Frau Abel, Mikroplastik ist mittlerweile fast überall nachgewiesen worden. In der Luft, auf dem Mount Everest, zuletzt auch in der menschlichen Leber. Sie haben in einem Tiefsee-Graben danach gesucht. Zunächst: Was versteht man darunter?
Serena Abel: Grundsätzlich beginnt die Tiefsee dort, wo kein Sonnenlicht mehr hingelangt. Hier ist keine Fotosynthese möglich, sondern das gesamte Ökosystem wird durch organisches Material gespeist, das von der Oberfläche herab sinkt. Für unsere Forschung haben wir das Hadal untersucht, einen Bereich, der mehr als 6000 Meter unter der Wasseroberfläche liegt.
Wie nimmt man in dieser Tiefe überhaupt Proben?
Einerseits lässt man an einem Kabel einen sogenannten Multicorer hinab, der mit mehreren Rohren die Proben aus dem Boden stanzt. Das ermöglicht für diese Stellen sehr präzise Ergebnisse. Zusätzlich kann man noch einen Schlitten nutzen, der vom Schiff einige Hundert Meter weit über den Grund gezogen wird. Alles, was größer ist als 0,3 Millimeter, bleibt dabei in einem Netz hängen. So erhält man eine Übersicht über die Zusammensetzung des untersuchten Gebiets. Kombiniert man beides, kann man die Gesamtsituation sehr gut überblicken.

Der Multicorer, mit dem das Forschungsteam die Proben aus mehr als 6000 Meter Tiefe genommen hat.
Was genau haben Sie untersucht?
Wir wissen, dass Mikroplastik im Meer existiert, und wir haben eine Ahnung davon, was dort mit ihm passiert. Entweder es schwimmt und häuft sich mit großen Plastikteilen zu Inseln auf oder es sinkt hinab, wenn sich Mikroorganismen an die Teilchen hängen und sie dadurch schwerer machen. Die Frage war: Was passiert, während diese Teilchen sinken? Werden sie immer kleiner und bleiben irgendwo in der Wassersäule stehen oder sinken sie bis zum Meeresgrund? Und dann: Werden sie dort von Organismen aufgenommen oder sammeln sie sich auf dem Sediment?
Was ist die Antwort?
Wir haben 13 Sedimentproben genommen, das ist die höchste Probenzahl, die je in einer Tiefe unter 6000 Meter genommen wurde. Darin haben wir zwischen 215 und 1596 Partikel pro Kilogramm gefunden.
Es gibt also Mikroplastik in der Tiefsee. War das nicht erwartbar?
Es ist die Menge, die uns überrascht hat. Vorläuferstudien hatten viel weniger Partikel gefunden. Deshalb war unsere Annahme, dass das Hadal nicht so verschmutzt ist.
Was haben Sie anders gemacht als Ihre Vorgänger?
Wir hatten uns dazu entschlossen, nach besonders kleinen Teilchen zu suchen – weniger als 50 Mikrometer groß (ein Mikrometer entspricht dem Tausendstel eines Millimeters, Anm. d. Red.) – und haben gesehen: Ups, hier ist sehr viel Plastik, nur eben kleiner als angenommen. So klein, dass man es beim Tauchen nicht sehen könnte.
Wie konnten Sie es dann finden?
Dafür gibt es eine simple Methode, die Dichtetrennung. Wir wissen, dass Plastik eine gewisse Dichte hat; es ist leichter als das Sediment des Meeresbodens. Deshalb geben wir die Proben in eine Lösung, deren Dichte zwischen Sediment und Plastik liegt. Vereinfacht gesagt, erreichen wir so, dass sich das Sediment absetzt und die Plastikpartikel oben schwimmen. Und dann müssen wir filtern. Alles, was hängen geblieben ist, haben wir uns unter einem Infrarot-Mikroskop angeschaut. So konnten wir nicht nur erkennen, ob ein Teilchen aus Plastik ist oder nicht, sondern auch, mit welcher Art von Plastik wir es zu tun haben.
Das heißt, Sie wissen, was genau den Meeresboden verschmutzt?
Sozusagen. Die meisten Teilchen sind aus den Kunststoffen Polyethylen und Polypropylen. Sie werden für Einwegverpackungen oder Fischernetze verwendet. Auch Lack-Partikel oder PVC waren dabei.
Wie wird aus einer Verpackung oder einem Fischernetz ein Mikroplastik-Teilchen?
Plastik besteht aus sogenannten Polymeren. Das sind Strukturen aus immer gleichen chemischen Verbindungen, sie sich in einer Kette zusammenfinden. Sie sind sehr stabil, aber durch UV-Licht oder die Reaktion mit dem Salzwasser werden diese Bindungen beschädigt. Wenn solche beschädigten Partikel absinken, verkleinern sie sich weiter, auch wenn das UV-Licht immer weniger wird.
Können Sie aus der Größe der Teilchen ableiten, wann das Plastik ins Meer gelangt ist?
Grundsätzlich wäre das möglich, doch dafür gibt es präzisere Methoden. Wir haben es uns ganz einfach gemacht und nach Makroplastik geschaut, also großen Stücken. Wir haben zum Beispiel Cola-Dosen gefunden, auf denen noch das Produktionsdatum steht.
Wie lange braucht so eine Dose, bis sie schließlich in einem Tiefsee-Graben ankommt?
Wir wissen, dass das Plastik, das wir dort gefunden haben, ungefähr vor zehn Jahren ins Meer gelangt ist. Dort häuft es sich nun an.
Aber es wird doch zersetzt.
Wenn Plastik einmal in der Tiefsee angekommen ist, sind die Faktoren, die zu einer Zersetzung führen, viel geringer. Wie es aussieht, haben wir dort in 40 Jahren eine riesige Müllhalde.
Nun könnte man provokant fragen: Was interessiert uns die Tiefsee?
Dieser Lebensraum ist bislang nahezu nicht erforscht, und wir sind dabei, ihn zu ruinieren, bevor wir wissen, was dort vor sich geht. Was wir aber wissen ist, dass die Bedingungen dort extrem sind. Die Temperatur liegt nahezu konstant bei ein bis zwei Grad Celsius, es ist salziger als an der Wasseroberfläche, und es herrscht ein Druck von mehr als 600 Atmosphären. Das ist schlicht unvorstellbar. Von den Organismen, die dort leben, könnten wir viel lernen und für die Wissenschaft nutzbar machen. Doch sie reagieren noch empfindlicher auf die Plastik-Verschmutzung als die Tiere an der Oberfläche.
Mikroplastik ist also überall. Wie wird man es wieder los?
Daran wird derzeit geforscht. Es gibt beispielsweise Bakterien, die sich an die Plastik-Oberfläche setzen und deren Polymerverbindungen durch spezielle Eiweißmoleküle zersetzen. Ob das aber einmal in großem Maßstab nutzbar gemacht werden kann, ist fraglich. Aktuell bleibt nur, weniger Plastik ins Meer gelangen zu lassen. Das heißt: weniger produzieren und das, was da ist, mehrfach benutzen.