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Essay übers Lesen Bücherwürmer leben länger – und besser

Eine Studie enthüllt: Wer regelmäßig zum Buch greift, kann seine Lebenserwartung zwei Jahre steigern. Das haben Bücherwürmer schon lange geahnt, meint Iris Hetscher.
09.03.2025, 08:30 Uhr
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Bücherwürmer leben länger – und besser
Von Iris Hetscher

Man kann sich ausgewogen ernähren, Sport treiben, wenig Alkohol und gar kein Nikotin zu sich nehmen. Oder sich die Grundsätze richtigen Atmens antrainieren. Wer das hinbekommt, gilt im Allgemeinen als Kandidat für ein langes, gesundes Leben. Doch wer hätte gedacht, dass es eine weitere Komponente gibt: das Lesen.

Das ist das Ergebnis einer Langzeitstudie der US-amerikanischen University of Yale. Wobei gleich festzuhalten ist: Lesen ist nicht gleich Lesen, wie eine der Autorinnen der Studie, Rebecca R. Levy, betont. Herumwischen auf dem Handy oder auf dem IPad, Nachrichten auf dem Desktop verfolgen, das zählt nicht. Auch nicht der Blick in Zeitschriften und Zeitungen. Durch Letzteres wird man schlauer. Aber nicht älter.

Denn Achtung: Nur echte Bücherwürmer leben länger, also diejenigen, die sich mehr als 3,5 Stunden pro Woche dieser Art Lektüre widmen, was einer halben Stunde pro Tag entspricht. Wer sich derart regelmäßig in ein Buch vertieft, gewinnt ganze zwei Jahre Lebenszeit hinzu. Grundsätzlich. Und völlig unabhängig von Faktoren wie Geschlecht, Bildung, Einkommen oder Gesundheitszustand, wie die Studienautorinnen betonen.

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Menschen, die Bücher lieben, haben so etwas schon immer geahnt. Nicht unbedingt, dass sie zwei Jahre länger leben als der Nachbar, bei dem Tag und Nacht der Fernseher läuft. Sondern eher, dass ihr Leben erfüllter ist als seins. Denn es ist doch so: Man baut sich durch die Lektüre von Belletristik oder Sachbüchern eine innere Schatzkammer mit vielen unterschiedlichen Edelsteinhügeln auf, die im Laufe der Jahre stetig höher werden. Es sind mehrere Hügel, weil man die Lektüre eines Buchs mit dem schönen neudeutschen Wort ganzheitlich beschreiben kann. Lesen löst viel mehr aus als nur die Begeisterung über das, was konkret auf den Seiten steht.

Lesen muss unbedingt Spaß machen

Der Grund, warum man ein Buch aufschlägt, ist zuallererst natürlich: Man ist neugierig auf die Welt zwischen den Deckeln. Hinzugesellt sich aber sofort ein Glücksgefühl: Welche Leserin spürt nicht dieses ganz besondere Kribbeln, wenn sich die Augen auf „Kapitel eins“ heften und man, schwups, Teil einer Geschichte ist? Damit das passiert, sollte die wichtigste Bücherwurmmaxime erfüllt sein: Lesen muss Spaß machen!

Was zu gar nichts führt, ist die sogenannte Pflichtlektüre, ein Wort mit dem Charme von Kamillentee. Wen „Der Mann ohne Eigenschaften“, „Die Atemschaukel“ oder der aktuelle Buchpreisträger kaltlassen, obwohl man das alles doch gelesen haben muss, sollte sich die Frage stellen: Wer sagt denn das? Für Bücherliebhaber (m/w/d) gibt es keinen allgemeingültigen Kanon, der für alle gleich wichtig ist. Was zählt, ist die Lust auf eine Geschichte oder ein Thema.

Ist man also einmal drin im Buch, findet man ungern wieder hinaus aus diesem Kosmos, weil man dort heimisch geworden ist – und die letzte Seite rückt bedrohlich näher! Genau das hat Lesern von jeher den mit spöttischem Unterton angereicherten Vorwurf eingebracht, unausgeglichene Einzelgänger mit Brille auf der Nase zu sein. Doch: Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Auch dazu gibt es eine Studie, über die der Bayerische Rundfunk berichtet hat.

Shira Gabriel und Ariana Young von der US-amerikanischen University at Buffalo in New York haben sich mit den psychologischen Auswirkungen von Geschichten auf Menschen beschäftigt. Sie ließen Teilnehmer Textpassagen aus der „Harry Potter“- und der „Twilight“-Reihe lesen, danach wurden sie getestet. Das Ergebnis sah so aus: Je tiefer die Teilnehmer einstiegen in die Storys und mit den fiktiven Figuren mitfühlten, desto besser waren sie gelaunt. Sie beschrieben ihr Leben als ausgeglichen und zufrieden. Und wieder gesellt sich ein Juwel zu unserem Edelsteinfundus hinzu!

Leser profitieren also nicht nur davon, ihre Vorstellungskraft zu trainieren, weil sie permanent schriftlich fixierte Gedanken anderer in eigene komplexe Bilderwelten übersetzen. Sie fühlen sich zudem aufgehoben in dieser Geschichte, die ein Buch vor ihnen ausbreitet; können Teil einer fiktiven Gemeinschaft werden – was dem Menschen als sozialem Wesen sehr entgegenkommt. Ganz praktisch übrigens, denn sie haben jede Menge Gesprächsstoff, wenn sie auf andere Leser treffen. Da ist dann schnell Plaudertaschen-Alarm angesagt. Auch die schöne Idee, sich zum gemeinsamen Schmökern in einem Café oder einer Buchhandlung zu treffen, jeder mit seinem Buch, spricht für die Geselligkeit von Lesern. In Bremen hat die Logbuchhandlung in Walle schon mehrfach zur „Silent Reading Party“ eingeladen.

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Außerdem, und dazu finden sich jede Menge wundervolle Zitate aus allen Epochen, lernt man beim Lesen einiges über sich selbst. „Vielleicht gehört es zum Genuss des Lesens, dass man den Reichtum seiner eigenen Gedanken entdeckt“, sinnierte einst der Schweizer Schriftsteller Max Frisch („Homo faber“). Man kann es noch poetischer ausdrücken, also wie sein französischer Kollege Marcel Proust, Autor des literarischen Megaprojekts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“: „In Wahrheit ist jeder Leser, wenn er liest, eigentlich der Leser seiner selbst.“ Hach.

Übersetzen wir das ins „Harry-Potter“-Universum: Identifiziert man sich also eher mit der klugen Hermine, dem loyalen Ron oder mit Harry Potter, der immer wieder auch mit seiner eigenen dunklen Seite zu kämpfen hat? Oder mal mehr, mal weniger mit einem der drei? Wer sich im fiktionalen Raum regelmäßig mit unterschiedlichen Situationen, Perspektiven, Kulturen konfrontiert sieht, der ist im Training, wenn es gilt, im realen Alltag andere Meinungen auszuhalten oder sich Handlungsalternativen zu überlegen. Er kennt einfach so viele mögliche Vorlagen.

Leser und Leserinnen sind also weit eher als Bücher-Verweigerer experimentierfreudig, fantasievoll, empathisch und sowieso ganz schön geduldig. Denn ein Buch lässt sich nicht so schnell überfliegen wie ein Instagram-Post, schlabbert sich nicht so nebenbei weg wie eine Netflix-Serie. Man muss schon willens sein, einiges an Zeit und Konzentration zu investieren, also: eine gewisse Selbstdisziplin aufbringen. Das kann auch ansonsten nicht schaden im Leben. Auch dazu gibt es ein schönes Zitat: „Was die Jugend braucht, ist Disziplin und einen vollen Bücherschrank“. Sagte einst die Ikone der Punk-Bewegung, Vivienne Westwood.

Der Magie verfallen

Von daher stimmt es traurig, dass zwölf Prozent der deutschsprachigen Erwachsenen zwischen 18 und 64 Jahren laut Bundesministerium für Bildung und Forschung Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben haben. Das sind 6,2 Millionen Männer und Frauen. Eine weitere Erkenntnis aus der Untersuchung des Ministeriums: Wer das Lesen und Schreiben in den ersten Schuljahren nicht ausreichend gelernt hat, kann es kaum nachholen.

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Doch die Schule, die inzwischen so vieles auffangen muss, spielt beim Begeistern für das Lesen(lernen) glücklicherweise nicht die einzige Rolle. Die Grundlage für extensive Bücherwürmerei wird meistens im Elternhaus gelegt. Und da stimmt eine weitere Zahl positiv: Es wird wieder mehr vorgelesen in den Kinderzimmern, fast so viel wie vor der Covid-19-Pandemie. Und gibt es einen besseren Einstieg in die Welt der Bücher als das Ritual, vorm Einschlafen einer abenteuerlichen Geschichte zu lauschen und sie im Kopf in einen Film umzuwandeln, während man wegdämmert?

Wer als Kind solche Momente erlebt, ist an das Buch verloren. Die Karikaturisten Greser & Lenz haben dazu einen famosen Cartoon gezeichnet: Zwei Männer am Kneipentisch, sagt der eine zum anderen: "Lesen? Das geht ein, zwei Jahre gut, dann bist du süchtig."

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