Die Liebe als Irrtum und Hollywood als Tanzschule: Tilda Swinton ist eine Frau mit interessanten Ansichten, die sie in blumige Sätze verpackt.
Mit einem Schauspieler nur über seinen aktuellen Film zu sprechen, ist langweilig. Er verschanzt sich hinter seiner Rolle, um möglichst wenig von sich preiszugeben. Bei Tilda Swinton ist das anders. Sie liebt ihre Filme, immer - nicht nur, wenn sie gerade in die Kinos kommen und "I Am Love" (Start: 28.10.) heißen. Die knapp 50-jährige Oscar-Preisträgerin nimmt das Drama zum Anlass, der Gesellschaft den Kopf zu waschen. Masochistisch nennt sie die allgemeine Vorstellung von der Liebe. Das größte Tabuthema: die Einsamkeit. Dabei wäre es an der Zeit, sich mit ihr abzufinden.
Viel zu viele laufen auf ausgetretenen Pfaden. Seit Tilda Swinton 1992 unter der Regie von Sally Potter "Orlando" drehte, reizt es sie, Normen zu überwinden, sie vielleicht sogar zu wandeln. Swinton ist emotionale Künstlerin und liberaler Denker. Sieben Jahre arbeitete sie mit dem italienischen Regisseur Luca Guadagnino an ihrem aktuellen Drama "I Am Love". Mit ihm hatte sie schon einmal einen kleinen Film gedreht, der "eine Diskussion übers Leben, die Liebe und das Universum" war. Er hieß "Tilda Swinton: The Love Factory" (2002) und bildete die Grundlage für ihre jetzige Hauptrolle der attraktiven Russin, die die freie Welt sehen wollte und deshalb einen italienischen Modezaren heiratete.
So konservativ wie als elegante Vorzeigegattin, die in einer reichen Gesellschaft funktioniert ohne nachzudenken, bis sie sich in einen jungen Koch verliebt, sieht man sie selten. Meist spielt sie exzentrische oder zumindest extrovertierte Charaktere. Sie gestaltete ihre "weiße Hexe" in den "Chroniken von Narnia" ("Die Reise auf der Morgenröte" startet am 16. Dezember) selbst, ihr Repertoire reicht neben vielen Independentproduktionen von "The Beach" (2000) bis zu "Burn After Reading" (2008).
Groß, blond und blass wirkt Swinton oft wie nicht von dieser Welt, was sich in ihren Rollen spiegelt. Sie sitzt ganz aufrecht auf einem großen, roten Sofa, in dem selbst sie mit ihren 1,80 Metern zu verschwinden droht. Ein absurdes Bild. Doch die im Business-Look gekleidete Schauspielerin mit den blondierten, strähnigen Haaren versteht sich darauf, seltsamen Situationen Würde zu verleihen. Und um Würde dreht sich auch der aktuelle Film: "Es geht darum, mit sich ins Reine zu kommen. Einsamkeit ist das Thema, das große Tabu Alleinsein", poltert Tilda mit extrovertierten Gesten. "Darüber will keiner sprechen, dabei werden wir alleine geboren und sterben alleine. Warum findet sich der Mensch nicht damit ab, auch dazwischen alleine zu sein? Ich habe diese romantischen Mythen der westlichen Welt sehr früh erkannt, schon als kleines Kind."
Sie ist noch nicht fertig, setzt zu einer Rede an als wären 500 Zuhörer im Raum: "Die Einsamkeit wird wie eine Krankheit behandelt. Es wäre besser, sich mit ihr abzufinden und mit dem Irrtum, dass sie weggeht, wenn man einen Partner hat. Auch dann wird es dieses Gefühl geben, was die Menschen denken lässt, die Liebe ist gescheitert. Deshalb ist die romantische Liebe ein einziger Masochismus. Man will diese Einheit bilden für immer, glaubt, dass es möglich ist, alle negativen Gefühle und Einsamkeit zu eliminieren - da schüttet man das Kind mit dem Bade aus und das Desaster bricht los. Das bewegt mich", schließt sie ruhig und besonnen. Swinton selbst lebt nicht, wie es die Gesellschaft vorschreibt. Sie wohnt zwar mit ihrem 20 Jahre älteren Mann, dem Künstler John Byrne, und ihren beiden Kindern zusammen in einem Haus in Schottland, doch sie ist auch mit anderen Männern liiert. Die beiden führen eine offene Beziehung.
Wenn Tilda Swinton in eine Richtung marschiert, dann wirkt sie dabei nicht stur. Sie findet klare Worte für logische Ketten. Und wenn sie Umstände aneinanderreiht, bleiben keine Zweifel, dass sie zum Punkt führen, an dem man ihr Recht gibt. Tatsächlich sitzt die undurchschaubare Frau mit dem durchscheinenden Teint und dem burschikosen, kinnlangen Haarschnitt wie eine Königin in dieser harmonisch eingerichteten Suite eines Berliner Hotels. Das rote Sofa mag ein unbequemer Thron sein, aber sie verkündet auch unbequeme Wahrheiten.
Sie weiß, "die Leute fühlen sich unwohl, wenn ich vom Scheitern des romantischen Gedankens spreche, diese Ehrlichkeit gefällt dem Publikum nicht. Vertreter des bourgeoisen Lebens müssen Gedanken eliminieren, wenn sie die Kreditkarte rausziehen und den nächsten Pelz kaufen. Dann darf ich nicht darüber nachdenken, wer für dieses Produkt eigentlich gearbeitet hat, sondern trainiere mich darin, meine Wahrnehmung einzuschränken."
Sie habe für die Rolle der reichen Gattin einer Modedynastie mit Frauen gesprochen, die in reiche Familien eingeheiratet haben. "Es ist wie ein freiwilliger Beitritt zur Armee", lacht sie mit einem Staunen, verrät aber keine Details. "Reiche Menschen, die in einer erfolgreichen Familie leben, tragen diese Scheuklappen." Sie symbolisiert diese mit beiden Händen, kurz und unaufgeregt: "Das müssen sie, um die Dinge, die sie nicht sehen wollen, rauszuschneiden aus ihrem Leben."
Swinton rutscht auf ihrer Sitzgelegenheit umher, versucht vergeblich, es sich ein wenig bequemer zu machen: "Man muss liegen, anders geht es nicht, das weiß ich mittlerweile", sagt sie, lacht und bestellt einen zweiten Cappuccino. Sich selbst verortet sie nicht im reichen Milieu, nur weil sie einem schottischen Adelsgeschlecht entstammt und ins gleiche Privatinternat ging wie die spätere Prinzessin Diana: "Meine Familie kann man mit den beschriebenen Reichen nicht vergleichen. Auch wenn mein Vater Soldat war, wurden wir nicht vor dem Frühstück gedrillt, ich lebte in einem sehr warmherzigen Umfeld." In dem Moment passt ihr grauer, sehr unterkühlter Hosenanzug nicht so gut zu ihren Worten. Wohl aber überzeugen ihre pointierten Aussagen.
Die optisch alterslose Frau verkauft ihre Ansichten ohne Bitterkeit. Sie weiß, dass das Leben manchmal unbequem ist wie dieses Sofa, sie scheint aber auch keine übermäßige Sehnsucht nach einer Mainstream-Karriere zu verspüren. "In Hollywood war ich ein Tourist", sagt sie, obwohl sie für ihre Rolle in "Michael Clayton" (2007) einen Oscar erhielt. Sie sei nur in den Vorraum der Traumfabrik gekommen: "Ich habe mal durch die Tür gespäht, Leute in klimatisierten Räumen gesehen, die kreative Entscheidungen trafen, lange bevor eine Kamera angeschaltet wurde." Sie habe mit manchen von ihnen ein Tänzchen gewagt, denn es waren interessante Persönlichkeiten dabei. Sonst hätte sie es gelassen. Man glaubt es ihr.
Denn Tilda Swinton macht nichts zufällig, nicht mal Werbung. Vor einigen Monaten präsentierte sie die Kollektion einer schottischen Traditionsmarke. Sie wurde fantastisch in Szene gesetzt und trug sowohl die Frauen- als auch die Männermode. Sie lässt sich weiterhin nicht festlegen, nicht mal auf ein Geschlecht. Irgendwann mutmaßte sie mal über ihren Erfolg: "Vielleicht liegt es daran, dass ich keine Wimperntusche trage." Da kommt eine Visagistin in den Raum. Wozu? Swintons blasser Teint hat sich während des gesten- wie geistreichen Gesprächs jedenfalls nicht verändert.