem mache ich immer viele Fotos, die ich mit meinen Texten an Zeitungen verkaufe.

Wie kamen Sie denn dazu?
Tim Kalvelage: Zur Meeresforschung kam ich über einen Aushilfsjob während meines Studiums. Damals durfte ich für ein Forschungsprojekt mit einem Containerschiff über den Nordatlantik fahren. Das war ein tolles Erlebnis. Nach einigen Jahren in der Forschung habe ich festgestellt, dass viele Menschen sehr wenig über den Ozean wissen und wie wichtig er für das Klima der Erde ist. Also fing ich an, Artikel über Meeresforschung und unseren Umgang mit dem Ozean zu schreiben.

Was fasziniert Sie so an der Arktis und Antarktis?
Tim Kalvelage: Zuallererst die von Eis und Schnee bedeckte Landschaft. Es ist ziemlich beeindruckend, mit einem Schiff durch einen Ozean voller Eisschollen zu fahren, vorbei an riesigen Eisbergen, oder auf einem Gletscher zu stehen. Zudem fasziniert mich, wie sich Menschen und Tiere angepasst haben an das raue Klima in den Polargebieten und dort überleben können.

Und wo waren Sie bereits auf Expedition?
Tim Kalvelage: Als Forscher und als Reporter habe ich an gut einem Dutzend Expeditionen teilgenommen. Ich war mit Forschungsschiffen vor den Küsten von Westafrika und Südamerika, vor der Küste von Grönland und im antarktischen Weddellmeer. Gerade erst bin ich von einer ­Expedition im tropischen Pazifik zurückgekehrt. Und im letzten Sommer habe ich mit Wissenschaftlern auf einem Gletscher auf Grönland gezeltet. Solche Expeditionen dauern wenigstens drei bis vier Wochen. Ich bin aber auch schon zwei Monate lang auf See gewesen.

Aber auf den Expeditionen Mosaic I oder II der Polarstern waren Sie nicht dabei?
Tim Kalvelage: Nein, da war ich leider nicht an Bord. Aber ich durfte 2021 eine Expedition in die Antarktis begleiten. Und ich hoffe, dass ich bald auch einmal mit der Polarstern den Arktischen Ozean befahren kann.

Wie lebt es sich denn mit so vielen Menschen an Bord eines Schiffes?
Tim Kalvelage: Einige der Forschungsschiffe sind ziemlich groß, wie die fast 120 Meter lange Polarstern. Aber mit rund 100 Menschen auf begrenztem Raum muss man dort natürlich Rücksicht aufeinander nehmen, etwa wenn Menschen nach einer Nachtschicht tagsüber schlafen. Ansonsten verbringt man recht viel Zeit miteinander - bei den Mahlzeiten, bei den Arbeiten an Deck oder nach Feierabend - und lernt die anderen auf einer langen Expedition ganz gut kennen.

Vergisst man auch mal, dass man sich die ganze Zeit auf dem Meer befindet?
Tim Kalvelage: Wenn das Schiff in dickem Packeis steckt und man kaum noch offenes Wasser sieht, kann man schon vergessen, das man auf See ist. Oder wenn man sich auf der Polarstern nach Feierabend in der Schiffsbar trifft, dann fühlt man sich eher wie in einer Kneipe an Land.

Und was vermisst man am meisten an Bord?
Tim Kalvelage: Bei einer langen Seereise vermisst man die Daheimgebliebenen, die Familie und Freunde. Auch auf frisches Obst und knackigen Salat freut man sich, wenn man wieder zuhause ist. Und auf das eigene Zimmer und ein großes Bett. Meist teilt man sich nämlich an Bord eine Kammer und schläft auf schmalen, kurzen Pritschen.

Wie bereitet man sich denn am besten auf eine Expedition vor?
Tim Kalvelage: Besonders wichtig ist es, alles einzupacken, was man an Ausrüstung oder persönlichen Dingen benötigt. Denn in der Regel führen Expeditionen in entlegene Gebiete und was man zuhause vergessen hat, kann man nicht einfach im nächsten Shop besorgen. Gesund sollte man auch sein für eine lange Reise. Bei Polarexpeditionen müssen alle Teilnehmenden vorher einen Medizincheck machen. Damit sich niemand mit Corona ansteckt, gibt es teilweise zudem eine mehrtägige Quarantäne, bevor es losgeht.

Haben Sie auch Eisbären gesehen oder Kontakt mit Pinguinen gehabt?
Tim Kalvelage: Ja, in der Antarktis durfte ich Forschende auf eine Eisscholle begleiten. Da kamen sehr neugierige Kaiserpinguine angewatschelt und auf ihren Bäuchen angerutscht. Die haben überhaupt keine Scheu vor Menschen - sie fürchten sich nur vor Orcas und Seeleoparden, die im Wasser jagen. Auf einer Expedition mit dem Forschungsschiff Merian vor der Ostküste von Grönland habe ich einen Eisbären auf dem Meereis gesehen. Ziemlich beeindruckend!

Info

Das Buch „WAS IST WAS Polarstern“ lädt zu einer Reise durch die eisigen Welten der Polarregion ein. Seit 40 Jahren erkundet das Schiff Polarstern im Dienst der Wissenschaft die Antarktis und Arktis. Tauche ein in die spannende Welt der Meeresforschung und lerne mehr über die entlegensten Gegenden der Erde.
„WAS IST WAS Polarstern“, Tessloff Verlag, 96 Seiten,
ab 8 Jahren, 19,95 Euro.

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