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Neu im Stream: "Paradise" Wenn Lebenszeit zu Handelsware wird

Max Toma verhandelt mit Spendern um Lebenszeit - lange ohne Bedenken. Bis seine Frau Elena 40 Jahre abgeben muss. Aber nicht nur seine Moral ist ein Fähnchen im Wind sich ändernder Bedingungen. "Paradise"
27.07.2023, 05:00 Uhr
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Wenn Lebenszeit zu Handelsware wird
Von Elias Fischer

Max Toma (Kostja Ullmann) ist Klinkenputzer, sogenannter Donation Manager, beim Unternehmen Aeon. Der Biotech-Konzern von Sophie Theissen (Iris Berben) hat im Netflix-Film "Paradise" eine Behandlungsmethode entwickelt, die es erlaubt, dem Altern entgegenzuwirken. Einem Patienten werden Lebensjahre entnommen, einem anderen injiziert. Im Gegenzug erhält der Zeitspender eine Menge Geld. Es erinnert an Organhandel, nur ist die Methode in dieser nicht datierten, aber offenbar nahen Zukunft völlig legal.

Aeons Donation Manager sind daher ständig auf der Suche nach der nächsten Person, die sich auf das krude Geschäft mit den Lebensjahren einlässt. Max ist gut darin, mit potenziellen Spendern zu verhandeln. Einen Lebenszeit-Deal nach dem anderen fädelt er ein. Er ist sogar so gut, dass er auf einem Gala-Abend, der an die Events mit sogenanntem Erfolgscoaching erinnert, zum Donation Manager des Jahres gekürt wird. Die steilen Ränge in der proppenvollen Aula des futuristischen Aeon-Baus in unmittelbarer Nähe zum Reichstag unterstützen das Überwältigungspotenzial dieser Szene.

Ignoranz für gehobenen Lebensstandard

Auch neben dem Job läuft es für Max und seine Frau Elena (Marlene Tanczik), die als Ärztin in einem Krankenhaus arbeitet. Das Paar teilt sich eine luxuriöse Penthousewohnung, plant Nachwuchs. Dass die Tomas diesen Status unter anderem dadurch erreicht haben, dass Max Menschen um Lebenszeit bringt, stört sie scheinbar nicht. Bis eines Nachts ihre Wohnung in Flammen steht und ihre Versicherung sich weigert, den Schaden zu begleichen. Da Max und seine Frau nicht das nötige Vermögen besitzen, werden stattdessen 40 Lebensjahre von Elena gepfändet. Wie ethisch heikel das ist, zeigt Regisseur Boris Kunz in einer Visualisierung einer drastischen Zwangsvollstreckung.

Streute Kunz bis dahin noch manch farbensattes Bild ein, setzt er fortan auf Dunkelheit und Blässe in den Szenen. Die Tristesse untermalt den zügigen Alterungsprozess Elenas (fortan gespielt von Corinna Kirchhoff). Mit jeder weiteren Falte der Haut schwindet ein Stück Lebensmut aus ihr. Max, Aeons Mitarbeiter des Jahres, bittet daher in seiner Verzweiflung Firmengründerin Theissen um Hilfe. Vergebens, sodass er zum Faustrechtler avanciert – und der Film an Kraft verliert.

Kunz versenkt die Sozialkritik im Kugelhagel

Fortan nehmen die Plattitüden in den Dialogen zu. Sie erinnern oft an oberflächliche Kritik am Kapitalismus, die zu Beginn nur vereinzelt auffiel: Max nur ein kleines Rädchen im System des Kapitalismus, hieß es da beispielsweise. Hinzu kommt, dass einige Wendungen gegen Filmende vorhersehbar sind. Statt diese geschickter zu verpacken, zerschießen die Drehbuchautoren Kunz, Simon Amberger und Peter Kocyla ihre ethischen Bedenken an diesem biotechnologischen Anti-Aging in einem zunehmend hektischen Geballer.

Und auch Ullmann schien sich als "Rädchen im System" wohler zu fühlen als in seinen späteren Rollen als Guerillakämpfer und Robin Hood. "Paradise" setzt am Ende zu sehr auf Action, als dass die gut eingeleitete Thematik um soziale Ungleichheit und mangelnde soziale Gerechtigkeit in Gänze wirken kann.

Info

"Paradise". Laufzeit: 118 Minuten. Anbieter: Netflix (ab 27. Juli)

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