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Heimkehr nach mehr als 100 Jahren

Es herrscht große Aufregung im Erdgeschoss des Übersee-Museums. Dort, wo sich Besucher sonst die Ozeanien-Ausstellung ansehen, wird hoher Besuch erwartet.
19.05.2017, 00:00 Uhr
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Heimkehr nach mehr als 100 Jahren
Von Alexandra Knief

Es herrscht große Aufregung im Erdgeschoss des Übersee-Museums. Dort, wo sich Besucher sonst die Ozeanien-Ausstellung ansehen, wird hoher Besuch erwartet. Spannung liegt in der Luft, genauso wie eine gewisse Ehrfurcht. Nur ausgewählte Gäste dürfen bei der bevorstehenden Zeremonie dabei sein, normale Museumsbesucher müssen am Donnerstagnachmittag draußen bleiben.

Selbst die angemeldeten Gäste wurden im Vorfeld genau auf das Geschehen vorbereitet. Auch sie dürfen sich an diesem Tag im Museum nicht einfach frei bewegen, wie es ihnen gefällt. Nichts darf schiefgehen, bei dieser Zeremonie, die man nicht alle Tage erlebt: Das Museum gibt menschliche Überreste der Völker der Māori und der Moriori an den Staat Neuseeland zurück. Der Botschafter von Neuseeland aus Berlin sowie eine fünfköpfige Delegation vom Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa aus Wellington sind extra nach Bremen gereist, um die Überreste der „ancestors“ (Ahnen) entgegenzunehmen und sicher nach Hause zu bringen. Denn für die Māori sind die Knochen nicht einfach nur die sterblichen Überreste ihrer Vorfahren. Für sie sind die Gebeine auch nach dem Tod beseelt, sie verehren sie als ihre Ahnen.

Der Prozess der Übergabe wird begleitet von einer streng reglementierten Zeremonie. Für die Māori ist sie dazu da, die Vorfahren, tūpuna genannt, zu begrüßen. „Aber sie wollen auch uns damit die Gelegenheit geben, uns gebührend zu verabschieden“, erklärte Museumsdirektorin Wiebke Ahrndt einige Tage vor der großen Übergabe. Es ist laut Ahrndt das erste Mal, dass auch Medienvertreter daran teilnehmen dürfen, bisher blieben die Türen geschlossen, wenn es in Deutschland zu einem derartigen Ereignis kam. Dementsprechend angespannt zeigen sich alle Beteiligten, als sie im Lichthof des Museums darauf warten, dass die feierliche Veranstaltung beginnt.

Dann wird es plötzlich totenstill. Aus der Ferne ist leiser Gesang zu hören, und das Tuten eines Schneckenhorns erklingt. Eine Prozession erscheint nach einer privaten Zeremonie auf der Brücke des Zwischengeschosses im Übersee-Museum, und die Gäste, darunter unter anderem Wissenschaftler und Vertreter aus Kirche und Politik, erheben sich von ihren Plätzen.

Mit traditionellem Gesang und Worten der Würdigung kommt die Delegation in den Raum, zwischen ihnen werden in gräulichen Behältnissen die Knochen von fünf Ahnen getragen, die stellvertretend für die menschlichen Überreste von insgesamt bis zu 44 Vorfahren stehen, die das Übersee-Museum an Neuseeland zurückgibt. Die Kisten werden von ihren Trägern an Te Herekiekie Herewini übergeben, der im Te Papa Museum für die weltweite Rückführung menschlicher Überreste neuseeländischer Vorfahren zuständig ist. Er platziert sie behutsam auf einem Tisch, wo sie unter Gesang und feierlichen Worten in māorischer Sprache mit zeitgenössischen Māori-Umhängen bedeckt werden. Zwei aus Neuseeland angereiste „Älteste“ sorgen dafür, dass bei der Zeremonie alle Rituale richtig durchgeführt werden. Nur so, erklärt Māori Co-Leader Arapata Hakiwai vom Te Papa Museum später, kann gewährleistet werden, dass einer sicheren Heimreise der Ahnen nichts im Weg steht.

Es ist ein sehr bewegendes Moment sowohl für die Māori als auch für alle anderen Anwesenden. Insbesondere Hakiwai wischt sich ergriffen immer wieder Tränen aus den Augen. „Danke, dass Sie sich all die Jahre um unsere Vorfahren gekümmert haben, und sie nun heimkommen dürfen“, sagt er später in seiner Rede.

Etwa ein Jahr ist es her, seit der Senat beschlossen hat, dass das Museum die Gebeine an den Staat Neuseeland zurückgeben darf. Bereits 2013 kam laut Museumsdirektorin Ahrndt eine Anfrage aus Neuseeland. Das Te Papa Museum bat im Auftrag des Staates Neuseeland um die Rückgabe der sich im Museum befindlichen Gebeine der Moriori, einem früheren Volk polynesischer Herkunft, das über mehrere Jahrhunderte auf den neuseeländischen Chatham-Inseln siedelte und der Māori, die Neuseeland als erste Einwanderer besiedelten. Das Übersee-Museum hat daraufhin gemeinsam mit dem Senator für Kultur geforscht und auch auf Grundlage ethischer Standards genau geprüft, ob die menschlichen Überreste zurückgegeben werden sollten. Für eine Entscheidung in derartigen Fällen ist es wichtig, zu überprüfen, wie die menschlichen Überreste überhaupt ins Museum gelangt sind.

Verantwortlich hierfür war Hugo Schauinsland, der Gründungsdirektor des Übersee-Museums. Er unternahm während seiner Amtszeit vier große Sammel- und Forschungsreisen. Die erste führte ihn ab 1896 unter anderen nach Neuseeland und auf die Chatham-Inseln. Dort sammelte er, ohne zu fragen, natur- und völkerkundliche Objekte, darunter eben auch Tiere sowie menschliche Überreste. Außerdem erwarb Schauinsland einige Jahre später Māori-Schädel von einem Händler.

Dieses Vorgehen war im 19. Jahrhundert, zur Zeit des Kolonialismus, häufig ein Bestandteil der Sammlungsstrategie für anthropologische Sammlungen. Eine verbreitete Methode also, ethisch – wie Museumsdirektorin Ahrndt einräumt – aber nicht vertretbar. Insgesamt fanden die menschlichen Überreste von bis zu 44 Moriori und Māori ihren Weg ins Übersee-Museum. Für die genaue Anzahl seien weitere Untersuchungen notwendig gewesen.

Schauinsland hat laut Ahrndt ein Museum geschaffen, das anderen Museen der damaligen Zeit weit voraus war und seiner Nachwelt bis heute viel Lobenswertes hinterlassen. „Hier aber überschritt sein Forschungseifer die Grenze des ethisch Zulässigen“, sagt sie. Ein Grund, warum das Museum die Gebeine nun freiwillig zurückgibt. Der Verbleib der Knochen im Museum, so auch die Begründung für die Rückgabeerlaubnis des Senats, ist aus rechtsethischen Gründen unangemessen.

Sich für das Unrecht, was damals geschehen ist, zu entschuldigen, lag den Vertretern von Senat und Übersee-Museum auch bei der Zeremonie sehr am Herzen. Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) und Museumsdirektorin Ahrndt richteten Teile ihrer Ansprache sogar direkt an die Vorfahren, die ungefragt aus ihrer Heimat entfernt wurden. „Wir bitten Sie, dear ancestors, um Verzeihung dafür, dass Sie in Ihrer Ruhe gestört wurden und so viele Jahre in der Fremde verbringen mussten“, sagte Sieling. „Damit haben wir Ihnen und Ihren Familien Kummer bereitet. Wir verabschieden uns von Ihnen und sind froh, dass Sie nun nach Hause reisen können.“ Ahndt betonte außerdem, dass sie hoffe, dass sich derartige Fehler, wie sie Wissenschaftler damals begangen haben, in Zukunft nicht wiederholen.

Am Ende wurde noch ein Übergabedokument unterzeichnet, und die Vertreter beider Museen tauschten Hongis aus, eine Art Nasenkuss, der als traditionelles Begrüßungsritual der Māori in Neuseeland gilt. Dann geleitete die neuseeländische Delegation ihre Ahnen langsam schreitend und unter Gesang wieder hinaus. Als sie nicht mehr zu sehen waren, ging ein leises Raunen durch die Reihen derer, die bei dieser besonderen Zeremonie anwesend sein durften. Ergriffenheit auf der einen, ein wenig Erleichterung, dass alles gut verlaufen ist. auf der anderen Seite.

Am 29. Mai werden die Knochen bei einer feierlichen Willkommenszeremonie im Te Papa Museum in Empfang genommen. Unter Anwesenheit des deutschen Botschafters wird gefeiert, dass die Ahnen der Moriori und Māori endlich, nach mehr als 100 Jahren, ihren Weg zurück nach Hause gefunden haben. Danach soll dafür gesorgt werden, dass die Ahnen zu ihren jeweiligen Stämmen zurückgeführt werden. „Wir wünschen ihnen, dass sie ihren Frieden in ihrer Heimat finden“, sagte Ahrndt.

„Wir bitten Sie, dear ancestors, um Verzeihung.“ Bürgermeister Carsten Sieling
„Wir wünschen ihnen, dass sie ihren Frieden in ihrer Heimat finden.“ Museumsdirektorin Wiebke Ahrndt
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