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Festspiele In Bayreuth sind Karten übrig – stecken Festivals in der Krise?

Für die Bayreuther Festspiele gibt es noch Karten. Ein Zeichen für eine allgemeine Festival-Krise ist das noch nicht, meint Sebastian Loskant.
20.07.2023, 11:40 Uhr
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Von Sebastian Loskant

Die Sensation des Festspielsommers war perfekt, bevor er richtig begonnen hatte: Kurz vor Beginn der Bayreuther Festspiele am 24. Juli gab es für viele Vorstellungen noch Karten. Wie konnte das passieren? Wo man doch sonst bis zu zehn Jahre auf ein Ticket warten muss. Von "Kartenkrise" und "Hügeldämmerung" wurde sogleich geraunt. Ioan Hollender, Wiener Staatsoperndirektor von 1992 bis 2010, erkannte gar "Zeichen für das bevorstehende weltweite Ende der Oper". Er bemängelte "fragwürdige Dirigenten, schlechte Sängerbesetzungen und unverständliche optische Wiedergaben der von den jeweiligen Regisseuren erfundenen Geschichten".

Das Regietheater soll schuld sein? Wo doch Hollender einst selbst dessen Speerspitzen an sein Haus lud? Natürlich gibt es immer wieder Ausreißer. Zu Frank Castorfs "Ring des Nibelungen" 2013 bis 2017 musste man (wie aktuell zur Nachfolge-Inszenierung von Valentin Schwarz) nicht unbedingt nach Bayreuth fahren: Das Oldenburgische Staatstheater etwa bot damals einen erheblich tiefgründigeren, musikalisch einheitlicheren "Ring". Andererseits: Die von 2017 bis 2021 auf dem Grünen Hügel gezeigte "Meistersinger"-Deutung von Barry Kosky gehörte zu den klügsten Auseinandersetzungen mit den nationalistischen und antisemitischen Tönen dieser Oper.

Dass in Franken Traditionalisten verschreckt werden, stimmte noch nie. Erst schimpfen, dann jubeln über "gewagte" Inszenierungen – das gehört seit Wieland Wagners Zeiten zum guten Ton. Erinnert sei an Patrice Chéreaus "Ring", Hans Neuenfels' "Lohengrin" oder Christoph Schlingensiefs "Parsifal". Und Karten bleiben bei den meisten Festspielen von Schleswig-Holstein bis Feldkirch übrig, in Salzburg sind noch Verdis "Falstaff" und Martin?s "Griechische Passion" zu haben.

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Keinen Anlass zu Kulturpessimismus sieht auch die Deutsche Musik- und Orchestervereinigung, die aktuell Rekordzahlen verkündet. Die coronabedingte Publikumskrise sei überwunden. Das Mozartfest in Würzburg meldet 94,2 Prozent Auslastung, der Kissinger Sommer 80 Prozent – mehr als je zuvor. Klassik open air geht ebenfalls glänzend: "Staatsoper für alle“ in Berlin erreichte 33.000, „Klassik airleben 2023“ in Leipzig 35.000 Zuschauer. Das Hannover Klassik Open Air erzielte mit ebenfalls 35.000 Neugierigen an zwei Abenden eine neue Bestmarke.

Zwei Dinge haben sich aber doch geändert: Zum ersten schaut der Musikfreund der Nach-Corona-Zeit auf den Preis. In Bayreuth reicht die Spanne bis 459 Euro, die Schmerzgrenze liegt für 60 Prozent der Besucher indes bei 200 Euro pro Karte (Übernachtung und Verpflegung vor Ort kommen ja noch dazu). Eine Erfahrung, die sich auch in der Popularmusik findet: Bei Rock am Ring stiegen die Ticketpreise 2023 um 70 Euro auf bis zu 300 Euro, prompt sank die Besucherzahl von 90.000 im Vorjahr auf 75.000. Die gestiegenen Kosten für Bühnenaufbau und -technik, Logistik und Sicherheit aufzufangen, wird die Herausforderung der nächsten Jahre.

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Zum zweiten ändert sich das Publikumsverhalten. Der Besucher plant nicht mehr langfristig, sondern entscheidet sich spontan, oft erst am selben Tag. Die Tendenz, die viele Theater schon lange an sinkenden Abo-Zahlen ablesen, macht sich auch bei den Festivals bemerkbar. Veranstalter brauchen starke Nerven.

Was nun Bayreuth anbelangt, so liegt hier eher ein Vertriebsproblem vor. Offenbar gaben die Mäzene von der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth ihre Ehrenkarten so spät zurück, dass die Tickets erst Mitte April in den allgemeinen Verkauf kamen; da konnten viele Interessenten ihren Urlaub nicht mehr verlegen. Der Kartenüberschuss – ein Ausreißer.

Die Lehre daraus: Bayreuth sollte die umständliche Ticketvergabe  professionalisieren und endlich eine eigene Marketingabteilung einrichten. Dass Festspielchefin Katharina Wagner eine Flexibilisierung ankündigt und etwa die vier "Ring"-Opern auch einzeln anbietet, ist ein guter Anfang. Ganz nach Richard Wagners altem Satz "Kinder, schafft Neues". Solange sie sich nicht im gewohnten Trott "festspielen", haben Festivals nirgendwo Anlass zur Sorge.

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