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Die politische Talkshow von Anne Will kann dem Sonntagabend-Publikum nur wenig neue Erkenntnisse vermitteln Etwas mehr Substanz, bitte

Berlin. Als Talkmeisterin am Sonntagabend bekomme man es immer „voll auf die Fresse“, hat Anne Will vor ihrer Rückkehr auf diesen eigentlich doch sehr attraktiven Sendeplatz gesagt. Wahrscheinlich fühlt sie sich jetzt nach ihrer ersten Sendung darin bestätigt.
19.01.2016, 00:00 Uhr
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Etwas mehr Substanz, bitte
Von Holger Schmale

Als Talkmeisterin am Sonntagabend bekomme man es immer „voll auf die Fresse“, hat Anne Will vor ihrer Rückkehr auf diesen eigentlich doch sehr attraktiven Sendeplatz gesagt. Wahrscheinlich fühlt sie sich jetzt nach ihrer ersten Sendung darin bestätigt. Denn so eindrucksvoll ist ihr nach den trüben Jahren mit Günther Jauch mit hohen Erwartungen begleiteter Einstand nicht gelungen, da waren sich Kritiker und Netzgemeinde am Montag ziemlich einig.

Es ging, wenig überraschend, um die Flüchtlingspolitik. Sie hatte wohl kaum eine andere Wahl, als sich wie alle einschlägigen Sendungen seit der fatalen Silvesternacht von Köln auch noch einmal diesem Thema zu widmen. Sicher, es ist eines, das die meisten Menschen umtreibt. Aber hat man nicht dennoch den Eindruck, es sei nun erst einmal schon alles gesagt über die komplexen Probleme angesichts der vielen Flüchtlinge? Als sei die Ratlosigkeit der deutschen Gesellschaft ausführlich und hinreichend beschrieben, der Weg da hinaus aber noch immer reichlich nebulös?

Immerhin beginnt die Sendung mit einer interessanten Zuspitzung: die milden Worten der Kanzlerin in ihrer Neujahrsansprache, die am Silvesterabend just zu jener Stunde ausgestrahlt werden, als sich in Köln die ersten Täter zusammenrotten, gegengeschnitten mit den beängstigenden Bildern der Nacht. Doch der Versuch von Anne Will, einen in ihrer Runde zu finden, der einen direkten Zusammenhang, eine direkte Verantwortung Angela Merkels für diese Ereignisse herstellte, misslingt. Nicht einmal Stefan Aust, provokanter Chefredakteur der „Welt“-Gruppe, lässt sich auf die Rolle ein, diese bis in die CDU/CSU hinein populäre Schuldzuweisung zu übernehmen. Er landet schließlich bei dem eher hilflosen Begriff einer „Teilverantwortung“ Merkels für die Lage – nun ja.

Aust erweist sich im Anschluss dann auch als der schwächste der Gäste, der über eine Stunde wenig mehr beizutragen weiß, als immer wieder auf das Problem der hohen Flüchtlingszahlen zu verweisen, mit zum Teil bizarren Vergleichen. Es seien so viele junge ausländische Männer nach Deutschland gekommen, wie einst Bundeswehr und NVA unter Waffen gehabt hätten – welche Assoziationen möchte er wohl damit wecken?

Da haben Kanzleramtschef Peter Altmaier als Verteidiger der Regierungspolitik, die Sozialdemokratin Gesine Schwan als wortgewandte politische Kritikerin derselben und der muslimische Autor Ahmad Mansour als kundigster kritischer Diskutant mehr beizutragen. Allerdings vermag Anne Will es nicht so recht, die Runde zu neuen Erkenntnissen für den Zuschauer zu führen. Oft lösen sich lange Monologe Altmaiers mit wirrem Durcheinanderreden ab, das die Moderatorin dann mit erhobener Stimme im Stil einer Erzieherin zu beherrschen sucht: „Moment mal, ich würde gern Ordnung reinbringen, wir halten jetzt mal kurz Ruhe!“

Anne Will zeigt an diesem ersten Abend auf dem prominenten Sendeplatz nicht ihr ganzes Können. Gewiss, sie ist präsent, sie interveniert, sie ist auf der Höhe der Debatte, anders als zu oft ihr Vorgänger Jauch, der sie einst von diesem Platz mit den höchsten Einschaltquoten verdrängt hatte. Aber sie vermag es nicht, auch mal einen Schritt zurückzutreten, die Diskussion zu ordnen, ein Resümee zu ziehen.

Dabei sind sie und ihre Redaktion der eigentlichen Herausforderung ausgewichen: So unappetitlich sie auch sein mögen – man wird Diskussionen über dieses Thema fairerweise nicht mehr ohne Politiker der AfD führen können, die in ihrer radikalen Kritik der Flüchtlingspolitik einen nicht unerheblichen Bevölkerungsteil repräsentieren. Dann wird es erst richtig ungemütlich werden in dem lichten Studio mit den eleganten beigen Ledersesseln.

Trotz der Mängel aber erreicht Anne Will mit 4,1 Millionen Zuschauern ein beeindruckend großes Publikum für eine Politiksendung am späteren Abend. Sie liegt damit in etwa auf dem Niveau von Günther Jauch. Müsste man da nicht mehr draus machen in einem öffentlich-rechtlichen Programm mit Aufklärungsauftrag? Wie ist überhaupt das Bild der Politik, das ARD und ZDF den Zuschauern bieten? In der vergangenen Woche lief sehr prominent im Ersten die Miniserie „Die Stadt und die Macht“, in der Politik als ein Ort krimineller Abgründe gezeigt wurde, die freilich auch eine unerschrocken aufrichtige und am Ende erfolgreiche Heldin zu bieten hatte. Das Zuschauerinteresse hielt sich in Grenzen, wobei aber die hochgelobten politischen US-Serien im Vergleich auch oft nur bescheidene Quoten aufweisen.

Der Publikumsrenner unter den deutschen Politsendungen aber ist die „heute show“ im ZDF, die sich von einem frechen, aufklärerischen Umgang mit Fehlleistungen von Politikern zu einem Programm der inszenierten Häme gewandelt und damit immer mehr Zuspruch gewonnen hat. Daran gemessen, könnte Anne Will noch viel an echter Aufklärung bewirken. „Nächsten Sonntag wieder“, wie sie sich fröhlich verabschiedet hat. Dann womöglich auch mit mehr Substanz als zu viel selbstgerechtem Gerede.

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