Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

AWI-Forscher sind besorgt Das Meereis in der Antarktis schmilzt stärker als je zuvor

Die Zahlen der Forscher aus Bremerhaven sind besorgniserregend. Noch nie war die Ausdehnung des Meereises in der Antarktis so gering. Was bedeutet das für die Tiere vor Ort und für das Weltklima?
23.09.2023, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Björn Lohmann

Forscherinnen und Forscher neigen nicht zu drastischen Worten. Häufig sind für sie Dinge „bemerkenswert“, wenn andere schon von „beängstigend“ sprechen würden. Insofern ist es bemerkenswert, wenn Fachleute des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven nun das Wort „besorgniserregend“ wählen: Der Zustand des Meereises in der Antarktis ist es, dem diese Besorgnis gilt. Und diese Einschätzung teilen viele Meeres- und Klimaforscher in der ganzen Welt.

Schon am 19. Februar dieses Jahres sorgte die Antarktis in Fachkreisen für Aufsehen: Die Ausdehnung des Meereises erreichte mit zwei Millionen Quadratkilometern eine historische Tiefstmarke. Das war selbst für den zu der Zeit auf der Südhalbkugel herrschenden Sommer ungewöhnlich und unterbot den bisherigen Minusrekord um 260.000 Quadratkilometer – mehr als die Fläche des Vereinigten Königreichs. Im Durchschnitt gab es im Februar knapp ein Drittel weniger Meereis in der Antarktis als im Mittel des gleichen Monats der Jahre 1981 bis 2010.

Jetzt, im tiefsten antarktischen Winter, ist der Trend unverändert: Mit 17,16 Millionen Quadratkilometern hatte das Meereis am 7. September sein diesjähriges Maximum erreicht – und bliebt damit 880.000 Quadratkilometer unter dem bisherigen Rekordminimum. Das ausgebliebene Eis entspricht der zweieinhalbfachen Fläche Deutschlands.

Vielfältige Ursachen

Nun ist es normal, dass die Ausdehnung des Meereises variiert, teils auch erheblich. „Dennoch ist die derzeit geringe Ausdehnung des antarktischen Meereises ungewöhnlich“, stellt Klimaforscher Klaus Grosfeld vom AWI fest. Viele Jahre zeigte sich der Eiszyklus in der Antarktis von der Klimaerwärmung unbeeindruckt. Jetzt scheint er nachzuholen, was Klimamodelle schon länger erwartet haben.

Lesen Sie auch

Über die Ursachen ist sich die Wissenschaft dennoch nicht einig. Eigentlich hätten die Luftströmungen in der Hemisphäre in diesem und im vergangenen Jahr eher dazu führen sollen, dass sich besonders viel Eis bildet. „Für den aktuell langsameren Wachstumsprozess und damit die geringere Meereisausdehnung in der Antarktis spielen viele Faktoren eine Rolle, nicht nur wärmere Luft oder wärmere Wassermassen, sondern auch Strömungen, Winde oder die Luftfeuchte und die Bewölkung“, erläutert Grosfeld die Komplexität des Phänomens.

„Es ist bisher unbekannt, wie sich diese Prozesse im Einzelnen verändert haben und wie stark sie momentan zum langsamen Eiswachstum beitragen“, ergänzt Christian Haas, Leiter der Sektion Meereisphysik am AWI. Sowohl eine veränderte Windzirkulation, die wärmere Luftmassen insbesondere auf die Antarktische Halbinsel transportiert, aber auch wärmere Wassermassen, die in die oberflächennahen Schichten einströmen, könnten das Meereiswachstum verzögert haben. Sicher ist: Die Lufttemperatur lag in manchen Regionen der Antarktis bis zu sechs Grad Celsius über dem Mittel der Jahre 1971 bis 2000, und auch die Meeresoberfläche war in den Eisrandzonen bis zu drei Grad Celsius wärmer als gewöhnlich.

Tausende Pinguinküken starben

Bis hierhin könnte das Thema von rein akademischem Interesse sein. Doch die aktuellen Befunde und eine jüngst veröffentlichte Studie im Fachjournal „Communications Earth & Environment“ lassen immer mehr Fachleute die Frage stellen: Haben sich die Prozesse, die die Meereisbedeckung in der Antarktis steuern, vielleicht grundlegend und dauerhaft verändert? „Es ist derzeit noch zu früh, hierzu Aussagen zu treffen“, sagt Grosfeld. Doch wäre es so, könnten die Folgen gravierend werden.

Lesen Sie auch

Auf der westlichen Antarktischen Halbinsel kam es 2022 an vier von fünf Brutplätzen zu einem Totalverlust der Brut der dort lebenden Kaiserpinguine. Die Tiere sind auf eine kompakte Meereisdecke angewiesen, um ihre Küken aufzuziehen. Tausende Küken starben vermutlich, weil das Eis verschwand, bevor den Jungtieren wasserabweisende Federn gewachsen waren. „Dies ist der erste dokumentierte Fall eines weitverbreiteten Brutausfalls bei Kaiserpinguinen, der eindeutig mit einem großflächigen Rückgang der Meereisausdehnung in Verbindung steht“, berichtet Grosfeld.

Auch der Krill ist betroffen, die Grundnahrung aller höheren Arten wie Fische, Robben und Wale. Für den Krill ist das Meereis die Kinderstube, denn es bietet den Larven und Jungtieren sowohl Schutz als auch genügend Phytoplankton, um sich zu ernähren.

Weniger Sonnenlicht wird reflektiert

Doch nicht nur das Meeresleben litte darunter, wenn das antarktische Meereis künftig weiter abnähme. Eis reflektiert die Sonneneinstrahlung stärker als die Oberfläche des Meeres oder eisfreies Land. Die zusätzlich absorbierte Strahlungsenergie würde den Ozean stärker erwärmen. Das wiederum ließe noch mehr Eis schmelzen und würde die Neubildung von Eis verzögern. Es wäre ein „unumkehrbarer Kreislauf“, wie Grosfeld sagt, der zudem die Klimaerwärmung global verstärken würde.

Gleichzeitig würde sich die Wassermassenbildung in der Antarktis verändern und mit ihr die Tiefenzirkulation der Weltmeere. Schon heute vermuten einige Forschende, dass sich die ungewöhnlich niedrige Oberflächentemperatur des Südostpazifiks zumindest teilweise durch kaltes Wasser aus dem Südmeer erklärt. Eine der Folgen ist die seit gut zwei Jahrzehnten andauernde Dürre im Westen Nordamerikas. Nicht zuletzt ist das Meereis ein Puffer für das Schelfeis der Antarktis. Ohne ihn schmilzt dieses Eis schneller und erhöht den Meeresspiegel – weltweit.

Zur Sache

Hitzewellen auch in der Tiefe

Lange Zeit ging die Forschung davon aus, dass sich vor allem die Meeresoberfläche infolge des Klimawandels erwärmt. In dieser Woche berichten Forscher jedoch im Fachjournal „Nature Climate Change“ von Hitzewellen in 50 bis 200 Metern Tiefe. Diese sind intensiver und länger als jene an der Oberfläche. In noch größerer Tiefe nimmt zwar die Intensität ab, die Dauer jedoch weiter zu. Gerade in tiefem Wasser sind die dortigen Lebewesen jedoch stabile Umweltbedingungen gewöhnt. Die Fachleute sehen daher insbesondere diese Ökosysteme von der Erderwärmung bedroht.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)