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Chirurgie und Grauer Star auf dem Jahrmarkt Doktor Eisenbarth kurierte auf seine Art

Bremen-Nord. In einem Lexikon von etwa 1720 steht unter dem Stichwort „Marktschreyer“: „Das sind die Okulisten, Bruch- und Steinschneider, Zahnbrecher, Gaukler, Kurpfuscher und Wundertäter, wo auf Jahrmärkten mit viel Geschrei ihre Kunst anbieten“.
04.12.2016, 00:00 Uhr
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Bremen-Nord. In einem Lexikon von etwa 1720 steht unter dem Stichwort „Marktschreyer“: „Das sind die Okulisten, Bruch- und Steinschneider, Zahnbrecher, Gaukler, Kurpfuscher und Wundertäter, wo auf Jahrmärkten mit viel Geschrei ihre Kunst anbieten“.

In der Tat zogen die Märkte in den Städten zumal die Landbevölkerung magisch an. Ärztliche Versorgung gab es auf dem Lande nicht. Kein Wunder, dass sie manchen Versprechungen unredlicher Heiler Glauben schenkten. Viele denken dabei an den Chirurgen Johann Andreas Eisenbarth (1663-1727). Er ist zweifellos der bekannteste der umherziehenden Handwerkschirurgen. Seine ärztliche Tätigkeit war allerdings nicht zu vergleichen mit dem der Quacksalber, der Schmiede und Scharfrichter, die sogar Amputationen auf offener Bühne vornahmen.

Im lautstarken und pompösen Auftreten allerdings unterschied er sich kaum von den Kollegen seiner Zunft. Er baute eine Bühne auf, hatte um sich Komödianten, gelegentlich auch eine Musikkapelle. Zudem schickte er eigene Dienstboten mit Flugblättern unter das Marktvolk und warb durch Annoncen in den Zeitungen – eine moderne Marketingmethode. Er selbst trug bei seiner Tätigkeit einen scharlachroten Herrenrock, eine Allongeperücke und einen schwarzen Dreispitz.

Bezeichnend für seine Bekanntheit ist ein Befehl des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., der ihn aufforderte, sofort nach Stagard zu reisen, wo seinem Obrist Leutnant von Grävnitz eine Kugel das Auge verletzt hatte. Eisenbarth konnte das Auge des Offiziers retten und wurde vom König 1717 zum Hofrat und Hof-Augenarzt ernannt. Als geübter Okulist verhalf er unzähligen Patienten zu neuer Sehkraft. Zugleich erhielt er das Privileg, in Preußen auf allen Märkten tätig zu sein. Die Vielzahl seiner Privilegien gestattete ihm, in ganz Deutschland ungehindert zu praktizieren.

Seine rege Reisetätigkeit brachte ihn mal nach Sachsen, Erfurt, Weimar, Oldenburg, Hannover und sogar nach England. Gelegentlich sind auch Reisen nach Polen, Frankreich, Italien und Holland belegt. Nur in Bremen war ihm wegen eines Kunstfehlers sein Auftreten untersagt. Mit seinen Arzneimitteln aus Kräutern, Tinkturen, Salben und Pillen gründete er ein Pharmazie-Lager in Magdeburg. Nicht zu verwechseln mit den Apotheken größerer Städte. Die verteidigten ihr Privileg verbissen gegen jede Konkurrenz, wie etwa die 1604 in Oldenburg gegründete Rats-Apotheke.

Sein Biograf Eike Pies wie auch später Lorenz Heister bestätigen, dass Eisenbarths Operationstechniken für damalige Zeit mustergültig waren. Pies hält fest, dass Eisenbarth wiederholt die gleichen Orte aufsuchte, um den Heilungsprozess seiner Patienten zu überwachen. Von nahezu 150 Bruchoperationen sind nur zwei Kunstfehler belegt. Die Operationen wurden zeitbedingt ohne Narkose durchgeführt. Der Lärm der Musikanten und Komödianten übertönte das Geschrei der Patienten. Man flößte ihnen Alkohol ein. Gleichzeitig wurden gewisse Kräuter wahrscheinlich auch Hasch verbrannt, deren Rauch die zu Behandelnden einatmeten, um den Schmerz zu lindern.

Die Geschichte von der Entdeckung des Lachgases trägt anekdotische Züge. In Boston sah ein Zahnarzt, wie auf dem Zirkusrund einem Mann deftige Schläge beigebracht wurden, die offensichtlich Schmerzen verursachen mussten. Lächelnden Gesichts schien der Malträtierte keinen Schmerz zu spüren. Der Zahnarzt beschaffte sich vom Veranstalter eine Flasche Lachgas, um dies bei seinen Kunden zu testen. Mit Erfolg. Lachgas wurde von späteren Operateuren abgelehnt, man hatte bessere Narkosemittel erfunden. Doktor Eisenbarth erlitt 1725 einen Schlaganfall. Seine zweite Frau war ihm wenig hilfreich, sondern „hat dieselbe bey meiner großen Schwachheit, da ich vom Schlage gerühret, mir wenig Gutheit erwiesen“.

Zwei Jahre danach ereilte ihn in Hannoversch-Münden ein zweiter Schlaganfall, an dem er wenige Tage darauf starb. Sein Grabstein steht an der Aegidienkirche zu Hannoversch-Münden. Ein um 1800 entstandenes Studenten-Spottlied hat sein Gedächtnis erhalten: „Ich bin der Doktor Eisenbarth, kurier die Leut auf meine Art. Kann machen, dass die Blinden seh´n, und dass die Lahmen wieder geh´n. Es hat einmal ein alter Mann im Rachen einen hohlen Zahn. Ich schoss ihn aus mit dem Pistol, wie war dem armen Mann so wohl.“

Für die Ausgabe DIE WOCHE - MEIN VEREIN schreibt Ulf Fiedler regelmäßig Texte über Wissenswertes aus der Historie der Region. Lob, Anregungen und Kritik senden Sie bitte an ulffiedler@yahoo.de.

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